Publizistin Petruska Sustrova vergleicht Tschechien mit Polen

Papst Johannes Paul II., 1978 (Foto: CTK)

Für den Freitag wurde in Tschechien anlässlich der Bestattung von Papst Johannes Paul II. Staatstrauer ausgerufen. In allen Tageszeitungen erschienen seit dem Tod des Heiligen Vaters täglich Berichte und Kommentare, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit der Persönlichkeit des Papstes befassten. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen brachte mehrere Sendungen, die Johannes Paul II. gewidmet waren. Das Alltagsleben wurde durch den Tod des Papstes aber nicht beeinflusst. Mehr von Martina Schneibergova.

Papst Johannes Paul II.,  1978  (Foto: CTK)
Bis auf die offizielle Staatstrauer kann man in Tschechien kaum merken, dass hier um den Papst getrauert wird. Und wenn, dann nur hinter den Kirchenmauern - die Gläubigen haben für den verstorbenen Oberhirten gebetet, in ganz Tschechien wurden für ihn Messen gelesen. Im Vergleich mit dem Nachbarland Polen gibt es hier einen enorm großen Unterschied. Nach den Ursachen dafür fragte ich die Publizistin Petruska Sustrova:

"Das ist natürlich durch die unterschiedliche Religiosität gegeben. Hier hat man Religionskriege erlebt. Die Reformation wurde sehr hart unterdrückt. Das wird als große Ungerechtigkeit empfunden. In Polen war die Beziehung zu Gott hingegen immer sehr stark von der Vermittlung der katholischen Kirche geprägt. Die Jungfrau Maria wird sogar symbolisch als die Königin Polens bezeichnet. Es gibt da aber noch einen weiteren Faktor, der mit der Religiosität zusammenhängt: Die Tschechen erleben im Vergleich mit anderen Völkern viel weniger Gefühle von Hochachtung oder Pathos. Sie sind eher skeptisch. Dies ist, um offen zu sein, in vielen Situationen ganz angenehm. Aber beim Tod einer großen historischen Persönlichkeit werden wir uns plötzlich der Schwäche dieser Haltung bewusst, wenn wir z. B. die verschiedenen peinlichen Diskussionen im Internet lesen oder verschiedene rohe Bemerkungen hören. Das ist natürlich unangenehm. Und wir sehen, wie diese Unfähigkeit, Hochachtung oder Bewunderung gegenüber einer Größe zu empfinden, klein und verkrampft sein kann."

Als Papst Johannes Paul II. 1990 zum ersten Mal die Tschechoslowakei besuchte, erweckte sein Besuch große Euphorie. Auf dem Prager Letná-Plateau, wo er den Gottesdienst zelebrierte, versammelten sich Tausende von Menschen, von denen bei weitem nicht alle gläubig waren. Sie wollten einfach den Mann sehen, der zum Zusammenbruch des kommunistischen Regimes bedeutend beigetragen hatte. Auf diese Tatsache wurde zwar in den letzten Tagen fast in allen von den tschechischen Medien veröffentlichten Kommentaren hingewiesen, die junge Generation im allgemeinen verbindet den verstorbenen Papst mit dem Ende des Totalitarismus aber kaum noch. Petruska Sustrova meint:

"Die jüngere Generation sieht den Zusammenhang höchstwahrscheinlich nicht, denn dazu ist ein elementares historisches Bewusstsein notwendig. Jemand, der heute zwanzig ist, kann sich nicht daran erinnern, was damals geschah. Der Einfluss des Papstes auf die Solidarnosc in Polen - das ist etwas, worüber er in der Kindheit in den Medien nichts hören konnte. Ich befürchte, dass in unserem Schulwesen dieses grundlegende historische Bewusstsein nicht geboten wird. Denn die Mehrheit der Schulen beendet den Geschichtsunterricht vor dem Abitur mit dem Zweiten Weltkrieg. Von der modernen tschechoslowakischen Geschichte, vor allem von der Zeit nach 1968, bleiben die Schulabsolventen unberührt. In den Medien wird zwar hie und da darüber berichtet. Da geht es aber meistens nur um bestimmte Ausschnitte aus der Geschichte, die sich eher auf die größten Exzesse konzentrieren. Ich meine, dass die Zeitspanne von 1968 bis 1989 historisch und vor allem publizistisch in den Medien bislang nicht genügend bearbeitet wurde."