Prager Quadriennale 2011: Treffpunkt von Bühnenkünstlern aus 62 Ländern

Foto: ČTK

Seit vergangenem Donnerstag gilt Prag als Zentrum des Welttheaters. Zum zwölften Mal findet hier ein weltweit führendes künstlerisches Event statt: die Prager Quadriennale. Seit 1967 bietet sie alle vier Jahre eine Präsentation zeitgenössischer Arbeiten in einer Vielzahl von Disziplinen und Genres der bildenden Künste. Diesmal allerdings zum ersten Mal unter einem neuen Titel: „Prager Quadriennale für Bühnenbild und Theaterraum“. Teilnehmer aus 62 Staaten - eine Rekordzahl in der Geschichte der Veranstaltung - stellen sich dem Wettbewerb um die Goldene Triga und andere prestigeträchtige Auszeichnungen. In den Tagen vom 16. bis 26. Juni werden insgesamt mehr als 40.000 Menschen, die im Bereich Theater und Performance professionell arbeiten, Studierende und Besucher aus aller Welt in Prag erwartet. Kurz vor der Eröffnung der Quadriennale sprach Jitka Mládková mit der Exekutivdirektorin Daniela Pařízková.

Nicht nur Kostüm, Beleuchtung, Sounddesign und Architektur für alles, was auf der Bühne geschieht, sondern auch Multimediaperformance, zahlreiche Installationen sowie Live-Auftritte und Gespräche mit Künstlern - die 12. Prager Quadriennale bietet dies und vieles mehr. Damit ist sie auch wesentlich mehr als eine traditionelle internationale Wettbewerbsausstellung. War dies ein Grund, ihren Namen etwas anders zu definieren? Eine Frage für die Exekutivdirektorin der Quadriennale, Daniela Pařízková:

Daniela Pařízková  (Foto: ČTK)
„Wir wollten, dass die Quadriennale ein breites inhaltliches Spektrum umfasst. Das soll auch die Zusammenarbeit von Künstlern aus miteinander verwobenen Fachbereichen besser reflektieren, so wie es schließlich den modernen Trends entspricht. Dass es sich nicht mehr nur um das Bühnenbild und die Theaterarchitektur, sondern auch um ein breit angelegtes Multi-Genre-Projekt handelt, das soll der neue Quadriennale-Titel durchaus signalisieren.“

Doch ist damit nur das Neue bei der Quadriennale 2011 gemeint, oder reflektiert der neue Titel vielleicht auch „rückblickend“ den Inhalt der letzten Veranstaltung vor vier Jahren?

Quadriennale 2011  (Foto: ČTK)
„Im Prinzip geht es um die Reflexion der Inhalte des Jahrgangs 2007. Aber schon 2003 war klar, in welche Richtung sich alles entwickeln würde. Daher haben wir uns gleich zu Beginn der Vorbereitungen für die Prager Quadriennale 2011 auf den neuen Titel geeinigt, der sowohl die Tendenzen von früher reflektiert, als auch das Neue ankündigt.“

In Prag wird die Welt des Theaters in drei zentralen Wettbewerbssektionen präsentiert. Es sind die Sektion „Länder und Regionen“, die Sektion „Studenten“ und die Sektion „Architektur“. Mehr als bei früheren Jahrgängen soll diesmal ganz Prag eingebunden werden. Dem entspricht die Auswahl der Veranstaltungsorte: Von der Hauptausstellung im funktionalistischen Gebäude der Nationalgalerie - dem Veletržní palace (Messepalast) – reicht sie bis zur mittelalterlichen Kirche St. Anna - heute als Prager Kreuzweg bekannt (Träger ist Václav Havels Vize-Stiftung). Auch die Nová scéna, die ehemalige Laterna Magica, wo seinerzeit der weltbekannte tschechische Bühnenbildner Josef Svoboda wirkte, bildet einen Teil der Prager Qadriennale 2011. Hinzu kommt der öffentliche Raum, der vermehrt genutzt wird. Pařízková verweist hier auf einen Trend:

Quadriennale 2011  (Foto: ČTK)
„Gerade das Wort ´Theaterraum´ im neuen Quadriennale-Titel weist darauf hin, dass das Theater nicht mehr wie früher nur in klassischen Theatergebäuden gespielt wird. Im Prinzip werden Theaterprojekte seit Jahrzehnten auch für andere Räume geschaffen, was sich in jüngster Zeit weltweit deutlich manifestiert. Diese Projekte werden inzwischen auch hierzulande in verschiedenen Räumen realisiert, die früher anderen Zwecken dienten. Zum Beispiel in ehemaligen Industriehallen oder Kohlegruben. In die diesjährige Quadriennale-Sektion für Theaterarchitektur wurden daher in erheblichem Maße auch Schauplätze einbezogen, in denen Projekte des tschechischen zeitgenössischen Theaters aufgeführt werden.“

Oper ´Les Enfantes terrible´,  die das Prager Nationaltheater in der psychiatrischen Klinik spielt  (Foto: Hana Smejkalová,  Archiv des Nationaltheaters)
Im Vergleich mit einigen westeuropäischen Ländern wurde allerdings hierzulande erst spät begonnen, Theaterprojekte in den öffentlichen Raum zu verlagern.

