Reformieren oder abschaffen? Der Green Deal im EU-Wahlkampf in Tschechien

Der Green Deal hat in Tschechien keinen guten Ruf. Viele Menschen im Land geraten schnell in aufgeregtes Schimpfen über das geplante Verkaufsverbot von Benzinautos, und einige Parteien wollen gleich aus der EU-Klimapolitik aussteigen. Bei der Kritik wird allerdings nicht immer klar zwischen dem Green Deal an sich und einzelnen Gesetzen unterschieden. Andere Parteien hingegen versuchen einen pragmatischen bis positiven Umgang mit dem, was in der EU immerhin als Konsens zum Klimaschutz beschlossen wurde.

Foto: Pavel Buchta,  Pixabay,  Pixabay License

Über den Green Deal wird in Tschechien viel gesprochen. Die Meinungen, ob er gut oder schlecht sei, liegen jedoch weit auseinander. In den emotionalen Debatten geht leider häufig unter, worauf sich die Argumente konkret beziehen: auf den Green Deal als Rahmen – also die „Grüne Übereinkunft“, dass Europa bis 2050 klimaneutral sein soll – oder aber auf das Maßnahmenpaket „Fit for 55“, das mit konkreten Gesetzesvorschlägen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent vom Stand 1990 senken soll. Einer dieser Vorschläge ist das heiß diskutierte Verkaufsverbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren ab 2035.

Petr Mach tritt erstmals bei den Europawahlen an. Er ist Spitzenkandidat auf der gemeinsamen Liste der beiden Rechtsaußenparteien „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) und Trikolora. Im Interview mit Radio Prag International bleibt er zum Thema Green Deal zunächst sehr allgemein:

„Wir lehnen den Green Deal als Ganzes ab. Es ist ein fehlerhaftes und schlechtes Konzept. Was die einzelnen Teile angeht, will ich auf jeden Fall eine neue Abstimmung über das Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren auf dem europäischen Markt, das ab 2035 gelten soll. Dieses Verbot wollen wir aufheben. Außerdem wollen wir das gesamte System des Emissionshandels abschaffen, ebenso wie weitere Bestandteile des Green Deals.“

Petr Mach | Foto: Jan Kubelka,  Radio Prague International

Auf Nachfrage, wie Klimaschutz anders betrieben werden könnte, ruft Mach zum Aufforsten der Wälder auf. Ansonsten weist er darauf hin, dass es in anderen Weltregionen alternative Systeme des Emissionshandels gebe:

„Eine Emissionsberechtigung für einen bestimmten CO2-Wert in China ist, sagen wir, zehnmal billiger. Darum führt der Green Deal paradoxerweise dazu, dass die Industrieproduktion von Europa nach China ausgelagert wird. Denn bei uns ist Energie teurer – und das infolge des Green Deals, dies war schließlich sein Ziel. So verlagert sich die Produktion aber in jene Gebiete der Welt, die vielleicht keine so gut entwickelten Technologien haben und wo die Produktherstellung deswegen aufwendiger ist. Im Ergebnis führt dies zu mehr CO2-Ausstoß. Das macht keinen Sinn.“


Der Emissionshandel ist auch ein Thema für Jaroslav Bžoch. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Abgeordnetenhaus und steht auf Listenplatz zwei der Oppositionspartei Ano. Eine Emissionsbescheinigung würde in den USA umgerechnet etwa 30 Euro kosten, sagt Bžoch, in der Europäischen Union hingegen 80 bis 100 Euro:

„Persönlich halte ich die Emissionsberechtigungen für das schlechteste Instrument zur Dekarbonisierung. Denn ihr derzeitiger Preis ist hierzulande sehr hoch und für die Unternehmer oft nicht vorhersehbar. Dadurch kann man sich schwer der Konkurrenz in der Welt stellen. Alle sind wir uns im Klaren darüber, dass auch Tschechien irgendwann aus der Kohle aussteigt. Mit dem Emissionshandel könnte dies aber eintreten, noch bevor Ersatzquellen bereit stehen. Das wird dann ein Problem für Tschechien wie auch für die umliegenden Staaten, denn wir sind Energielieferer.“

Jaroslav Bžoch | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Darum hält es Bžoch für nötig, dass die Europäische Kommission ihr Tempo verlangsamt und einige Vorgaben zurücknimmt. Davon habe es in den letzten Jahren zu viele und zu viele auf einmal gegeben, so der Oppositionspolitiker im Interview mit Radio Prag International:

