Regierungskrise in Tschechien lässt erneut Überlegungen über Änderungen des Wahlgesetzes aufkommen
Die aktuelle Krise der tschechischen Regierung hat wieder einmal Debatten über eine mögliche Änderung des Wahlsystems hervorgerufen. Mehr dazu hören Sie nun im folgenden Schauplatz von Robert Schuster.
Die Entwicklung der jüngsten Tage hat somit einmal mehr verdeutlicht, auf welch dünnem Eis das gegenwärtigen Regierungsbündnis aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und liberaler Freiheitsunion steht. Schließlich verfügt die Regierung gegenüber der Opposition lediglich über die kleinstmögliche mathematische Mehrheit von einer einzigen Stimme im Abgeordnetenhaus.
Ein Blick auf die vergangenen fünfzehn Jahre, also die Zeit, die seit der Wende vergangen ist, zeigt aber ein nicht uninteressantes Bild. Bis auf eine Ausnahme hatten nämlich alle Regierungen des Landes entweder äußerst knappe und nicht immer verfügbare parlamentarische Mehrheiten, oder waren sogar Minderheitsregierungen, die also gänzlich auf die Tolerierung durch andere Parteien angewiesen waren. Dabei galt Tschechien bis in die Mitte der 90er Jahre als ein politisch sehr stabiles Land, wobei diese Stabilität vor allem im direkten Vergleich zu den meisten anderen postkommunistischen Staaten Mitteleuropas hervorstach.
Über die Gründe, warum es in den letzten Jahren so schwer war, in Tschechien Regierungen mit gesicherten Mehrheiten im Abgeordnetenhaus zu bilden, unterhielten wir uns mit dem Politikwissenschaftler Miroslav Novak von der Prager Karlsuniversität.
"Einerseits haben wir hier eine starke Anti-System-Partei, die nur sehr schwer in eine Koalition hineinpasst und somit die Bildung von Regierungsmehrheiten behindert. Der zweite Grund ist das Verhältniswahlrecht, welches sich stark proportional auswirkt. Die Situation in der ersten Hälfte der 90er Jahre, als das Land eine stabile Regierung hatte, war ein Ausnahmefall. Die rechte Mitte hatte damals eine klare Mehrheit, die sich so schnell nicht wiederholen wird. Seither hat sich das Parteiensystem zwar klarer herausgebildet, aber paradoxerweise ist die Regierungsbildung dadurch schwerer geworden. Der Grund ist, dass die tschechischen Wähler heute erfahrener sind und Parteien bevorzugen, von denen sie sich sicher sind, dass sie den Sprung ins Parlament schaffen. Es gehen also mit anderen Worten nur wenige Stimmen verloren und nur wenige werden somit an jene Parteien umverteilt, die ins Parlament gelangen."Dieses, von Professor Novak beschriebene Phänomen, wird oft auch als Proportionalisierung des Wählerwillens bezeichnet. Diese Entwicklung hat dann in letzter Konsequenz zu Folge, dass es für die Parteien immer schwieriger ist, die magische Marke von mindestens einer Hälfte der Mandate im Parlament zu erlangen. Vor allem große Parteien wären dann, laut Novak, oft kleinen Splitterparteien ausgeliefert und müssten im Regierungsprogramm weit reichende Abstriche zu deren Gunsten in Kauf nehmen. Professor Novak meint, dass hier Israel seit Jahrzehnten ein klassisches Beispiel darstellt, wo die beiden großen politischen Gruppierungen des Landes - die konservative Likud-Partei und die sozialdemokratische Arbeiterpartei sich regelmäßig auf die Stimmen von kleinen orthodoxen oder extremistischen Parteien stützen müssen. Hören Sie dazu die Meinung von Politikwissenschaftler Miroslav Novak:
"Der Nachteil ist unter anderem der, dass entweder Regierungen entstehen, die keine starke Mehrheit hinter sich haben, so wie jetzt in Tschechien, wo wir gegenwärtig die kleinste mathematische parlamentarische Mehrheit haben. Der zweite wichtige Punkt ist, dass es dann oft zu Koalitionen von äußerst unterschiedlichen Parteien führt. Auch hierfür liefert die aktuelle tschechische Regierung ein gutes Beispiel, denn die Parteien gehören unterschiedlichen Strömungen an - eine gehört zur Linken, eine andere der Mitte und die letzte kann der rechten Mitte zugerechnet werden. Solche Regierungen sind dann natürlich wenig funktionsfähig."