„Das stimmt. Bei uns haben bisher eher alternative Bühnenprojekte in die Nicht-Theater-Räume Einzug gehalten. In jüngster Zeit verlassen aber auch große Theaterhäuser den herkömmlichen Spielraum. Einen Beweis dafür stellt im Rahmen der Prager Quadriennale die Oper ´Les Enfantes terrible´ von Phillip Glass dar, die das Prager Nationaltheater im ehemaligen Küchenraum der psychiatrischen Klinik im Stadtteil Bohnice spielt. Es ist eigentlich das erste Mal, dass dieses Opernhaus in einen derart untraditionellen Spielraum geht. Der Impuls kam vom Vorbereitungsteam der Quadriennale, und wir freuen uns sehr, dass unsere Theaterbühne Nummer eins dies gewagt hat. Ich glaube, dass sie Nachfolger haben wird.“

„Tears of Stalin - eine Explosion der Stille“
Ein anderes Projekt, das die Prager Qadriennale-Organisatoren initiiert haben, heißt „Tears of Stalin - eine Explosion der Stille“ („Stalinovy slzy – exploze ticha“). Diese urban eingreifende Zusammenkunft von mehr als 500 Menschen wird im Stadtzentrum unter der Leitung einer Regisseurin umgesetzt, die aus Deutschland stammt, aber derzeit in Wien engagiert ist:

„Es ist Claudia Bosse, die in Prag eine große Performance im Stadtzentrum gestalten will. Sie wird zum Teil als visuelle Installation auf der Letná-Höhe und zum anderen auch durch eine spektakuläre Aktion für rund 500 Menschen in der Pariser Straße dargeboten. Von der Logistik her ist es sehr anspruchsvoll, so etwas zu realisieren. Hoffentlich gelingt es auch. Freiwillige sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Es kann jedermann beliebigen Alters und Geschlechts sein. Damit wollen wir demonstrieren, dass solche Projekte in anderen Ländern zustande kommen, und wir hoffen, dadurch auch Prag zu inspirieren.“

„Tears of Stalin - eine Explosion der Stille“
Andrea Bosses Projekt sei speziell für Prag vorbereitet worden, sagt Daniela Pařízková und ergänzt:

„Vorausgegangen war eine mehrjährige Forschungsarbeit – das heißt Recherchen zum Standort der früheren Stalin-Statue oberhalb von Prag auf der Letná. Hinzu kam nach und nach eine ganze Skala weiterer Zusammenhänge - historischer, sozialer, politischer oder solcher, die in unserer Gegenwart verankert sind. Diese Performance soll eine Reflexion sein, wie die Bewohner der Stadt den öffentlichen Raum wahrnehmen beziehungsweise erleben und in welchem Verhältnis sie zu ihm stehen: in der Vergangenheit und in der Gegenwart.“

Hauptpreis „Goldene Triga“  (Foto: Archiv der Prager Quadriennale)
Deutsche Aussteller haben bereits viele Male in Prag die wichtigsten Preise gewonnen. So ging zum Beispiel der Hauptpreis „Goldene Triga“ in den Jahren 1971 und 1983 an die deutschen Aussteller. Bei der vergangenen Prager Quadriennale von 2007 zum Beispiel holten der Bühnenbildner Johannes Schütz und der Regisseur Jürgen Gosch die Goldmedaille für die beste Umsetzung einer Produktion. Bei der 12. Prager Quadriennale präsentiert sich Deutschland mit dem folgenden Thema:



„Play Bauhaus“  (Foto: Archiv der Prager Quadriennale)
„Die deutsche Ausstellung, kuratiert von Torsten Blume, setzt diesmal einen Fokus auf das theatralische und bühnenbildnerische Potential der vergangenen Ära des industriellen Modernismus, kurzum auf das ´Bauhaus´-Konzept und seine Botschaft für die Gegenwart, in der die Grundideen des Bauhauses immer noch Anwendung finden. Im Rahmen der deutschen Präsentation wird auch die Ruhrtriennale vorgestellt, die ähnlich wie die Prager Quadriennale ein spartenübergreifendes Festival ist. Wir freuen uns über die Vernetzung von Bauhaus und Ruhrtriennale.“

„Play Bauhaus“  (Foto: Archiv der Prager Quadriennale)
In Künstlerkreisen ist die Ruhrtriennale bestimmt auch hierzulande kein unbekannter Begriff. Durch ihre Vorstellung in Prag kann sich allerdings auch die breitere tschechische Öffentlichkeit mit dieser bedeutenden Kunstveranstaltung vertraut machen.

