Prager Quadriennale 2003
Im Rahmen des grossen Kulturangebots wird gerade in der tschechischen Hauptstadt die 10. internationale Ausstellung für Szenografie und Theaterarchitektur, die Prager Quadriennale veranstaltet. Bis zum 29. Juni kann diese sinnlich atemberaubende Schau noch besichtigt werden. Einiges mehr darüber erfahren wir nun von Brigitte Silna:
In den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts waren tschechoslowakische Künstler äußerst erfolgreich auf grossen Expositionen im Ausland. Insbesondere die Theaterkünstler Frantiek Tröster und Josef Svoboda erwarben bei der Biennale in Sao Paulo höchste Preise, was eigentlich 1967 den Anlass zur Gründung der Prager Quadriennale gab. Unterstützt von der UNESCO, findet sie seitdem traditionell im so genannten Industriepalast statt, der Ende des 19. Jahrhunderts im Jugendstil als Glas-Eisen-Konstruktion anlässlich der Weltausstellung in Brüssel erbaut worden war. Anfangs beteiligten sich 19 Länder, und nun sind es 50 Nationen aller Kontinente, wobei diesmal Indien, Ozeanien, Peru und Taiwan hinzugekommen sind. Die historisch-gesellschaftlichen Reflexionen in der Entwicklung der Prager Quadriennale, kurz PQ genannt, beschreibt der Direktor des Prager Theaterinstituts und der diesjährigen Ausstellung, Ondrej Cerný:
"Die Prager Quadriennale war eigentlich immer eine offizielle Sache. Aber der Ursprung, die Gründung im Jahre ´67 war eine spontane Welle und es war doch ein Teil der tschechischen 60er Jahre, die in der Kultur damals so stark waren, was Film oder Theater betrifft. Und es war wirklich so, irgendwo in Sao Paulo haben sich die Szenografen der ganzen Welt entschieden - ja, wir wollen uns in Prag treffen und in Prag wollen wir so eine Ausstellung machen."
In der Zeit der "Normalisierung" zwischen 1968 und 1989 war die PQ zwar eine offizielle Veranstaltung, doch bot sie einen Blick in die Welt und ermöglichte wenigstens begrenzte Kontakte sowie künstlerischen Austausch. Nach der Wende gab es eine Krise in Motivation und Möglichkeiten. Fraglich wurde, ob erneut so viele Nationen zusammengeführt werden könnten und sie sich überhaupt präsentieren wollten. Gegenwärtig schauen wir auf das Paradox von Globalisierungsprozess, Integration und dem Bestreben nach nationaler Prägung, was der PQ neue Energie verliehen hat.
"Ich muss jetzt ganz persönlich sagen, dass ich im Jahre ´99 nicht ganz sicher war, ob PQ auch die Zukunft überlebt. Dieses Jahr bin ich ganz sicher - na ja, dass wir es vielleicht gepackt haben, alle diese Programme zu integrieren, um es wirklich lebendig zu machen - dass es nicht eine sterbende Ausstellung ist. Und die Leute wollen es, ganz einfach, sie wollen es. Wir haben dieses Jahr 3200 Gäste vom Ausland und die Zahl wächst ständig, auch die Zahl der Nationen. Ganz einfach, sie wollen es - und wir machen es gerne."
Die adaptierte Paraphrase "Das Labyrinth der Welt und Paradies des Theaters" nach dem Renaissance-Humanisten Komensky diente diesmal allen Ausstellern als gemeinsames Thema und Interpretationsangebot. Die Konfrontation und Komparation des Labyrinths unserer immer aggressiver werdenden Welt mit der Theaterkunst, die kurzweilig paradiesische Momente schaffen kann - ist hierbei das Ansinnen. Jaroslav Malina, Generalkommissar der PQ und erfahrener tschechischer Bühnen- und Kostümbildner, klärt die Frage, wie Alt und Neu, Tradition und Moderne bei dieser Begegnung aufeinandertreffen:
"Das ist wohl der interessanteste Moment, worauf ich immer in grosser Erwartung neugierig bin: heute zu entscheiden oder zu definieren, was Szenografie bedeutet. Da gibt es ein so breites Spektrum möglicher Formen - das trifft gleichzeitig auch auf die Theaterarchitektur oder die Interaktion zwischen bildender Kunst und Theater zu. Heutzutage verschwinden zum Glück die Grenzen, was in Ordnung ist, und neue Medien finden Eingang ins Bühnendesign. Demgegenüber gibt es noch weiterhin das klassische Theater, gerichtet auf den Menschen, also das Theater anthropologischen Typs von Grotowski und anderen."
Den Kern der Prager Quadriennale bilden wie immer die beiden Sektionen der nationalen Expositionen und der Theaterarchitektur. Sie wetteifern um die Goldene Triga und Gold- oder Silbermedaillen als begehrte Auszeichnungen. Fester Bestandteil ist ebenfalls die Sektion der Szenografie-Schulen aus aller Welt, die ideenreich und experimentierfreudig beste Beispiele ihres Studiums zeigen. Darin integriert, bereitete die internationale Organisation der Szenografen, Theaterarchitekten und -techniker OISTAT das Länder über greifende Projekt SCENOFEST für Studenten mit Workshops, Vorträgen, Diskussionen und Performance vor. Alles Variationen zum Leitmotiv: "Der Lear unserer Zeit".
