Ruhe bei Schwejk hat metaphysischen Charakter: Jaroslav Hašek zum 130. Geburtstag

Jaroslav Hašek

Jaroslav Hašek und der brave Soldat Schwejk. Ein Autor und seine Romanfigur, die untrennbar zusammengehören. Was hat der Roman über den braven Soldaten Schwejk den heutigen Lesern noch zu sagen? Würde Hašek auch ohne Schwejk zur Weltliteratur gehören? Antworten auf diese und weitere Fragen suchen wir in der heutigen Sondersendung. Anlass ist der 130. Geburtstag von Jaroslav Hašek, der am 30. April 1883 in Prag auf die Welt kam.

Jaroslav Hašek  (links). Foto: Free Domain
Nur knapp vierzig Jahre hat er gelebt: 1883 erblickte er das Licht der Welt, bereits 1923 verstarb er. In dieser Periode lebte er ein aufregendes und abenteuerliches Leben: Schüler am Gymnasium und an der Handelsakademie, Lehrling in einer Drogerie, Vagabund und Alkoholiker, Anarchist und Gründer einer fiktiven politischen Partei, Journalist und Redakteur einer Tierzeitschrift, Soldat der österreichischen Armee, tschechoslowakischer Legionär und Mitglied der Roten Armee. Erst nach seinem Tod wurde er ein weltweit hochgeschätzter Autor der tschechischen Literatur. Sein Roman über den braven Soldaten Schwejk wurde in 58 Sprachen übersetzt. Radko Pytlík, ein Literaturhistoriker und Hašek-Forscher, ist überzeugt, dass Schwejk bis heute die Leser anspricht:

„Meiner Meinung nach spricht Schwejk den Leser an, weil das Buch den so genannten klugen Humor enthält. Das ist ein Humor, der eine intellektuelle Grundlage hat und eine gewisse Lebenserfahrung enthüllt. Er gefällt den Menschen bis heute aus mehreren Gründen: Erstens ist er witzig, zweitens klug und drittens allgemein menschlich. Diese Eigenschaften werden in jeder Zeit und jeder Gesellschaft geschätzt. Manchmal auch in Kulturen, die sich von uns scheinbar unterscheiden.“

‚Geschichte der Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes’  (Foto: Verlag Československý spisovatel)
Jaroslav Hašek ist in erster Linie als Autor des Romans über den braven Soldaten Schwejk bekannt. Was wäre er ohne seinen Schwejk, wäre er in Vergessenheit geraten? Oder wäre er doch ein anerkannter Schriftsteller geworden?

„Ich denke schon. Hašek hat über 1200 Erzählungen und Humoresken von ausgezeichnetem literarischem Niveau geschrieben. Auch diese Erzählungen sind eine große Leistung. Und vor allem hat er die politische und soziale ‚Geschichte der Partei des gemäßigten Fortschritts im Rahmen des Gesetzes’ geschrieben. Das ist eine fantastische Mystifikation über die damalige Politik. Wenn ich heute die englische TV-Serie 'Yes, Minister' sehe, frage ich mich, ob die Verfasser wussten, dass sie einen solchen Vorgänger hatten. Das Buch ist 1912 entstanden, wurde aber nicht herausgegeben. Die damaligen Verleger befürchteten, dass sich manche Personen beleidigt fühlen könnten und dass es ein großes Risiko wäre. Das Buch ist erst 35 Jahre nach seiner Entstehung erschienen. Dennoch stimmt es natürlich, dass Hašek ohne Schwejk heute nicht das wäre, was ihn ausmacht. Der Schwejk hat Hašek sozusagen geschaffen.“

Schwejk  (Foto: Mohylek,  Wikimedia Creative Commons 3.0)
Die Figur des Soldaten Schwejk erschien zum ersten Mal im Jahr 1911 in einer satirischen Erzählung gegen Österreich. 1916 tauchte sie wieder auf. Doch erst jener Roman, der nach dem Weltkrieg verfasst wurde, enthalte die Fülle und die Reife des Humors von Hašek. Um dies zu erreichen, müsse man gewisse Dinge erlebt haben, betont Pytlík. Hašek hat diese Erfahrungen im Ersten Weltkrieg gesammelt. Fünf Jahre lang hat er in Russland verbracht:

„Hašek rückte in die österreichische Armee ein, wo er Anhänger des tschechischen Widerstandes wurde. Nachdem er in russische Gefangenschaft geraten war, trat er den tschechoslowakischen Legionen bei, die sich in Kiew bildeten. Er war Journalist für Legionärszeitschriften. Dort zeigte sich, dass er ein geschickter Diskutant und Polemiker war. Seine Polemik war manchmal so scharf, dass man ihn aus den Legionen wieder vertrieben hat. Er kam dann in die russische Armee, in die Rote Armee. Dort war er dann tätig und wäre fast als Funktionär in Irkutsk verschwunden. Glücklicherweise entwickelte sich die Lage so, dass er 1920 nach Prag zurückkehren konnte. In Prag erlebte er manche Konflikte und sagte er sich danach, er müsse den Fluch der Kriegserlebnisse loswerden. Dabei half ihm sein hervorragender Humor, den er dem alten Schwejk anvertraut hat. Der Schwejk der Nachkriegszeit ist ein echter, reiner Clown, der Sachen auf eine Weise beim Namen nennen kann, über die wir uns bis heute wundern.“

Radko Pytlík  | Foto: Alžběta Švarcová,  Tschechischer Rundfunk
Radko Pytlík hat seine literaturgeschichtlichen Forschungen nicht nur Hašek gewidmet, sondern auch dem Phänomen des Wirtshauses und der Wirtshauskultur. Er warnt vor einer vereinfachten Interpretation von Hašek als Bohéme, Alkoholiker und Müßiggänger.

„Es ist komplizierter. Das Wirtshaus kann als Ort betrachtet werden, wo Reden über Fußball geführt werden. Aber auch als eine Wirtshaus-Sorbonne. Ich habe mich dreißig Jahre lang mit Bohumil Hrabal getroffen. Wir haben Debatten über Joyce, Céline, also über Weltliteratur in einer Kneipe geführt. Hrabal war auch oder eben in der Kneipe eine Quelle der Inspiration. Dieser Raum ist gewissermaßen euphorisch und es ist auch ein männlicher Raum, denn, wie bekannt, mögen Frauen die Kneipen nicht allzu sehr. Sie sehen darin das Böse, einen ethischen Sumpf. Dies stimmt aber nicht. Dort passiert praktisch nichts Böses, und wenn sich kluge Menschen dort treffen, kann es interessant sein. Ich propagiere den klugen Humor. Man findet ihn nicht nur bei Hašek, sondern auch bei Kisch, beim Befreiten Theater und bei Jan Werich. Leider schließt diese Tradition mit Bohumil Hrabal ab.“

Jaroslav Hašek  (Foto: Matěj Baťha,  Wikimedia CC BY-SA 2.5
Viele Verballhornungen sind 90 Jahre nach dem Tod von Jaroslav Hašek mit dem Schriftsteller verbunden. Das Wort „schwejkaesk“ wird banal gedeutet als Ausdruck der Feigheit, des Opportunismus des tschechischen Volkes und der Schludrigkeit. Um Schwejk zu begreifen, müsse man bestimmte Kenntnisse haben. Diese Figur sei kompliziert: sie denke mehr, als sie aussage, so Pytlík. Zum Schluss beschreibt er noch seine Vorstellung, wie man mit der Persönlichkeit und dem Werk von Hašek künftig umgehen soll.

„Wir müssen in der Zukunft solche Klischees korrigieren, wie zum Beispiel das Bild von Hašek als Trinker und Ruhestörer. Wir müssen uns Gedanken machen, was geblieben ist, was seine Werke wirklich aussagen, und nicht, wie man sie bisher manchmal sieht: Wenn die Werke von Hašek heute interpretiert werden, nennt man oft das Zitat ‚es braucht Ruhe’. Dieser Satz kommt aber im Roman überhaupt nicht vor. Man hat sich etwas ausgedacht, weil man schlecht gelesen oder einige Sätze nicht richtig verstanden hat. Die Ruhe bei Schwejk hat einen fast metaphysischen Charakter. Sie gründet sich auf das Bestreben, dem Toben des Krieges und der Absurdität der Welt zu entkommen.“

Foto: Supraphon
Das Hauptwerk Jaroslav Hašeks wurde in 58 Sprachen übersetzt. Seit seiner Entstehung wurde es immer wieder herausgegeben, aber auch mehrmals erfolgreich verfilmt, auf der Bühne inszeniert und für das Radio bearbeitet. Eine solche Bearbeitung hören sie in den nächsten Minuten. Aus dem Roman liest der 1907 in Brünn geborene Schauspieler Walter Taub. Die Aufnahme entstand in den 1980er Jahren in Prag. Übrigens hatte Taub am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 1967 großen Erfolg mit einer Hauptrolle in einer Bühnenversion von „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“.


Die Aufnahme kann man nur in der Tonleiste hören.