Schauplatz Flüchtlingslager
Noch vor weniger als fünfzehn Jahren sind Menschen aus politischen Gründen aus der damaligen Tschechoslowakei geflüchtet. Mittlerweile ist Tschechien selbst zu einem potentiellen Ziel für Flüchtlinge geworden. Wenn auch in vergleichsweise kleinem Umfang: Fünf Flüchtlingseinrichtungen verwaltet die Republik, mit insgesamt etwa 700 Plätzen. Radio Prag hat das älteste und größte davon besucht: Balkova in Westböhmen. Im folgenden Schauplatz von Gerald Schubert hören Sie einiges über das Leben im Lager - und über eine bevorstehende Gesetzesänderung, die für viele der Flüchtlinge eine erhebliche Erleichterung bringen sollte:
Der Beginn eines neuen Jahres bedeutet in den meisten Ländern nicht nur, dass um Punkt Mitternacht die Sektkorken knallen. Derselbe Moment ist nämlich in der Regel auch mit einer weitaus trockeneren Materie verbunden: Dem Inkrafttreten neuer Gesetze. Nur selten bekommt der einzelne Bürger davon aber tatsächlich etwas mit. Jedenfalls nicht sofort, oder nicht bevor er mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist.
In Tschechien jedoch ändert sich am 1. Januar 2004 gerade für so manche Nicht-Tschechen ein nicht ganz unwesentlicher Punkt: Denn in den Flüchtlingslagern des Landes, da wurden bisher all jene Menschen in engen Zellen untergebracht, deren Identität nicht einwandfrei festgestellt werden konnte. Und das ist bei etwa der Hälfte der Flüchtlinge, die sich in Tschechien melden oder hier aufgegriffen werden, der Fall.
Was sich für sie nun konkret ändern soll, das erfahren Sie gleich von Major Miroslav Piskule, dem Leiter des westböhmischen Auffanglagers Balkova. Zunächst jedoch stellt uns Herr Piskule das Lager Balkova ein bisschen näher vor:
"Balkova wurde in Tschechien als eine der ersten dieser Einrichtungen gegründet. Grundlage war damals eine Regierungsanordnung, respektive eine Anregung der Europäischen Union, wo ähnliche Einrichtungen überall existieren. Und Balkova ist auch die größte aller Flüchtlingseinrichtungen, die von der tschechischen Fremdenpolizei betrieben werden."
Etwa 300 Menschen seien derzeit in Balkova untergebracht. Die meisten davon, zirka 200, stammen aus China. Aber auch Vietnamesen, Ukrainer und Bürger zahlreicher anderer Staaten sind hier. Für die Lebensqualität im Lager sind vor allem die sogenannten "zwei Regimes" ausschlaggebend, in die die Flüchtlinge hier aufgeteilt werden. Miroslav Piskule, Leiter des Auffanglagers Balkova:
"Zunächst gibt es hier ein gemäßigtes Regime. Dort können sich die Leute untertags in den dafür bestimmten Bereichen weitgehend frei bewegen, sie haben die Möglichkeit, Kontakte zu anderen Ausländern anzuknüpfen, es gibt gemeinsame Verpflegung, auf den Gängen sind Fernseher installiert, und so weiter. Das strengere Regime, das hat allerdings eher den Charakter einer Unterkunft in Polizeizellen. Es gibt dort in den Zellen ein Waschbecken, eine türkische Toilette, und auch die Verpflegung findet eigentlich zur Gänze in den Zellen statt. Und gemäß dem Gesetz gibt es mindestens eine Stunde Ausgang pro Tag."
Nicht gerade ein Unterschied, den man vernachlässigen könnte. Nach welchen Kriterien wurden also die Menschen hier bisher in diese zwei Systeme der Unterbringung aufgeteilt? Miroslav Piskole:
"Die Bedingungen für eine Unterbringung gemäß dem strengen Regime definiert das Ausländergesetz ganz klar. Hier muss man betonen, dass in diesem Jahr ein neues Gesetz beschlossen wurde, welches am 1. Januar 2004 in Kraft treten wird, und durch das sich genau dieses Bedingungen ändern werden. Bis jetzt wurde ein Ausländer nämlich auch dann in dem strengeren Regime untergebracht, wenn seine Identität nicht festgestellt werden konnte. Dieser Grund fällt nun weg. Wir leiten daher jetzt bis zum Jahresende die überwiegende Mehrheit derer, die in dem strengeren Regime untergebracht waren, auf das gemäßigte Regime um. Für das strengere Regime bleiben uns nur 36 Plätze. Dort werden dann, im Einklang mit dem Gesetz, nur solche Ausländer untergebracht, die zum Beispiel aggressiv waren, andere bedroht oder etwas zerstört haben, ständig die Hausordnung brechen und so weiter. Wie gesagt: Das wird ab dem neuen Jahr gelten. Derzeit wird eine Projektdokumentation durchgeführt, und bis zum Jahresende wird dieses sogenannte strenge Regime im Wesentlichen fast abgeschafft."
