Norm oder Gesetz? Eine Begriffsklärung am Beispiel des Ostereis

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Ach, du dickes Ei: Tagtäglich werden von der EU neue Gesetze und Verordnungen erlassen, Produkte und Dienstleistungen müssen, sofern sie EU-weit vertrieben oder eingesetzt werden, auch einer EU-weit gültigen Norm entsprechen. Doch was genau ist nun eine Norm und worin unterscheidet sie sich von einem Gesetz? Sandra Dudek hat sich im Vorschriftendschungel der EU auf die Suche nach einer Begriffsklärung gemacht und dabei das Osterei als anschauliches Beispiel zur Unterscheidung von Gesetzen und Normen gefunden:

Besonders dieser Tage gleicht kein Ei dem anderen. Bunt eingefärbt, ob ganz traditionell mit Zwiebelschalen oder eher rationell mit gekaufter Lebensmittelfarbe, liebevoll verziert, in Nestern auf dem Küchentisch liegend oder ausgeblasen an einem Strauch hängend: Das sonst so schlichte Ei zeigt sich zu Ostern, wie seit Jahrhunderten schon, von seiner bunten Seite. Im Gegensatz zu früher aber sind die heutigen Ostereier, sofern sie nicht aus dem eigenen Hühnerstall stammen, sondern im Supermarkt gekauft worden sind, nicht mehr nur schlicht und einfach Eier. Bis ein Hühnerei letztendlich im Magen landet, muss es als so genanntes "zum Direktverzehr geeignetes Lebensmittel" eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen erfüllen. Viele davon sind in EU-weit geltenden Verordnungen geregelt, wie beispielsweise die Vermarktung von Eiern, die unter anderem auch die Kennzeichnung verpackter Eier festlegt. Die Verpackung allerdings unterliege keinem Gesetz, sondern einer Norm, wie Ruth Seibicke, Pressesprecherin des Europäischen Komitees für Normung betont:

"Die Kennzeichnungspflicht von Eiern hat mit uns, mit der freiwilligen Normung nichts zu tun, das ist vom Gesetzgeber so festgelegt worden. Was wir machen, was mit Eiern oder Ostern zu tun hätte, wäre zum Beispiel, alles was mit Verpackung zusammenhängt, damit Verpackung sicher und nicht schädlich ist, also zum Beispiel, wie die Ostereier eingepackt sind usw."

Gesetzlich vorgeschrieben, und zwar europaweit, ist die verpflichtende Kennzeichnung von verpackten Eiern, die neben der Güte- und Gewichtsklasse, der Anzahl, dem Mindesthaltbarkeitsdatum und Angaben zum Verpackungsbetrieb auch den bei Ostereiern unter dem Farbmantel versteckten Erzeugercode umfasst. Dieser Code gibt unter anderem Aufschluss über die Haltungsform und das Herkunftsland - eine angesichts grenzüberschreitender Legehennenhaltung nicht uninteressante Information. Im Gegensatz dazu dienen die für verpackte Eier festgelegten Normen beispielsweise der Qualitätssicherung und dem Konsumentenschutz.

Ganz allgemein gesagt sind Normen Regeln der Technik: Sie fördern die Rationalisierung, ermöglichen die Qualitätssicherung, dienen der Sicherheit am Arbeitsplatz und in der Freizeit und vereinheitlichen Prüfmethoden etwa im Umweltschutz, um nur einige Beispiele zu nennen. Und während Gesetze "von oben" erlassen werden, ist dies bei Normen genau umgekehrt: Sie werden von jenen gemacht, die sie brauchen, meint Otakar Kunc, Direktor des Tschechischen Normungsinstitutes CNI:

"Einleitend möchte ich betonen, dass technische Normen freiwillige Dokumente sind, die derjenige entwickelt, der sie braucht, und zwar auf verschiedenen Ebenen. Das kann auf Unternehmens-, auf Staats- oder auf überregionaler Ebene, wie z.B. jener der Europäischen Union, sein, oder aber auch auf internationaler Ebene, dazu gehören die internationalen Normen, die von den Organisationen ISO und IEC ausgearbeitet werden."

Das also bedeutet, dass die nationalen oder internationalen Normungsinstitute mit Experten aus den verschiedensten Bereichen zusammenarbeiten. So entwickeln beispielsweise Experten aus der Industrie, Konsumenten und Umweltverbände gemeinsam eine Norm, die dann im Konsens angenommen wird, so Otakar Kunc weiter:

"Der Entstehungsprozess von Normen muss so gestaltet sein, dass sich alle, die Interesse haben, daran beteiligen können, und dabei ihre Interessen verteidigen, Anmerkungen machen und Lösungsvorschläge einbringen können. Der Sinn dieser Bemühungen ist es, sich auf den Inhalt von technischen Normen zu einigen, die dann alle Beteiligten als annehmbare und vorteilhafteste Lösung betrachten."

