Scheidung auf Tschechoslowakisch

Foto: Noemi Fingerlandová
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Am 1. Januar vergehen 25 Jahre seit der Trennung der Tschechoslowakei. Im ersten Teil einer kleinen Serie zum Thema blicken wir zurück auf die Entwicklung im Jahr 1992.

Wenn der Tschechische Rundfunk beispielsweise aus Spanien berichtet, dann klingt er slowakisch. Die Mitarbeiterin in Madrid heißt nämlich Ľubica Zlochová und stammt aus dem östlichen Nachbarland. Früher waren im gemeinsamen Tschechoslowakischen Rundfunk die Sprachen beider Staatsvölker gleichberechtigt. Seit der Trennung der Föderation vor 25 Jahren ist das zu einer Rarität geworden. Zugleich sind sich Tschechen und Slowaken aber vielleicht näher denn je.

Kalte Dusche in Brünn

Am 26. August 1992 verkündet der damalige slowakische Premier Vladimír Mečiar nach Verhandlungen mit seinem tschechischen Amtskollegen Václav Klaus:

Foto: Zajac Vanka,  CC-BY-3.0
„Wir gehen davon aus, dass zum 1. Januar 1993 zwei selbständige Staaten entstehen: die Tschechische und die Slowakische Republik.“

Die Gespräche zuvor in Brno / Brünn werden als die entscheidenden bezeichnet, die über die Staatsteilung entschieden haben sollen. Doch das erste Treffen in der Brünner Villa Tugendhat findet bereits Anfang Juni ´92 statt. Da hat gerade Mečiars Partei HZDS bei den Wahlen in der Slowakei gesiegt und die Demokratische Bürgerpartei (ODS) von Klaus in Tschechien. Diese Zusammenkunft sei entscheidend gewesen, betonte vor kurzem Václav Klaus in einem Interview.

„Diese Gespräche in Brünn waren die erste kalte Dusche. Ich bin dort im Bewusstsein hingefahren, dass wir über den Erhalt der Tschechoslowakei reden würden. Dort wurde aber deutlich, dass dies überhaupt nicht der Plan und das Ziel der slowakischen Regierung war. Damit haben wir nicht gerechnet. Wir hatten nicht gedacht, dass es auf der slowakischen Seite bereits so weit gekommen sein könnte“, so Klaus bereits in einem früheren Gespräch.

Doch auch die Unterhändler, die damals auf slowakischer Seite stehen, haben die Staatstrennung angeblich nicht im Blick. Michal Kováč aus der Führung der damaligen slowakischen Regierungspartei HZDS und ab 1993 erster slowakischer Präsident sagte einmal im Rückblick:

Václav Klaus  (Foto: ČT)
„Wir haben geglaubt, dass wir den gemeinsamen Staat erhalten in Form einer Konföderation oder eines Bundes. Und auf eine andere Lösung waren wir nicht vorbereitet.“

Bei diesem ersten und den weiteren Gesprächen in Brünn sowie in Prag und Bratislava zeigt sich, dass die tschechische Seite die Verbindung beider Staatsteile nicht auflockern will. Mehr Kompetenzen ja, eine Konföderation zweier praktisch eigenständiger Staaten kommt für Václav Klaus und seine Parteifreunde aber nicht in Frage. Und so bleibt angeblich nur noch der harte Schnitt: den 1918 gegründeten und 1945 erneuerten gemeinsamen Staat zu trennen. Darauf einigen sich beide Seiten bereits am 8. Juli 1992.

Ungleiche Landesteile

Doch wie konnten sich beide Völker so auseinanderleben? Die Wurzeln liegen teils tief in der Geschichte. Schon die Tschechoslowakei von 1918 setzt sich aus zwei ungleich starken Hälften zusammen: auf der einen Seite der teils hochindustrialisierte tschechische Teil, auf der anderen der vergleichsweise rückständige slowakische mit nur halb so vielen Einwohnern. Dieses Kräfteverhältnis bleibt in den folgenden Jahrzehnten bestehen. Dazu kommt die Phase des klerikal-faschistischen unabhängigen slowakischen Staates von 1939 bis 1945.

