Olympia: Tschechien tritt mit 115 Athletinnen und Athleten in Tokio an
Woran angesichts Corona kaum noch jemand zu glauben wagte, wird in knapp zwei Tagen Realität: Am Freitagabend (Ortszeit) werden in Tokio die XXXII. Olympischen Sommerspiele eröffnet. In Fernost wollen auch tschechische Athletinnen und Athleten Medaillen gewinnen.
Tschechien hegt Medaillenhoffnungen im Kanusport, Judo und Klettern
Bei Olympia in Tokio werden – letzten Meldungen zufolge – insgesamt 115 Sportlerinnen und Sportler aus Tschechien an den Start gehen. Unter ihnen ist auch der einzige Goldmedaillengewinner der Spiele von 2016 in Rio de Janeiro, der Judoka Lukáš Krpálek. Vor fünf Jahren wurde er Olympiasieger im Halbschwergewicht. Jetzt kämpft der 30-Jährige eine Gewichtsklasse höher, im Schwergewicht. Auch hier kann er schon auf große Erfolge verweisen. So wurde er 2018 Europameister und ein Jahr später Weltmeister in der Kategorie über 100 Kilogramm. Im Corona-Jahr 2020 aber wurde Krpálek unter anderem durch eine Infektion mit dem Virus zurückgeworfen, so dass er in Tokio nicht unbedingt zu den Top-Favoriten zählt. Nichtsdestotrotz will der Wahl-Prager nicht nur als Zaungast am olympischen Judo-Turnier teilnehmen:
„Ich werde alles dafür tun, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Wenn es nicht gelingt, dann klappt es halt nicht. Aber ich werde ganz sicher auf die Matte gehen, um alles zu geben. Wenn der Zufall es dann so will, dass ich keine Medaille mitnehme, dann will ich später wenigstens sagen können: Mehr war nicht drin.“
Doch trotz der Schwere seiner Aufgabe bleibt Krpálek optimistisch. Zumal Japan das Mutterland des Judosports ist und er selbst vor zwei Jahren in Tokio Weltmeister geworden ist. Das schaffte er in der legendären Olympiahalle gleich neben dem Kaisergarten, in der 1964 die weltbesten Judokas ihre ersten Olympischen Spiele austrugen. Auch deshalb ist Krpálek hochmotiviert:
„Dass Olympia jetzt ausgerechnet im Ursprungsland des Judos, in Japan stattfindet, hat für uns Judoka ein enormes Gewicht. Deshalb sagen auch alle: Jede olympische Medaille, die hier gewonnen wird, hat den allerhöchsten Stellenwert.“
Von seinem ersten olympischen Edelmetall träumt auch der beste tschechische Rennkanute der Gegenwart, Martin Fuksa. Der Athlet aus Nymburk / Nimburg in Mittelböhmen hat als Top-Athlet im Einer-Canadier schon zwölf Goldmedaillen bei internationalen Meisterschaften eingefahren, davon zwei bei einem WM-Wettbewerb. Doch damit ist sein Erfolgshunger noch lange nicht gestillt, wie der 28-Jährige verrät:
„Ich habe mehr als nur zehn EM-Goldmedaillen, ich habe auch noch silberne und bronzene gewonnen. Doch zur Präsentation dieser Plaketten findet sich immer Platz. Das Familienhaus meiner Eltern ist ziemlich groß, dort lässt sich noch einiges unterbringen.“
Fuksa sagt aber ebenso, dass er kein Mann von großen Sprüchen sei, sondern seiner eigenen Linie immer treu geblieben ist:
„Ich schaue nicht gern auf meine Konkurrenten, sondern versuche stets meinen eigenen Weg zu gehen. Das heißt, ich will immer mein Bestes geben und am Ende sehen, wozu es reicht. Ich denke, es macht keinen Sinn, sich von den Gegnern nervös machen zu lassen. Natürlich interessiert es mich, mit welcher Form sie aus ihrer Saisonvorbereitung kommen, doch im Wettkampf selbst zählt das nicht mehr für mich. Da versuche ich, mich ganz auf mich zu konzentrieren.“