Bei internationalen Normen dauert dieser Prozess im Schnitt sieben Jahre, oft sogar noch wesentlich länger. In der Europäischen Union gibt es Bestrebungen, den Prozess für EU-Normen auf drei Jahre zu beschränken. Trotz der unterschiedlichen Funktionen, die Gesetze und Normen nun also erfüllen, stehen sie doch auch in engem Zusammenhang, wie Ruth Seibicke, Pressesprecherin des Europäischen Komitees für Normung, beschreibt:

"Es gibt die Möglichkeit, dass der Europäische Gesetzgeber ein Gesetz verabschiedet, in dem er ein Höchstmaß an einer gewissen Substanz festlegt. Die Testmethode für diese Substanz wird von uns, vom Europäischen Komitee für Normung, ausgearbeitet und der Gesetzgeber verweist auf diese Norm, d.h., wenn man als Produzent dieses Gesetz beachten will bzw. man muss es ja beachten, wird angenommen, wenn man die Norm anwendet, dass man das Gesetz beachtet. Es ist zwar nicht verpflichtend, die Norm anzuwenden, aber wenn man sie anwendet, ist man in, man nennt es, Konformität mit dem Gesetz."

Selbstverständlich kann auch eine andere Testmethode angewandt werden, denn Normen sind, wie bereits erwähnt, traditionell freiwillig. In diesem Fall aber muss man dann nachweisen, dass man in Konformität mit dem Gesetz handelt. Auf europäischer Ebene besteht eine besondere Zusammenarbeit zwischen der Kommission als gesetzgebende Instanz, der EFTA und dem Europäischen Komitee für Normung. Im Rahmen ihrer "Neuen Konzeption" hat die EU festgelegt, in ihren Richtlinien nur noch die grundlegenden Anforderungen an Produkte oder Dienstleistungen vorzugeben. Die konkrete Ausformulierung dieser Rechtsbegriffe erfolgt durch den Verweis auf so genannte harmonisierte Europäische Normen, die in den Aufgabenbereich des Europäischen Komitees für Normung fallen, so Ruth Seibicke:

"Die Hauptaufgabe vom Europäischen Komitee für Normung CEN ist die Entwicklung von Normen, das sind hauptsächlich Spezifikationen technischer Art und wir sind dabei die Dachorganisation für alle europäischen Normungsinstitute, wie z.B. das CNI in der Tschechischen Republik oder DIN in Deutschland. Von unserem Selbstverständnis ausgehend tragen wir zum Wirtschaftswachstum in Europa und zum Wohlergehen der Bürger und Umwelt bei."

Im letzten Jahr wurden vom Europäischen Komitee für Normung 1.200 Normen ausgearbeitet, ein Drittel davon ist global gültig, also ident mit den Normen der ISO, der International Organization for Standardization. Die europäischen Normen müssen von den nationalen Normungsinstituten, wie beispielsweise auch dem Ceský normalizacní institut, dem tschechischen Normungsinstitut, übernommen werden. Dieses ist als erstes Institut eines osteuropäischen Landes bereits seit 1997 Vollmitglied der europäischen Normungsgemeinschaft. 2.500 Normen werden hier jährlich ausgearbeitet, nur mehr zehn Prozent davon sind rein nationale Normen.

Der Schein, es gäbe ein Zuviel an Normen, trügt: Normungsprozesse werden fast zur Gänze von der Industrie finanziert und diese befinde sich bereits seit Jahren auf striktem Sparkurs, wie Ruth Seibicke, Pressesprecherin des Europäischen Komitees für Normung weiter ausführt:

"Ein Übermaß an Normung gibt es auf keinen Fall dadurch, dass einfach die Mittel der Industrie auf jeden Fall beschränkt und auch alle Normen mindestens alle fünf Jahre wieder überarbeitet werden müssen, um zu schauen, ob sie noch relevant und vom Markt nachgefragt sind und jede Norm, die dieser Prüfung nicht standhält, verschwindet sofort."

Auch Otakar Kunc, Direktor des Tschechischen Normungsinstitutes, hat einen distanzierten Zugang zu den Vorwürfen der Übernormung. Schließlich würden Normen und Gesetze nicht nur häufig verwechselt, sondern es gebe auch einige hartnäckige Mythen in der Bevölkerung, was Normen anbelange. Außerdem werde häufig der EU mehr Verwaltungsstarrheit zugeschrieben, als dies tatsächlich der Fall sei. Und welche Gesetze und Normen seiner Meinung nach nun ein Osterei erfüllen sollte, sieht er ganz pragmatisch:

"Es sollte nicht kleiner als ein Taubenei und nicht größer als ein Straußenei sein. Die Schale muss ganz weiß und fleckenlos sein, damit man es gut färben kann. Die Ostereier sollten kein Cholesterin enthalten, damit der zu erwartende Konsumanstieg zu Ostern keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit der Europäer hat."

Dass es denn auch wirklich ein einwandfreies Hühnerei war, von dem vor uns nur mehr die bunte Schale übriggeblieben ist, dafür sorgen dann schon die einschlägigen Gesetze und Normen der EU.





Folgende Hinweise bringen Ihnen noch mehr Informationen über den Integrationsprozess Tschechiens in die Europäische Union:



www.integrace.cz - Integrace - Zeitschrift für europäische Studien und den Osterweiterungsprozess der Europäischen Union

www.euroskop.cz

www.evropska-unie.cz/eng/

www.euractiv.com - EU News, Policy Positions and EU Actors online

www.auswaertiges-amt.de - Auswärtiges Amt