Der deutsche Beitrag wird sich über die Nationalgalerie hinaus mit der Tanzinstallation „Play Bauhaus - jam out“ bis ins Prager Zentrum erstrecken, wo in den Straßen Lese-Demonstrationen und Tanz-Performances stattfinden sollen. Torsten Blume hat das Bauhaus-Thema auch in das Studentenprojekt „Play Bauhaus – move the space“ integriert.

Quadriennale 2011  (Foto: ČTK)
Dies leitet über zum eigenartigen Begleitprogramm der Prager Quadriennale, dem „Scenofest“, das von Studierenden gestaltet wird. Vor vier Jahren nahmen daran rund 2000 Studierende aus aller Welt teil. Das Bildungsprojekt der Prager Quadriennale und des Oistat - des Weltverbandes der Szenographen - bietet diesmal sechs ortspezifische Darstellungen, 60 Performances von Studierenden und über 50 Workshops unter der Leitung von international renommierten Künstlern und Theoretikern. Daniela Pařízková:

Quadriennale 2011  (Foto: ČTK)
„Die Studentensektion bildet einen traditionellen Teil der Prager Quadriennale seit den 1970er Jahren. Die Studenten präsentieren die Kunsthochschulen und deren unterschiedliche Bildungsprogramme in verschiedenen Disziplinen des modernen Bühnenbilds. Die Werke der Studenten sind sehr interessant und attraktiv auch für die Öffentlichkeit. Diesmal steht den angereisten Studenten das ganze Gebäude der Fakultät für Theaterwissenschaften zur Verfügung. Auch sie beschäftigen sich in ihren Workshops mit Kostüm-, Ton- und Lichtdesign, den digitalen Medien, aber auch mit der interdisziplinären Dramaturgie, die bei der Vorbereitung moderner Inszenierungen immer mehr Anwendung findet. Zum ersten Mal werden sich die Studenten zudem im öffentlichen Stadtraum von Prag präsentieren. Zum Beispiel auf dem Jungmann-Platz, wo während der Quadriennale ein Theaterfestival mit studentischen Vorstellungen aus der ganzen Welt stattfindet.“

Markus Schinwald: Stage Matrix III.  (Foto: ČTK)
Kurz gesagt, die Prager Quadriennale bietet Themen in Hülle und Fülle, die man bei weitem nicht einmal alle aufzählen kann. Eine Besonderheit in diesem Jahr der Prager Quadriennale sollte aber auch erwähnt werden. Es ist das originelle Projekt „Intersection: Intimacy and Spectacle“ (Schnittpunkt: Intimität und Schauspiel) das direkt im Stadtzentrum um eine interaktive Outdoor-Performance angesiedelt ist. Der Pragbewohner oder Pragbesucher kann hier auf eine Entdeckungsreise durch 30 unterschiedlich große Boxen gehen, die jeweils von einem international anerkannten Künstler „besetzt“ sind. Und das ist wörtlich gemeint, denn Künstler wie Romeo Castellucci, Anna Viebrock, Ilya und Emilia Kabakov, Markus Schinwald oder Ulla von Brandenburg werden in diesen Boxen sein und können dort besucht werden.

Quadriennale 2011  (Foto: ČTK)
„´Intersection´ ist auch ein von dem Prager Quadriennale-Team kuratiertes Projekt. Wir sind nämlich bestrebt, für jeden Jahrgang ein eigenes Projekt vorzubereiten, das unseren Vorstellungen vom modernen Theater und Bühnenbild entspricht. Das Intersection-Projekt auf der Piazzetta zwischen den Gebäuden des Nationaltheaters und der ehemaligen Laterna Magika soll den interdisziplinären Charakter des heutigen Theaters demonstrieren. Die Passanten sind eingeladen, sich dort vor Ort aufzuhalten, eine Box zu betreten, dann eine andere zu betreten oder in einer Box für Stunden zu bleiben, dabei die Gedanken und Emotionen des Künstlers wahrzunehmen oder mit dem Live-Darsteller zu interagieren. Bei dieser sozusagen Live-Ausstellung kommen die Künstler mit den Menschen, für die sie ihre Werke geschaffen haben, in unmittelbaren Kontakt. Viele freuen sich darauf.“

Über die einmalige Gelegenheit, Prag in der Perspektive der internationalen zeitgenössischen Kunst neu zu entdecken, sagt die Exekutivdirektorin und Mitgestalterin des Quadriennale 2011-Programms, Daniela Pařízková, abschließend:

„All diese Veranstaltungen sollen zeigen, dass Prag über das Potential verfügt, der Schauplatz eines derartigen Events zu sein.“

Wer zudem gespannt ist, an wen die mit neun prominenten Künstlern aus der ganzen Welt besetzte Jury die Preise in den verschiedenen künstlerischen Gebieten verleihen wird, der wird sich aber bis zum 26. Juni gedulden müssen.