Vor einigen Jahren gab es schon einmal den Versuch von zwei Parteien, das Wahlgesetz, bzw. die Art und Weise, wie die Stimmen auf Mandate umgerechnet werden, zu ändern. Damals wurde das Land von einem sozialdemokratischen Minderheitskabinett regiert, das von der größten Oppositionspartei des Landes, der rechtsliberalen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), toleriert wurde. Sozialdemokraten und Bürgerdemokraten einigten sich auf eine entsprechende Gesetzesinitiative und versuchten auf diese Weise einerseits die Rolle von kleinen Parteien, als potentiellen Koalitionspartnern zu minimieren, gleichzeitig aber Grundlagen für stabile Mehrheiten im Parlament zu schaffen. Das Vorhaben scheiterte jedoch an den tschechischen Verfassungsrichtern, die zum Schluss gekommen sind, dass die Regelung den politischen Wettbewerb beeinträchtigen würde. Viele andere Möglichkeiten, als erneut zu versuchen das Wahlgesetz zu ändern, sieht aber der Politologe Miroslav Novak auch heute nicht, wenn er gegenüber Radio Prag meint:"Im gegeben Fall wäre wirklich eine Änderung des Wahlgesetzes die beste Lösung. Es stimmt, dass das schon einmal versucht wurde und der Versuch aus verschiedenen Gründen scheiterte. Vor allem hatte er gewichtige Gegner - beginnend mit dem damaligen Präsidenten, über die kleinen Parteien, bis hin zu den Kommunisten, deren Stellung natürlich auch geschwächt wäre. Unter den Gegnern fanden sich aber auch Idealisten die meinten, ein Wahlgesetz mit einem geringeren Maß an Proportionalität, ist irgendwie undemokratisch und ungerecht. Anhand der breiten Opposition, die es damals gab, glaube ich, dass auch heute eine solche Initiative wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Ich sehe aber auch die Gefahr, dass sich in naher Zukunft jene Tendenzen, die als negativ empfunden werden, dass heißt die verstärkte Proportionalität, noch stärker werden könnten."
Wie könnte also die Lösung dieses Problems ausschauen? Wäre es angebracht zum Beispiel zu versuchen alle maßgeblichen Parteien an einen Tisch zu bringen und zu versuchen einen Kompromiss in der Frage eines neuen Wahlgesetzes zu finden? Schließlich versuchen die ansonsten stark zerstrittenen tschechischen Parteien auch in anderen wichtigen Fragen, wie etwa der Reform des Rentensystems, eine gemeinsame, tragfähige, Lösung zu finden.Dazu meint der Prager Politikwissenschaftler Miroslav Novak:
"Darüber könnte man in der Tat nachdenken und genauso überlegenswert wäre auch die Bildung von verschiedenen Vorwahlbündnissen. Wenn zum Beispiel eine große Partei ein solches Bündnis mit einer kleinen eingehen würde, wäre es wahrscheinlich, dass sie bei den Wahlen gewinnen würde und zwar auch dann, wenn sie selber weniger Stimmen bekäme, als ihre Konkurrentin im Rahmen eines konkurrierenden Wahlbündnisses. Auf jeden Fall sollten aber die großen Parteien nicht gegen die kleinen zu Felde ziehen, sondern es sollte zwischen ihnen eine Zusammenarbeit geben. Es geht also um gewisse Garantien für die kleinen Parteien, dass sie überleben könnten."
Gesetzt den Fall, dass es zu keinen Änderungen im Wahlgesetz und Wahlsystem kommen würde und auch nach den nächsten Wahlen es keine stabile Regierung mit einer festen Mehrheit im Parlament geben sollte, könnten dann in Tschechien Minderheitsregierungen, wie es sie häufig in Skandinavien gibt, zum Regelfall werden? Würde das für das Land ein Problem darstellen? Abschließend kommt noch einmal Miroslav Novak von der Prager Karlsuniversität zu Wort:
"Da müssen wir uns vor Augen halten, wie es in den skandinavischen Ländern aussieht. Dort gibt es nämlich in der Regel immer eine stark dominierende Partei, das ist meistens eine sozialdemokratische Partei, deren Stärke oft der Stärke aller übrigen Gruppierungen zusammen entspricht. Diese Vorrausetzung fehlt jedoch in Tschechien. Somit wäre eine Minderheitsregierung längerfristig keine gute Lösung. Das könnte aber nach einer Änderung des Wahlgesetzes, bei der man dem Wahlgewinner gewisse Prämien an Mandaten zubilligen würde, ganz anders ausschauen, aber in der gegenwärtigen Situation ganz bestimmt nicht."