Prager Botschaftsflüchtlinge durchs Objektiv – Blanka Lamrová stellt in Berlin aus

Das Tschechische Zentrum in Berlin hat in der vergangenen Woche eine Ausstellung von Fotos aus dem Jahr 1989 eröffnet. „Weg zur Freiheit“ ist der Titel der Schau und gezeigt werden Bilder der Flüchtlinge aus der DDR, die damals die bundesdeutsche Botschaft in Prag heillos überfüllten. Es sind beeindruckende Aufnahmen in Schwarzweiß, die die damalige dramatische Lage und zugleich den Freiheitswunsch der DDR-Bürger dokumentieren. Die Fotos stammen von Blanka Lamrová. In einer neuen Ausgabe unserer Sendereihe Aviso schildert die tschechische Fotografin die Entstehung der Fotos, ihre damaligen Gefühle angesichts der Lage und die Entstehung der Ausstellung.

Blanka Lamrová und Simona Menhert  (Foto: Tschechisches Zentrum Berlin)
Blanka Lamrová ist Fotografin der tschechischen Nationalgalerie. Ihr Büro liegt im obersten Stock des Messepalastes, von den riesengroßen Fenstern im Treppenhaus bietet sich ein wunderbarer Blick über Prag. Es ist ihr Prag, das sie durch das Objektiv schon auf so viele Arten festgehalten hat. Ihre große Leidenschaft sind die Spiegelbilder der Stadt in den Pfützen, doch seit der Wende wurde Prag saniert - und vom geebneten Pflaster sind viele ihrer Lieblingspfützen mittlerweile verschwunden. Im Jahr 1989 wurde Blanka Lamrová jedoch Zeugin einer ganz anderen Veränderung in den Straßen Prags:

Ausstellungsbesucher  (Foto: Tschechisches Zentrum Berlin)
„Ich habe in dieser Zeit damals in der Nationalgalerie auf der Prager Burg gearbeitet. Jeden Morgen bin ich durch die Waldstein-Straße zur Arbeit gegangen. Dort stellte ich fest, dass immer mehr Trabis und Wartburgs herumstanden, bis sie die ganze Straße zugeparkt hatten. Bei uns in den Medien wurde damals fast nicht darüber berichtet. Aber auf dem Weg zurück bin ich wiederum über den Kleinseitner Platz gegangen, der sehr bald schon voller deutscher Autos war.“

Mitte August entstanden Blanka Lamrovás erste Aufnahmen. Sie waren aus großem Abstand und heimlich fotografiert, da Polizei und Geheimdienst ein strenges Auge auf die bundesdeutsche Botschaft geworfen hatten. Es dauerte dann noch eine ganze Weile, bis sich Blanka Lamrová näher an die Botschaft herantraute.

„Als ich nach 14 Tagen endlich den Mut gefunden hatte, sah ich die große Menschenmenge vor der Botschaft – Menschen, die müde von der Reise waren, im Gesicht noch diese Unsicherheit, ob sie überhaupt in die Botschaft hineinkommen. Sie hatten Hunger und Durst, einige schliefen und waren von Koffern und Taschen umgeben. Ich war sehr bewegt und habe sie bewundert. Welchen Mut mussten sie aufbringen, um ihr Zuhause, ihre Freunde und ihr Eigentum zurückzulassen. Auf eine Wohnung oder ein Auto musste man in der DDR ja viele Jahre warten. Und sie reisten mit den Kindern mitten in die Unsicherheit. Aber ihr Wunsch nach Freiheit war so stark, dass er alles überragt hat.“

Das war die Lage vor der Botschaft, die Blanka Lamrová in großformatigen Fotos festhielt. Doch erneut dauerte es eine Weile, bis sie auch die buchstäblich andere Seite sah. Dazu musste man durch den Petřín-Park gehen:

„Als ich auf die andere Seite ging, um einen Blick in den Garten zu werfen, war ich völlig schockiert. Der Garten war voller Betten und Menschen. Das Wetter war nicht gerade günstig. Die Nächte waren kalt, es war regnerisch. Sie müssen dort echt unter harten Bedingungen ausgeharrt haben. Aber die Menschen im Garten waren glücklich, das spiegelte sich in ihren Gesichtern wieder.“

Die Besuche bei der Botschaft wurden nun Lamrovás regelmäßige Beschäftigung. Den Kindern brachte sie Waffeln, Schokolade und Vitamine mit, an Geschäften mit den Erwachsenen wollte sie sich aber nicht beteiligen. Es gab genügend tschechische Zaungäste, die den erwachsenen DDR-Flüchtlingen gegen Geld Alkohol und Zigaretten besorgten.

„Ich begann täglich dorthin zu gehen. Mit den Flüchtlingen habe ich mich aber nicht unterhalten, ich spreche kein Deutsch, Englisch kam mir auch nicht in den Sinn. Mir war wichtig, mich über die Bilder mitzuteilen. Ich habe ungefähr fünf Wochen lang jeden Tag fotografiert. Manchmal bin ich auch anstatt Mittag zu essen dorthin gegangen. Mit der Zeit wurde mir klar, dass dies ein historischer Wendepunkt ist, dass hier Geschichte geschrieben wird und etwas Ähnliches schon bald bei uns geschehen müsste. Da fiel ja schon fast die Mauer. Und das wollte ich dokumentieren“, so Lamrová.

Fünf 36er-Filme hat Blanka Lamrová von den Botschaftsereignissen 1989 verschossen. An eine Veröffentlichung der Bilder war vor der Wende nicht zu denken, aber auch danach schienen die Aufnahmen in Vergessenheit zu geraten. Wie kam es dann aber zur Veröffentlichung?

„Das entstand rein zufällig. Als Mitglied des Verbandes der Berufsfotografen bin ich wohl im Jahr 2003 zum Verband gegangen, um meinen Beitrag zu entrichten. Und als ich ankam, legte die Sekretärin gerade den Telefonhörer auf und sagt einfach so: ´Da will jemand von der deutschen Botschaft wissen, wer die Botschaftsflüchtlinge damals fotografiert hat.´ Da habe ich mich gemeldet, und so begann das alles.“

Als Blanka Lamrová in der deutschen Botschaft schilderte, wie viele Aufnahmen sie gemacht hat, entstand die Idee zu einer Ausstellung. Das erste Mal wurden die Bilder im Jahr 2004 in der Galerie Millenium in der Vlašská-Straße gezeigt – also genau in jener Straße, sagt die Fotografin, durch die damals die Massen der Ostdeutschen gezogen waren. Dann dauerte es aber noch einmal fünf Jahre, ehe die bewegenden Bilder erneut gezeigt wurden. Diesmal kam der Impuls von tschechischer Seite, vom Tschechischen Zentrum in Dresden:

„In Dresden war die Auswahl kleiner, etwa 25 Fotos. In Berlin sind es jetzt ungefähr 30 Aufnahmen, und ich habe auch ein paar Änderungen vorgenommen, damit es abwechslungsreicher ist. Gezeigt werden Aufnahmen vor und hinter der Botschaft sowie des Gartens. Ich hatte damals keine Möglichkeit, auf das Gelände der Botschaft zu gelangen, sie sind also nur von außen aufgenommen.“

Trotz aller Bescheidenheit der Fotografin: Die Bilder von Blanka Lamrová zeigen den gesamten Umfang des damaligen Dramas. Die Ausstellung ist in Berlin übrigens an einem Ort zu sehen, der mit der deutsch-deutschen Geschichte verbunden ist: im Bildungszentrum der Stasi-Unterlagen-Behörde am Checkpoint Charly.

Autor: Till Janzer
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