„Die Grundidee des Green Deal ist eine bessere Umwelt. Es soll ein tragbares Maß an CO2-Emissionen erreicht werden. Und das ist gut, denn wir alle wollen auf einem besseren Planeten leben. Die meisten Menschen sind sich bewusst, dass der Planet sich verändert und etwas dagegen getan werden muss. Das Problem sind aber die schon bestehende Gesetzgebung und ihre zentralen Punkte. Da stoßen wir aneinander. Ich denke, niemand hat etwas gegen Gesetze, bei denen es um Biodiversität geht, um Wasserspeicherung oder um Abholzungen – also um Dinge, die der Natur helfen. Der größte Streit entsteht aber bei dem vorgeschriebenen Maß an Dekarbonisierung. Unserer Meinung nach widerspricht das manchmal dem gesunden Menschenverstand, und in einigen Grenzfällen gefährdet es die Konkurrenzfähigkeit Europas.“

Illustrationsfoto: catazul,  Pixabay,  CC0 1.0 DEED

Befürchtete Einschnitte bei der Konkurrenzfähigkeit der EU auf dem Weltmarkt sind in Tschechien, ähnlich wie anderswo, ein oft gehörtes Argument gegen den Green Deal. Auch Marcel Kolaja macht sich deswegen Sorgen. Eine schwächere Marktposition sei aber nicht auf die Klimapolitik der EU zurückzuführen, betont der Spitzenkandidat der Piratenpartei, dem kleinsten der fünf Regierungspartner in Tschechien. Vielmehr würden europäische Unternehmen einfach neue Trends verpassen und von internationalen Anbietern überrollt:

Marcel Kolaja | Foto: Tschechische Piratenpartei,  Flickr,  CC BY-NC-SA 2.0 DEED

„Ein Beispiel ist die Automobilindustrie, die in Europa sehr entwickelt und ein wichtiger Bestandteil der europäischen Wirtschaft ist. Ich habe wirklich große Befürchtungen, dass sie verschläft. China oder auch einige Hersteller in den USA gehen sehr zügig mit der Zeit und sind sich bewusst, dass Verbrennungsmotoren für fossile Kraftstoffe in Zukunft nicht mehr mithalten können. Und das nicht wegen irgendwelcher Klimamaßnahmen, sondern weil Elektromobile technologisch einfach weiter entwickelt sind. In wenigen Jahren werden Autos mit Verbrennungsmotoren nur noch sehr schwer den Elektroautos konkurrieren können. Wenn die europäischen Autohersteller diese ökonomische Transformation verschlafen, dann werden sie ein Problem haben.“

Kolaja betont, dass die Piraten eine realistische Partei seien und ihre Politik auf Daten basiere. Er verweist auf den jüngsten Bericht der Europäischen Umweltagentur, nach dem Europa der sich am schnellsten erwärmende Kontinent sei:

„Der Klimawandel wirkt sich sehr konkret auf das Leben der Menschen aus. Davon zeugen die entstandenen Schäden durch Brände und Überschwemmungen, aber etwa auch die Migration, die durch Dürren hervorgerufen wird. Der Klimawandel kostet also Geld und Menschenleben. Wenn in Debatten darüber diskutiert wird, wie viel Geld die Klimamaßnahmen kosten, muss auch darüber gesprochen werden, wie viel uns die Untätigkeit kosten wird.“


Dass auch Danuše Nerudová schnell auf die finanzielle Seite des Green Deals zu sprechen kommt, muss nicht verwundern. Die Spitzenkandidatin für die Bürgermeisterpartei Stan, die ebenfalls an der tschechischen Koalitionsregierung beteiligt ist, ist immerhin studierte Ökonomin und war mehrere Jahre lang Rektorin der Mendel-Universität in Brno / Brünn. Im Interview mit Radio Prag International äußerte sie:

Danuše Nerudová | Foto: Barbora Navrátilová,  Radio Prague International

„Im Bereich der grünen Transformation muss eine Balance gefunden werden. Denn die gesamte Idee und das Paket ‚Fit for 55‘ entstanden in einer Zeit, als es in Europa noch keinen Krieg gab. Der Krieg und die folgende Energiekrise haben den Spielraum dessen verändert, was getan werden kann und welche Kosten dies für die europäische Industrie nach sich zieht. Ich denke, wir werden jetzt Zeugen von einem großen Umdenken, was die Folgen für die Wirtschaft angeht. Sicher wird es dazu kommen, dass über die Zurücknahme einzelner Richtlinien von ‚Fit for 55‘ gesprochen wird.“