Vladimír Mečiar  (Foto: Péter Kamocsai,  Wikimedia)
Tatsächlich wird die damalige ČSSR bereits 1968 föderalisiert, mit zwei eigenen Parlamenten in Prag und Bratislava. Doch in Wirklichkeit entscheidet weiter das Zentralkomitee der kommunistischen Partei über das Geschehen im Land. Deswegen bricht ziemlich schnell nach der politischen Wende von 1989 der Unmut erneut aus. Über die wirtschaftspolitische Richtung im gemeinsamen Staat entscheidet Prag, und das ist eine Transformation im Eiltempo. Die Slowaken fühlen sich überrannt, tschechische Politiker wie Klaus wiederum empfinden die rückständigere Slowakei als Klotz am Bein.

Dennoch stellen sich Historiker und Politologen bis heute die Frage, ob es zur Trennung hätte kommen müssen. Tatsache ist, dass damals nicht die Bürger selbst über die Staatsteilung entscheiden dürfen. Dabei wird im Verlauf des Jahres 1992 durchaus diskutiert, ob nicht auf beiden Seiten jeweils ein Referendum abgehalten werden soll.

Aber das will weder Mečiar noch Klaus. Jindřich Vodička war damals ODS-Abgeordneter im föderalen Parlament:

„Uns war klar: Ein Referendum hätte so enden können, dass etwa die Tschechen für eine Trennung stimmen und die Slowaken, die bereits eine eigene Verfassung angenommen hatten, dagegen. Ein Referendum barg große Gefahren und ist zu Recht nicht angewendet worden.“

Heute halten das im Übrigen die meisten Tschechen und Slowaken für falsch. Das zeigt eine repräsentative Umfrage der Meinungsforschungsinstitute CVVM aus Prag und IVO aus Bratislava, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Darin äußern sich fast alle Gegner der Staatsteilung in diesem Sinne. Und selbst bei den Befürwortern findet immer noch die Hälfte, dass die Menschen zunächst hätten befragt werden sollen.

Zwei Parteien entscheiden über das Schicksal

Václav Havel  (Foto: ČT)
Letztlich sind es die nationalistische HZDS in der Slowakei und die ultraliberale ODS in Tschechien, die über das Geschick zweier Völker entscheiden. So der heutige Kommentator des Tschechischen Rundfunks Petr Nováček:

„Ich sage immer wieder, dass es sich um Verhandlungen auf Parteiebene gehandelt hat – zweier Parteien, die in den Wahlen gesiegt hatten. Die ODS von Klaus wie die HZDS von Mečiar hatten solch eine Autorität, dass letztlich sie die Republik geteilt haben.“

Und nicht einmal eine Persönlichkeit wie Staatspräsident Václav Havel kann dieses Schicksal des gemeinsamen Staates verhindern. Zunächst stellt er sich nach den Wahlen vom Juni den Abgeordneten im Föderalparlament erneut zur Abstimmung. Dabei scheitert Havel, weil er keine Mehrheit der slowakischen Parlamentarier erhält. Dann beschließt am 17. Juli der slowakische Nationalrat praktisch die Unabhängigkeit seines Teils der Republik. Noch am selben Tag kündigt Havel seinen Rücktritt vom Amt als tschechoslowakischer Staatspräsident an:

Villa Tugendhat  (Foto: Eva Turečková)
„Ich kann mir nicht vorstellen, unter diesen Umständen und in der schwierigen Zeit, die uns erwartet, mein Amt gut auszuüben. Ich kann nicht die Verantwortung tragen für die Entwicklung, auf die ich immer weniger Einfluss habe. So wie ich auch die Entwicklung nicht bremsen will, möchte ich aber auch nicht bloß ein ausdienender Amtsinhaber sein, der noch einige Wochen auf das definitive Verlassen seines Amtes wartet. Und der in dieser Zeit nur noch passiv das Geschehen beobachtet und seine formalen Pflichten erfüllt.“

Bei den berühmten Gesprächen im August 1992 in der Villa Tugendhat dreht sich dann alles nur noch darum, wie die Staatsteilung ablaufen soll. Die Ängste sind groß, denn nicht weit entfernt tobt in Jugoslawien ein grausamer Bürgerkrieg. Es ist das abschreckende Beispiel nationalen Fanatismus. In der Tschechoslowakei gelingt jedoch eine friedliche Trennung. Das ist wohl der größte Erfolg, der damals errungen wird.

Autor: Till Janzer
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