Überhaupt sind die Tschechinnen und Tschechen sehr gute Bootsfahrer. Denn auch im Kanuslalom auf dem Wildwasserkanal gehören sie seit vielen Jahren zu den Weltbesten. Der ambitioniertes unter ihnen ist der Doppelweltmeister im Einer-Kajak und in der Kajak-Staffel, Jiří Prskavec:
„Ich fahre nach Tokio als Nummer eins der Weltrangliste und amtierender Weltmeister im Einer-Kajak, was keine leichte Position ist. Denn ich höre nichts anderes, als dass man von mir Gold erwartet. Doch wer unseren Sport kennt, der weiß, wie ungeheuer schwer und unergründlich jeder Wettkampf ist. Von daher reise ich in Japan an mit dem Ziel, allen zu zeigen, was ich draufhabe.“
Nicht ganz so hohe Erwartungen werden in Tschechiens beste Kajak-Fahrerin Kateřina Kudějová gesetzt, auch wenn die 31-Jährige ebenso schon auf drei WM-Titel verweisen kann. Diese gewann sie in jüngeren Jahren, doch auf keinen Fall will die Pragerin nur unter „ferner liefen“ in die olympischen Geschichtsbücher eingehen:
„Ob ich nun Vierte oder nur Fünfzehnte werden könnte, ist völlig egal. Ich weiß nur eines: Bei Olympia geht es immer um die ersten drei Plätze.“
Sportgeschichte kann auch Tschechiens bester Sportkletterer, Adam Ondra, schreiben. Denn seine Sportart ist zum ersten Mal olympisch. Der Brünner gilt als Ausnahmetalent seines Metiers. Das bewies er beispielsweise in Norwegen beim Klettern in seiner Lieblingswand mit dem Namen „Silence 9c“. Ondra hat die 45 Meter lange, extrem überhängende Route als Erster von bisher zwei Kletterern durchstiegen. Das war im September 2017. Für die Olympiateilnahme aber konnte der 28-Jährige das Ticket erst in einer harten Qualifikation lösen. Um in seinen Leistungen noch stabiler zu werden, hat er seine Haltung als Autodidakt aufgegeben. Er hört mittlerweile auch auf die Ratschläge seines Trainers Petr Klofáč. Und der sagt über seinen Schützling:
„Selbstverständlich ist er in der Lage, viele Dinge selbst zu machen. Sein vorheriges Training war wirklich nicht schlecht. Es war sehr intuitiv und gut aufgebaut. Aber natürlich konnte ich ihm auch zu einem etwas anderen Blickwinkel verhelfen, wobei ihm paradoxerweise einige Grundlagen des Sports fehlten. Er war genial darin, wie er schon in frühester Kindheit zu Klettern begann. Einige Dinge aber sind dabei zu kurz gekommen.“
In Tokio will Ondra nun beweisen, dass er weiter dazugelernt hat.
Olympia-Debütanten und Methusalems
Olympische Spiele bedeuten aber nicht nur, Kampf um Rekorde, Medaillen und vordere Plätze, sondern auch eine tolle völkerverbindende Stimmung. Das ist auch der Grund dafür, warum sich eine tschechische Reiterin vor etwa neun Jahren, im Vorfeld der Spiele 2012 in London, für diesen großen Sportevent begeistert hat. Die Rede ist von der 24-jährigen Anna Kellnerová:
„Es klingt ein wenig sonderbar, aber ich schaute damals auf die olympische Reklame. Da war zu sehen, wie die Eltern ihre Kinder wecken, mit ihnen zum Training fahren, oder sie zum Arzt bringen, wenn sie sich verletzt haben. Es wurde gezeigt, wie die Eltern den ganzen Weg ihrer Kinder begleitet haben, und dieser dann in das große Ziel, eine Olympiateilnahme, mündete. Das hat in mir sehr starke Emotionen geweckt, und ich habe mir gewünscht, dies auch einmal zu erleben.“
Anna Kellnerová hat während ihres bisherigen Werdegangs auch sehr große Unterstützung von ihrem Vater erhalten. Es ist kein Geringerer als der tschechische Milliardär und Unternehmer Petr Kellner. Ende März dieses Jahres kam Kellner jedoch bei einem Hubschrauberabsturz auf Alaska ums Leben.