Nichtsdestotrotz sei eine Reihe der beschlossenen Maßnahmen ausdrücklich gut, unterstreicht Nerudová. Denn der Klimawandel sei Realität, und wir seien die letzte Generation, die etwas dagegen tun könne, bemüht die Kandidatin einen oft gehörten Slogan. Dazu müsse aber die Diskussion von Emotionen befreit werden – und vor allem Finanzen bereitgestellt werden:

„Im Sozialen Klimafonds etwa befinden sich 80 Milliarden Euro. Aber es zeigt sich, dass die Auswirkungen der Klimapolitik viel umfangreicher sein werden. Schon jetzt sind 35 Millionen Familien in Europa von Energiearmut bedroht. Die EU muss also in irgendeiner Weise Kapital akkumulieren, um in diesem Bereich zu investieren und die Folgen der grünen Transformation abzumildern. Damit hängt die riesige Aufgabe zusammen, den Kapitalmarkt auszubauen. Diesbezüglich hängt Europa nämlich den USA deutlich hinterher und ist bei der ökologischen Umstellung weniger erfolgreich. Und darum ist die Transformation in Europa bisher auch teurer als in den USA.“


Genau wie Marcel Kolaja auch sitzt Veronika Vrecionová bereits im Europaparlament und will ihr Mandat verteidigen. Sie ist Mitglied der tschechischen Bürgerdemokraten (ODS) und damit der europäischen Fraktion der Konservativen und Reformer (ECR). Die ODS tritt bei der Europawahl mit einer gemeinsamen Liste mit ihren Koalitionspartnern der Christdemokraten (KDU-ČSL) und von Top 09 an.

Vrecionová, die auf Listenplatz zwei steht, war also bei den bisherigen Abstimmungen zu Green Deal und „Fit for 55“ dabei. Bei einem Großteil der Gesetze habe sie nicht dafür ihre Hand gehoben, betont die Parlamentarierin. Vielmehr habe sie immer vor den Risiken gewarnt. Umweltschutz ist Vrecionová zufolge durchaus ein konservativer Wert und die Pflicht eines jeden Menschen. Aber er müsse auch wirtschaftlich gestemmt werden können:

Veronika Vrecionová | Foto: Archiv von Veronika Vrecionová

„Für die Adaptionsmaßnahmen ist Geld nötig. Ihre Umwelt schützen im Übrigen nur reiche Länder – wer wirtschaftliche Probleme hat, stellt die Natur hintenan. Das dritte Standbein der Klimapolitik, das total vergessen wurde, sind nämlich die sozialen Folgen. Wenn Energie, Wohnen und Lebensmittel immer teurer werden, kommen zwar die Reichen damit klar. Aber was ist mit den ärmeren Bevölkerungsschichten? Darauf wurde die ganze Zeit keine Rücksicht genommen. Wir haben oft darauf hingewiesen, dass eine solche Situation sich gegen einen vernünftigen Umweltschutz wenden kann. Und auch gegen die EU an sich, was dann den Populisten in die Karten spielt.“

Sie hoffe, dass das neu zu wählende EU-Parlament mehr Vernunft zeigen und einige der Klimagesetze zurücknehmen werde, fügt Vrecionová hinzu. Dass die Länder mit den aktuellen Vorgaben nicht fertig würden, bewiesen etwa die Bauernproteste, mit denen schon mehrere europäische Städte blockiert worden seien:

„Die Landwirte sind dagegen, einen Teil ihres Bodens brachliegen zu lassen. Und ein anderes Gesetz, das drei Jahre lang vorbereitet wurde, hat die Kommission inzwischen sogar gestoppt, nämlich die umfangreiche Einschränkung von Pestiziden. Dies war meiner Meinung nach auch zu kurz gedacht. Wir wollen zwar alle, dass weniger Pestizide benutzt werden, aber nicht auf so radikale Weise. Dazu ist es jedoch gekommen, und nun ist das ganze Gesetz gescheitert. Auch in diesem Fall hätte den Landwirten erst eine Alternative angeboten werden müssen.“

Für alle Klimagesetze, die das Europäische Parlament verabschiedet, gebe es inzwischen eine sogenannte Revisionsklausel, berichtet Vrecionová. Diese erlaube es, nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums die Handhabung und Wirkung eines Gesetzes von der Europäischen Kommission überprüfen zu lassen. Dabei würden Umweltaspekte genauso berücksichtigt wie wirtschaftliche und soziale Faktoren. Dies werde dabei helfen, demnächst einige Klimavorschriften zu lockern, ist Veronika Vrecionová überzeugt.

Illustrationsfoto: Jitka Cibulová Vokatá,  Tschechischer Rundfunk
schlüsselwörter:
abspielen

Verbunden