Premier Sobotka erläutert EU-Beschlüsse - Abgeordnete streiten über Krim-Krise
In diesen Tagen steht die Politik in Europa im Zeichen der Krim-Krise. In Tschechien wirkt sich das auch auf Institutionen wie das Parlament aus, aber vor allem gab es auch viel Erklärungsbedarf zu den Ergebnissen des EU-Gipfels.
Beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel reagierten die Staats- und Regierungschefs mit weiteren Kontensperrungen und Einreiseverboten für ranghohe Vertraute Putins. Zudem unterschrieben sie mit der ukrainischen Übergangsregierung den politischen Teil eines schon früher geplanten Assoziierungsabkommens. Auch der tschechische Premier Bohuslav Sobotka stimmte dafür, die Strafliste der EU zu verlängern und die Ukraine näher an die Union zu rücken. Am Freitagnachmittag trat Sobotka vor die Presse:
„Ich bin froh, dass die Europäische Union weiter in der Lage ist zu einem gemeinsamen Vorgehen in der Krise, auch wenn sie aus 28 Ländern besteht. Dieses gemeinsame Vorgehen bezieht sich sowohl auf die Beziehungen zu Russland als auch zur Ukraine. Die Krise wird allgemein als sehr ernst bewertet. Aus unserer Sicht muss ich sagen, dass es die wohl schwerste Sicherheitskrise in Europa ist seit dem tschechischen EU-Beitritt im Jahr 2004.“
Der ukrainische Interimspremier Arseni Jazenjuk war nach Brüssel gekommen, um den Vertrag mit der EU zu unterzeichnen. In seinem Statement sagte er unter anderem:„Dies ist der erste großartige Schritt für die Ukraine auf dem Weg zur vollen EU-Mitgliedschaft.“
Doch genau dies lässt sich aus dem Vertrag nicht herauslesen. Was die politische Entwicklung anbetrifft, ist er auch eine Ermahnung gegenüber Kiew. Denn so manche Schritte seit dem Sieg der Opposition gegen Präsident Wiktor Janukowitsch haben die europäischen Staats- und Regierungschefs eher nachdenklich gestimmt. Deswegen geht die Ukraine mit dem Assoziierungsabkommen auch Verpflichtungen ein – das sind in erster Linie Reformen zu einer weiteren Demokratisierung und zum Schutz der Minderheiten im Land. Die Forderungen an Kiew formulierte der Europäische Rat bereits am Donnerstag, wie der tschechische Premier am Freitag sagte:
„Ich halte die Ergebnisse der gestrigen Ratssitzung für außerordentlich wichtig. Denn die Europäische Union muss die Lage in der Ukraine realistisch sehen. Auch wenn die derzeitige Regierung in Kiew die Unterstützung der EU hat, so geschehen in dem Land Dinge, mit denen sich nur schwer übereinstimmen lässt. Ich denke da an einige rechtsextreme Äußerungen und den Fehltritt, das Sprachengesetz außer Kraft zu setzen, was auf negative Reaktionen des russischsprachigen Bevölkerungsteils gestoßen ist. In der Ukraine lebt eine ganze Reihe von ethnischen Minderheiten, nicht nur die russische, sondern auch die polnische oder rumänische. Die Regierung dort muss daher eine vorsichtige Politik führen und die Minderheiten möglichst weitgehend integrieren. Sie muss also selbst auch alles dafür tun, dass die territoriale Integrität der Ukraine gewahrt bleibt und der Staat in der Lage ist, sich auch weiter den Versuchen zur Abspaltung aus ethnischen Prinzipien entgegenzustellen.“ Während sich die europäischen Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen also einig waren, galt dasselbe nicht auch für die tschechischen Politiker. Am Freitag hielt das Abgeordnetenhaus eine Sondersitzung zur Lage rund um die Ukraine und Russland ab. Allerdings hatte es zuvor von einigen Parlamentariern Kritik gegeben an der Sitzung, sie bezweifelten ihren Sinn und hätten lieber über innenpolitische Themen diskutiert. In Abwesenheit des Premiers musste daher Außenminister Lubomír Zaorálek den Sinn der Debatte erläutern. Der Sozialdemokrat betonte, dass das Gewicht Tschechiens im Ausland auch davon abhänge, wie deutlich Positionen bezogen würden:„Nur wenn wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen, wenn wir uns auf gemeinsame Werte einigen können, die wir alle respektieren, und wenn wir eine einheitliche tschechische Außenpolitik präsentieren - nur dann haben wir in der heutigen Welt eine Stimme. Lasst uns also das Wesentliche suchen, auf das wir uns verständigen können. Denn das Abgeordnetenhaus dient auch dazu, gemeinsame Erklärungen zu fassen und gemeinsame Positionen in Europa zu beziehen. Sagt also nicht, dass sei kein wichtiges Thema und die Außenpolitik könne man auch auf später verschieben.“ Zaorálek mahnte seine Abgeordnetenkollegen, dass gerade die tschechische Geschichte zeige, wie außenpolitische Ereignisse auf einmal essenziell für den gesamten Staat werden können. Damit meinte der Minister die Besetzung der Sudetengebiete durch Hitler-Deutschland im Jahr 1938 und den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen 30 Jahre später. Und er fügte an:„Für Tschechien darf es nicht akzeptabel sein, dass jemand ein Referendum über Grenzen ausrichtet und die Prinzipien internationalen Rechts sowie internationale Verträge hintergeht. Wenn wir das zulassen und auf diese Weise Grenzen aufgelöst werden, dann werden wir in einem Umfeld leben, in dem vor allem das Recht des Stärkeren gilt. Dann entscheiden nur noch die Staaten mit dem größten Gebiet, den meisten Einwohnern und den größten Armeen. Und Länder wie Tschechien werden dann erst richtig klein sein."
Doch die Abgeordneten taten sich am Freitag schwer, ein gemeinsames tschechisches Interesse zu formulieren in den Beziehungen zur Ukraine und zu Russland. Deswegen wurde die Beschlussfassung nach zwei Stunden teils hitziger Debatte auf Dienstag vertagt.Vor allem die Kommunisten hatten eine gemeinsame Erklärung blockiert. Am Abend waren Zaorálek und Kommunistenchef Vojtěch Filip gemeinsam zur halbstündigen Spätnachrichtensendung im Tschechischen Fernsehen geladen. Filip kritisierte dabei das Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine. Dies sei verfrüht, man hätte erst auf Parlamentswahlen in der Ukraine warten sollen.
„Ich wundere mich irgendwie, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf ein solches Risiko mit Leuten einlassen, von denen sie nicht wissen können, ob sie sich wirklich wie Politiker verhalten werden“, so Filip.
Der kommunistische Politiker äußerte sich auch darüber besorgt, dass das Vorgehen der EU gegen Russland die Energieversorgung in Tschechien gefährden könnte. Doch Zaorálek verwies auf den Mangel an Alternativen:„Wollen wir etwa akzeptieren, was auf der Krim geschehen ist, indem wir sagen, dass die ukrainische Regierung fraglich sei und wir jede Menge Vorbehalte haben? Auf welche Seite sollen wir uns denn dann stellen?“