Der Szenografie-Student des 4. Studienjahrs an der Hochschule für Bildende Kunst Dresden, Matthias Koch, erklärt wohl für viele stellvertretend seine Motivation zur Teilnahme:
"Vielmehr geht´s ja darum, wenn wir die Sachen ausstellen, dass wir also nicht nur als Zuschauer da sind und wahrscheinlich ganz viele Sachen sehen können - so wenn man sich das Gelände anguckt, sondern dass man eben die Möglichkeit hat, durchaus doch mal in´s Gespräch zu kommen und einen Anhaltspunkt zu haben, nämlich für seine eignen Sachen. Und einfach mal zu gucken, wenn man die Sachen nebeneinander sieht, seine eignen und die von ganz anderen alternativen Kulturen und Menschen und selbst wenn es das Nachbarland ist - ist es einfach interessant zu sehen, wie sich da bestimmte Richtungen durchziehen. Und ich glaube, keines dieser Länder, die hier ausstellen kann seine Herkunft verbergen, will´s ja auch gar nicht. Aber das ist glaube ich das, was auffällt, wenn man da reingeht und erstmal erschlagen wird - und deshalb: teilnehmen!"
Hinzugekommen ist diesmal das sog. Herz der Quadriennale, eine lebendige, interaktive Ausstellung mit dem Untertitel "Infarkt der Konvention!", deren Aufbau von der neuseeländischen Szenografin Dorita Hannah erdacht wurde. Zentrales Thema ist die Erforschung der menschlichen Sinne. Hier erbringen Künstler aus unterschiedlichen Ländern der Welt zu Geruch, Geschmack, Sehvermögen, Tast- und Hörsinn ihre zum Teil lange vorbereiteten Szenen, Performance, Vorträge, Demonstrationen sowie weitere Programme, die in täglichem Marathon die Besucher in der zentralen Halle anlocken. Deutschland ist mit dem größten Drei-Sparten-Haus, dem Staatstheater Stuttgart, vertreten und demonstriert die Partnerschaft "unter einem Dach" quasi als Raum im Raum mit drei Eingängen - außen hell und einladend, innen feierlich purpur-rot und intim. Unter anderem ist hier eine Arbeit des Bühnenbildners, Regisseurs und Dozenten Frank Hänig beim Schauspiel präsent. In seiner Tätigkeit in Zypern und anderen Ländern erwarb er reiche Erfahrungen:
"Also wichtig ist immer, wenn man im andren Bereich der Welt arbeitet, im Ausland, dass man wirklich die Berührung mit anderen Kulturen hat. Das heißt, dass man auf eine andre Tradition trifft und eben auch auf ein anderes Verständnis von Wirklichkeit heute. Und das ist natürlich so ein Einfluss und in der Arbeit ganz wichtig. Man fängt die eigenen Standpunkte an zu überprüfen, seine eigenen ästhetischen Maßstäbe - und mir hat z.B. sehr geholfen, dass ich durch die Erfahrungen vor allem in Zypern, also wo einfach mal nicht soviel Geld fürs Theater da ist, wie das aus dem europäischen Raum kennen, angefangen habe, für mich den leeren Raum selber neu zu definieren. Das heißt, ich habe dort meine erste Produktion in einem Speicher gemacht, in einem byzantinischen, wo ein kleines Theater drin ist, und habe quasi das Angebot "leerer Raum" dann auch gestaltet - das war "Gordon" von Profini, also ein ziemliches Treffstück über eine Frau, die ihr Kind aus Liebe umbringt, weil man´s ihr wegnehmen will. Und das konntest du in solchen speziellen Räumen ganz anders angehen. Dann habe ich noch für´s Staatstheater in Nikosia z.B. "Kasimir und Karolina" im großen Haus gemacht und hab dort aber wieder versucht, Erfahrungen, die man mit der europäischen, der speziellen mitteleuropäischen Art der Probleme dort hat, das nach Zypern zu liefern. Das heißt, du hast einen doppelten Schritt: auf der einen Seiten kann man es genießen, dass man selbst Erfahrungen mit dem Fremden macht und selbst, was unser Eigenes ist, von außen einbringt. Also das ist ein doppeltes Geben und Nehmen."
Im Vorlauf wurden am 17. Juni sämtliche Preise verliehen. Die Goldene Triga ging diesmal, wie übrigens auch 1991, an die nationale Exposition von Großbritannien. Das letzte Mal blieb diese Auszeichnung in der Tschechischen Republik. Für seinen realisierten Komplex eines Musikparks in Rom erhielt der berühmte italienische Architekt Rienzo Piano die Goldmedaille. Ebenso in britische Hände gelangten die zwei Goldmedaillen für szenische Ausstattung und für Kostüme, und zwar ging die eine an Richard Hudson für die sehr ästhetisch klare und humorvolle Lösung der Händeloper "Tamerlan" und die zweite an Nicky Gillibrand für die Kostüme zu Shakespeares "Sommernachtstraum". Die Goldmedaille für eine komplexe künstlerische Ausstattung erwarben die schwedischen Künstler Lars-Ake Thessman und Karen Erskine mit ihrer "Elektra" von Richard Strauss. Mit einer extra Silbermedaille ehrte die internationale Jury die Exposition der Slowakischen Republik, die ein grünes Labyrinth darstellt und dem unlängst verstorbenen Szenografen Ales Votava gewidmet ist.
Im Rahmen der Aufgaben für Kinder auf der PQ können diese auch ihre Favoriten wählen, was moeglicherweise noch interessanter wird. Das Ergebnis wird dann am letzten Ausstellungstag bekannt gegeben. In die engere Wahl kam bisher der neuseeländische Beitrag, der besonders die kindliche Spiel- und Entdeckerfreude bedient. Am Ende hätten bei soviel Engagement doch alle 3200 Teilnehmer Preise verdient. Die nächste Chance gibt es dann 2007!