Vorige Woche hat die tschechische Fremdenpolizei im Flüchtlingslager Balkova zu einer Pressekonferenz geladen. Unser Kollege Lothar Martin war vor Ort, und hatte unter anderem auch die Gelegenheit, mit Flüchtlingen zu sprechen:
"Ich komme aus Bangladesh, ich bin der einzige hier aus Bangladesh. Schon mehr als drei Monate bin ich hier. Ich kann nicht nach Hause zurück, ich habe dort politische Probleme. Ich weiß nicht, was aus mir wird. Hier im Lager ist es schon okay, aber manchmal kann ich hier nichts essen. Manchmal bekommen wir Schweinefleisch, aber ich bin Moslem. Ich würde hier gerne bleiben und arbeiten. Dazu würde ich auch Tschechisch lernen, aber ich habe keine Chance, ich bin hier eingeschlossen. Wenn ich in eine Sprachschule gehen könnte, dann könnte ich Tschechisch lernen, weil ich mich ja Englisch verständigen kann. Aber ich habe keine Chance, ich bin schon so lange hier."
Lothar, du warst vorige Woche auf einer Besichtigung dieses Flüchtlingslagers. Kannst du unseren Hörerinnen und Hören ein Bisschen deine Eindrücke schildern? Wie war das für dich emotional? Auf welche Zustände bist du dort gestoßen? Wie geht es den Menschen und wie ist das Lager organisiert?
"Zunächst sind wir in dieses abgelegene Waldgebiet gefahren worden. Es war zwar ein schöner Herbsttag, aber dann kommt man dort hinunter zu dem Lager. Vielleicht denkt man sich zunächst noch: das ist ja eigentlich ganz nett gelegen. Aber als ich dann für die Redaktion berichten wollte, da merkte ich, dass man hier völlig abgeschnitten ist von der Welt, nämlich in einem Funkloch. Und wahrscheinlich soll das auch so sein. Das Gebäude selbst ist übrigens ein umfunktioniertes und ausgebautes Landheim für Kinder, und auch die Lage ist wie gesagt schön. Wie es dann aber drinnen aussieht, das hat mich weniger erfreut. Denn diese Flüchtlinge werden eigentlich doch wie Gefangene gehalten. Sie haben relativ beengte Räumlichkeiten. Diese Menschen haben sich zwar illegal in Tschechien bewegt und sind irgendwann aufgegriffen worden, doch dass sie wie Leute behandelt werden, die weggesperrt werden müssen, das hat mich doch gestört."
Konntest du einen Eindruck davon gewinnen, wie die Leute - nicht die, die diese Pressekonferenz organisiert haben, sondern jene, die dort tagtäglich arbeiten und mit den Flüchtlingen zu tun haben, diesen Menschen gegenüber eingestellt sind? Wie sie mit ihnen arbeiten oder arbeiten wollen?
"Dieser Eindruck war eigentlich nicht der schlechteste. Im Gegenteil. Ich habe auch mit einem Wärter gesprochen - gerade weil ich dieses babylonische Stimmengewirr mitbekommen habe, von Leuten aus Indien, Bangladesh, besonders aus China und auch aus der Russischen Föderation - und ihn gefragt, wie man sich eigentlich untereinander verständigt. Und er hat mir gesagt, man versucht es eben mit Händen und Füßen. Und ich habe auch gemerkt, dass die Flüchtlinge mit den Wärtern anscheinend ganz gut auskommen. Dass zumindest ein Klima herrscht, in dem man nicht aufeinander losgeht. Aber die Wärter, die dort ja tagtäglich arbeiten, die müssten natürlich versuchen, an ihrer Arbeit auch Spaß zu haben. Und davon habe ich eigentlich nichts gemerkt. Den Menschen wird hier Essen ausgegeben, sie bekommen Kleidung und können hier schlafen - also das notwendigste ist ja getan. Alles okay. Aber ich glaube, man sollte sie doch etwas menschenwürdiger behandeln, indem diese Leute sich vielleicht arbeitsmäßig ein bisschen ausleben könnten - und wo man dann auch sehen würde, wer wirklich etwas leisten und wer sich nur so durchschwindeln will. Da wird zu viel über einen Kamm geschoren. Und man macht sich meiner Meinung nach nicht unbedingt Freunde mit der Art, wie man diese Leute wegsperrt."
Spätestens am 1. Januar aber sollte, wie gesagt, das sogenannte "strenge Regime" im Flüchtlingslager wegfallen. Wer dann keinen Ausweis hat, um seine Identität nachzuweisen, der wird wenigstens nicht mehr automatisch wie ein Verbrecher behandelt. Langfristig übrigens könnte die Flüchtlingsproblematik in Tschechien eine weitgehend unbeachtete bleiben: Das Land wird nach dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 nur Grenzen zu anderen EU-Staaten haben.