Experten rekonstruieren das Gesicht des Hussiten-Heerführers Jan Žižka

Porträt von Jan Žižka von Adolf Liebscher

Hierzulande gibt es zahlreiche Statuen und Gemälde, die den Hussiten-Hauptmann Jan Žižka (um 1360-1424) darstellen. Wie der gefürchtete Kriegsführer wirklich ausgesehen hat, weiß man natürlich nicht. Ein internationales Forscherteam hat vor kurzem versucht, Žižkas Gesicht zu rekonstruieren.

Skelettreste aus der St.-Peter-und-Paul-Kirche in Čáslav | Foto:  Emanuel Vlček: Antropologicko lékařský průzkum,  public domain

Als Grundlage für die Rekonstruktion des Gesichts von Jan Žižka diente ein Schädel, der 1910 in der Peter-und-Paul-Kirche in der mittelböhmischen Stadt  Čáslav / Tschaslau gefunden wurde. Zuzana Thomová ist Archäologin und arbeitet im Südböhmischen Museum in České Budějovice / Budweis. Sie war Mitglied des internationalen Forscherteams, das sich an der Gesichtsrekonstruktion des Heerführers beteiligte. 1910 sei in der Kirche in Čáslav der Turm saniert worden, erzählt die Archäologin:

„Unter dem Turm gab es eine Nische, die etwa zwei mal anderthalb  Meter groß war. Sie befand sich ungefähr in einer Höhe von 115 Zentimetern. Und eben dort wurden Menschenknochen und ein Schädel gefunden. Zudem lagen dort Holzfragmente vom Dach und, soviel ich weiß, auch Keramik. Seit diesem Jahr streiten sich Anthropologen, Archäologen und Historiker darüber, ob es wirklich Žižkas Schädel ist.“

Zuzana Thomová | Foto: Petr Kubát,  Tschechischer Rundfunk

Die Archäologin studierte ihren eigenen Worten zufolge zuerst die Forschungsergebnisse von Emanuel Vlček (1925-2006). Der international anerkannte tschechische Anthropologe hat sich mit vielen historischen Persönlichkeiten befasst. Er habe seit den 1960er Jahren auch den Schädel aus Čáslav erforscht, sagt Zuzana Thomová:

„In den 1980er Jahren kam er zu dem Schluss, dass es sich im Fall des Schädels, nicht jedoch der anderen gefundenen Knochen, aller Wahrscheinlichkeit nach um sterbliche Überreste von Jan Žižka handelt. Und ich habe mit meinen Kollegen an die Arbeit von Emanuel Vlček angeknüpft. Da dieses Jahr an den 600. Todestag von Žižka erinnert wird, entschieden wir uns, das Gesicht des Heerführers zu rekonstruieren. Ich habe viel darüber nachgedacht, ob wir das Recht haben, so etwas zu machen. Da sich jedoch viele Menschen den Hussiten-Führer bisher wie den Hauptdarsteller aus einer älteren tschechischen Filmtrilogie vorstellen, meine ich, dass es vielleicht gut wäre, zu einem anderen Bild von Žižka beizutragen.“

Wie ist das Expertenteam bei der Gesichtsrekonstruktion vorgegangen? Die Archäologin beschreibt zuerst ein Foto des unvollständigen Schädels von Čáslav:

Foto: Cicero da Costa Moraes,  Südböhmisches Museum in České Budějovice

„Auf dem Bild sind der Hirnschädel, die Augenhöhlen, ein Teil des Schläfenbeins und das Hinterhauptbein zu sehen. Mein Kollege Cicero Moraes aus Brasilien modellierte mit Hilfe einer Computertechnologie, die er selbst entwickelt hat, den vollständigen Schädel. Als wir anschließend das konkrete Gesicht zu gestalten begannen, mussten wir mit Fantasie arbeiten. Denn wir kennen weder die Augenfarbe des Hussitenführers, noch wissen wir, was für einen Bart er trug und wie sein Haar aussah. Natürlich werden zwischen Anthropologen und Ärzten Diskussionen darüber geführt, ob es möglich ist, so etwas zu kreieren.“

Die Archäologin räumt ein, sie neige eher zu der Meinung, dass es möglich ist, das Erscheinungsbild des Gesichts zu berechnen und nachzubilden.

„Ich denke, dass wir uns erlauben können, einen Bart, das Haar und die Augenfarbe von Jan Žižka zu ergänzen. Er starb im Alter zwischen 60 und 64 Jahren. Darum hat er auf unserem Modell einen grauen Bart und graues Haar. Er hat blaugraue Augen, wie die Mehrheit der Bevölkerung. Aber er hätte auch braune oder grüne Augen haben können.“

Das digitale Modell des wahrscheinlichen Gesichts von Jan Žižka | Foto: Cicero da Costa Moraes,  Südböhmisches Museum in České Budějovice

Jan Žižka wird auf Gemälden immer mit einer Augenbinde abgebildet. Den Chronisten zufolge kam der Heerführer bei der Belagerung der Burg Rabí auch um seinen zweiten Augen. Sind die Spuren der beiden Verletzungen an seinem Schädel zu erkennen? Zuzana Thomová:

„Bei der Verletzung des linken Auges handelte es sich um eine Hiebwunde. Dies hat Emanuel Vlček schon vor Jahren bestätigt. Die Wunde führte über den Augenhöhlenbogen bis zu den Nasenknochen. Diese Verletzung erlitt Žižka in seiner Jugend – zwischen seinem 12. und 14. Lebensjahr. Vlček fand zudem heraus, dass Žižka ein geheiltes Hämatom am rechten Auge hatte, das die Augen beschädigte. Wir wissen jedoch trotz der Analyse von Emanuel Vlček immer noch nicht, ob Žižka wirklich blind war oder ob er mit dem rechten Augen doch ein wenig sehen konnte. Dies geht auch aus den historischen Quellen nicht hervor. Die zweite Augenverletzung erlitt er kurz vor dem Tod – um das Jahr 1421 herum. 1424 ist er dann gestorben.“

Die Archäologin zeigt an einem Bild, das der Anthropologe Vlček gezeichnet hat, dass an den Knochen beim linken Auge Žižkas die Spuren einer Verletzung gut zu erkennen sind. Sie macht auf weitere Details aufmerksam:

„Zu sehen ist ein Knochendefekt: Es handelt sich um eine geheilte Wunde. Und am rechten Auge sind die Spuren des Hämatoms erkennbar. Wir sind nicht die ersten, die versuchen, das Gesicht von Jan Žižka zu rekonstruieren. Emanuel Vlček hat sich darum auch bemüht und es in der Fachpresse veröffentlicht.“

Cicero da Costa Moraes | Foto: Universität Pardubice

Zuzana Thomová erinnert zudem an den Film „Jan Žižka“, den Otakar Vávra 1955 gedreht hat, und macht auf einen Fehler aufmerksam:

„In diesem Film trägt Žižka eine Binde am rechten und nicht am linken Auge, an dem er schon in seiner Jugend eine Verletzung erlitten hatte. Im neuen Historiendrama über Žižka von 2022 dagegen hat der Heerführer eine Binde am linken Auge. Die Verletzung kann sich wirklich so abgespielt haben, wie es in diesem Film beschrieben wird. Es scheint, dass der Regisseur des neuen Films, Petr Jákl, vermutlich bessere Fachberater als Otakar Vávra in den 1950er Jahren hatte.“

An der Rekonstruktion des Gesichts des Hussiten-Hauptmanns Jan Žižka hat ein internationales Team gearbeitet, in dem auch ein Anthropologe und ein Arzt nicht fehlten. In wieweit kann sich eine Archäologin da einbringen? Zuzana Thomová:

„Wir Archäologen bemühen uns schon mitzureden. Aber Ärzte und Anthropologen lassen sich meistens nicht besonders stark beeinflussen. Denn die Archäologie ist eine Lehre über materielle Quellen, während die Anthropologie und die Medizin Lehren entweder von Menschen oder von Tieren sind. Wenn die Kollegen Fragen haben, inwiefern etwas bestimmtes möglich ist, konsultieren wir das Thema mit ihnen. Andererseits nutzen wir die Arbeit von Anthropologen und Ärzten bei den archäologischen Forschungen. Anthropologen stellen Gutachten für uns zusammen, wenn wir sterbliche Überreste von Menschen auf den Friedhöfen oder in Grüften finden. Mit Ärzten arbeiten wir gemeinsam, wenn beispielsweise anhand von gefundenen Knochen bestimmte Krankheiten erkannt werden sollen, an denen der Verstorbene gelitten hat. Es gibt eine gegenseitige Beeinflussung und eine Zusammenarbeit.“

Foto: Cicero da Costa Moraes,  Südböhmisches Museum in České Budějovice

War es auch im Fall von Žižkas Schädel möglich zu erforschen, ob er an bestimmten Erkrankungen litt? Die Expertin:

„Angesichts des Schädels ist das kaum möglich. Wenn ein ganzes Skelett erhalten bleibt, kann anhand von Änderungen, die an den Knochen zu finden sind, bestimmt werden, welche Erkrankungen die Änderungen hätten verursachen können. Die Anthropologen erkennen beispielsweise, dass jemand an Syphilis litt, dass er Probleme mit dem Knochenmark oder einen Tumor hatte, der zu Knochendeformationen führte. Es gibt eine Reihe von Beispielen dafür. Im Fall des Schädels aus Čáslav würden wir aber nur fabulieren. Und das geht nicht.“

Jan Žižka ist erst in den letzten Jahren seines Lebens als Kriegsführer bekannt geworden. Er starb in einem für die damalige Zeit recht reifen Alter. Dabei sei sein Lebenswandel kein leichter gewesen, betont Zuzana Thomová:

„Wir sagen, dass er ein raues Leben führte. Aber wir betrachten dies aus der Sicht von verwöhnten Menschen der Neuzeit. Ich denke, dass Žižka das übliche Leben eines mittelalterlichen Menschen hatte, der jeden Tag dem Tod begegnen konnte. Für die Menschen im Mittelalter hatten die Seele und das Leben nach dem Tod einen großen Wert. Alle seine Kämpfe führte Žižka eben wegen eines besseren Lebens nach dem Tod und für eine bessere Kirche. Er war natürlich ein berühmter Heerführer, der vor allem die Wagenburg, die er miterfunden hatte, erfolgreich einsetzte. Wenn man bedenkt, dass Žižka eigentlich ein einfacher Mensch war, meine ich, dass er, was seine Heerführerfähigkeiten anbelangt, in der damaligen Zeit doch fortschrittlich war.“