Viel erlebt in seiner Sportkarriere hat demgegenüber der Sportschütze David Kostelecký. Der 46-Jährige nimmt in Tokio schon zum sechsten Male bei Olympia teil, bei den Spielen 2008 in Peking holte er die Goldmedaille in der Disziplin Trap des Wurftaubenschießens. Trotz seiner zahlreichen Wettkämpfe, ist das bevorstehende Highlight selbst für ihn eine ganz neue Erfahrung:
„In Japan bin ich noch nie gewesen, und ich weiß auch nicht, was uns dort erwartet. Wir haben einige Informationen und Fotos vom Schießstand, aber im Grunde genommen ist alles dort Neuland für uns.“
Ob die Konkurrenz in Tokio für ihn der letzte Wettbewerb bei Olympia sein könnte, ließ der Oldie vom Sportverein Dukla in Hradec Králové / Königgrätz vor dem Abflug nach Japan noch offen.
Ganz anderes mit Olympia verknüpft die Leichtathletin Tereza Ďurdiaková. In Fernost, genauer gesagt in Sapporo, wird die Geherin ihren ersten olympischen Wettkampf bestreiten. Hierfür kam ihr letztlich die Corona-Pandemie, wegen der die Spiele um ein Jahr verschoben wurden, sogar zupasse:
„Für mich geht ein Traum in Erfüllung. Auf eine Olympiateilnahme in Japan habe ich ständig gehofft, und 2020 sollte mein Jahr werden. Doch daraus ist nichts geworden. Paradoxerweise war das Coronavirus dann aber ein Plus für mich, denn im vergangenen Jahr hätte ich mich nicht für die Spiele qualifiziert.“
Das ganze Gegenteil ist demgegenüber Zuzana Hejnová, der zweifachen Weltmeisterin im 400-Meter-Hürdenlauf, widerfahren:
„Mich ärgert das sehr. Wenn die Spiele nicht verschoben worden wären, dann hätte ich im vorigen Jahr eine gute Leistung abliefern können. In diesem Jahr aber hat sich alles so schlecht gefügt, dass ich nicht in der Form bin, um mein Land auf dem Level zu repräsentieren, das ich von mir gewohnt bin. Und lediglich als Touristin wollte ich nicht dorthin fliegen.“
Tschechischer Fahnenträger gesucht
Bis zur Eröffnung der Spiele in Tokio verbleiben nur noch wenige Stunden. Zwei Wochen vor dem Auftakt hat die japanische Regierung indes beschlossen, wegen der angespannten epidemischen Lage im Land keine Zuschauer zuzulassen. Diese Nachricht hat auch den Vorsitzenden des Tschechischen Olympischen Komitees, Jiří Kejval, überrascht. Mittlerweile fiebert er aber schon dem ersten Höhepunkt entgegen.
„Die Eröffnungsfeier wird es gewiss geben, wenn auch ohne Zuschauer. Es werden auch kaum Vertreter aus Politik und Gesellschaft sowie von Sponsoren zugegen sein. Umso gespannter bin ich, wie den anwesenden Besuchern und den TV-Zuschauern die Kleidung unserer Olympioniken gefallen wird.“
Zur Eröffnungsfeier marschieren die Sportler der Teilnehmerländer hinter ihrem jeweiligen Fahnenträger ins Stadion. Das tschechische Team hat den seinigen noch nicht bestimmt. Dieser Posten wird zum wiederholten Male durch eine demokratische Wahl unter den Athletinnen und Athleten vergeben. Radfahrerin Tereza Neumannová hat ihre Entscheidung wohl schon getroffen:
„Ich werde meine Stimme wohl einem Spieler des Basketballteams geben, sehr wahrscheinlich dem Kapitän. Indem sich die Mannschaft im allerletzten Moment für Olympia qualifizierte, hat sie uns alle überrascht. Entsprechend riesig war die Freude unter den Sportfans unseres Landes. Also warum nicht.“
In die gleiche Kerbe schlägt auch der Judo-Olympiasieger von Rio, Lukáš Krpálek:
„Natürlich würde ich diese Ehre Tomáš Satoranský überaus wünschen. Er war der Antreiber des Teams bei der Qualifikation in Kanada. Meine Stimme erhält er ganz bestimmt.“
Und was sagt der scheinbar Auserwählte selbst dazu? NBA-Profi Satoranský:
„Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich weiß erst seit einer Woche, dass ich mit dem Team zu Olympia fahre. Das wäre eine unglaubliche Ehre für mich. Ich weiß nicht, ob ich die Rolle als Fahnenträger verdiene unter all den tollen Sportlern, die nach Tokio reisen. Aber es wäre phantastisch.“
Und damit steht wohl schon vor dem Auftakt fest: Auch diese Olympischen Spiele werden wieder viele neue Sportler-Geschichten schreiben.