Slavia statt Germania: Škoda-Auto feiert 120 Jahre seit der Gründung
Tschechiens Autobauer Škoda feiert in diesem Jahr sein 120-jähriges Firmenjubiläum – doch einen Autopionier namens Škoda gab es nicht. Ganz am Anfang standen ein Buchhändler und ein Fahrradmechaniker, die sich in Mladá Boleslav / Jungbunzlau zusammentaten. Ihr erstes gemeinsames Produkt war das Fahrrad „Slavia“ – es folgten Motorräder und 1905 schließlich Automobile. Weil 1925 die Übernahme durch den Rüstungs- und Industriekonzern Škoda erfolgte, werden dieses Jahr gleich drei Jubiläen begangen.
„Es war Anfang Juni 1894, als der Buchhändler und begeisterte Radfahrer Václav Kliment aus Mladá Boleslav sein Fahrrad zur Reparatur nach Ústí nad Labem schickte, in die Filiale der Dresdner Fahrradmanufaktur Seidel & Neumann. Es wurde ihm zurückgeschickt mit einer Antwort, die ihn nicht zufriedengestellt hat. Für ihn war das der Impuls, sich mit dem Mechaniker Václav Laurin aus Turnov zusammenzutun und eine eigene gemeinsame Werkstatt und Fahrradproduktion ins Leben zu rufen.“
Warum besagter Brief Klement zur Gründung einer Fahrradmanufaktur anspornte, ist nun dokumentiert in einer Ausstellung zum Firmenjubiläum. Petr Kožíšek hat sie kuratiert. Obwohl im Prager Technikmuseum zahlreiche Oldtimer zu bestaunen sind, bildet der Brief aus dem Jahr 1894 für ihn das eigentliche Herzstück. Die Antwort auf das höfliche Reparaturgesuch des Buchhändlers war ebenso kurz wie herablassend:
„Wenn Sie von uns Antwort haben wollen, verlangen wir Ihre Mitteilungen in einer uns verständlichen Sprache“, lautete der Wortlaut des Schreibens. Klement hatte es gewagt, sich auf Tschechisch an die Vertragswerkstatt des Fahrradherstellers Förster zu wenden. Der nationale Dünkel der Deutschen war der Auslöser, da ist sich Petr Kožíšek ganz sicher.„Die Spannungen, die zur damaligen Zeit herrschten, zwischen deutschen, tschechischen und jüdischen Besitzern, brachten eben oft auch unglaublich positive Dinge mit sich. Man sieht noch eine Sache auf diesem Brief der Dresdner Firma an Klement. Das Fahrrad, das sie produzierten, hieß Germania. Laurin und Klement wiederum gaben ihrem ersten Fahrrad den Namen Slavia. Es ist ganz klar: Das bedeutet etwas, das war ein Kontrapunkt. Der Name Slavia erhielt sich sogar noch bis zur Produktion der Motorräder. Erst als sie Autos produzierten, verschwand der Name, und es wurde nur noch die Marke Laurin Klement verwendet.“
Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg. Für die Fahrradpioniere aus dem Habsburgerreich war es schwer, Fuß zu fassen:„Sie begannen sehr bescheiden mit einem Angestellten in einer gemieteten Werkstatt von 120 Quadratmetern am Rand von Mladá Boleslav. Das war genau vor 120 Jahren, kurz vor Weihnachten 1895. Im neuen Jahr stellten sie sechs weitere Arbeiter ein. Doch es war nicht einfach für die neue Firma. Denn man muss sehen, dass damals Dutzende Fahrradfirmen um die Kunden buhlten, meisten davon aus England.“
Zäher Beginn im Habsburgerreich
Klement schrieb später, die frisch verschraubten Fahrräder seien direkt von der Werkstatt ins Leihhaus transportiert worden – um überhaupt die Arbeiter bezahlen zu können. Die Kunden erstanden in der Firma einen Leihschein, den sie dann im Pfandhaus gegen ein Fahrrad eintauschten. Auch wenn der Umweg über das Pfandhaus vielen Kunden vermutlich nicht sonderlich vertrauenswürdig erschien – nach und nach etablierte sich die Firma. 1898 konnten sich L&K eine eigene Fabrik in Mladá Boleslav bauen:„Als die Fabrik stand, fuhr Klement nach Paris. Von dort kam er mit einer Neuheit zurück: ein Motorfahrrad der Marke Werner. Also hat man auch über die Produktion eines Motorfahrrades nachgedacht. Man stellte fest, dass das Motorfahrrad Werner nicht funktionsfähig war. Darum haben Laurin und Klement es so lange verbessert, bis sie ein eigenes produziert hatten. Auf den Markt kam es Ende 1899.“
Es waren die ersten Motorräder in Österreich-Ungarn, und für kurze Zeit auch die erfolgreichsten. 1905 wagten Laurin & Klement schließlich den Sprung von zwei auf vier Räder. „Voiturette“, so hieß der erste Auto-Prototyp aus Mladá Boleslav. Noch im gleichen Jahr gab es vier Modelle im Angebot, zwei Jahre später waren es neun. Die Autobauer gingen an die Börse, und sie expandierten. 1912 übernahmen sie die Reichenberger Autobmobil-Fabrik RAF aus Liberec / Reichenberg.„Laurin und Klement hatten so großen Erfolg, dass sie im Jahr 1914 Vertretungen in Dutzenden europäischen Städten hatten, in London, Moskau, Petersburg, Sofia, Amsterdam, aber auch in Rio de Janeiro. Die Autos von Laurin und Klement fuhren in Südamerika, Japan oder in Neuseeland.“
Das Angebot reichte vom Kleinwagen bis zum Omnibus. Mit dem Ersten Weltkrieg kam die Produktion fast zum Erliegen. Das Ende der Monarchie und die Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 waren wiederum ein Einschnitt:
„Nach dem Ersten Weltkrieg sah sich das Autowerk grundlegenden Problemen gegenüber. Zum einen war es keine günstige Zeit für Autos. Die Politiker betrachtete das Auto als asozialen Luxus, der so stark wie möglich mit Steuern belegt werden musste. Außerdem war mit dem Ende der Monarchie der heimische Markt völlig weggebrochen. Man muss bedenken, dass die Werke vor dem Krieg vor allem auf den Weltmarkt aktiv waren und in Länder außerhalb Böhmens exportiert hatten.“
Düstere Jahre nach dem Ersten Weltkrieg
Ein weiteres Problem: Laurin und Klement konnten nur eine begrenzte Produktpalette vorweisen. Tatra und Praga hießen die Konkurrenten auf dem heimischen Automobilmarkt, und beide waren längst Teil von stabilen Großkonzernen, sagt Petr Kozisek:„Hinter Laurin und Klement stand niemand. Darum waren die ersten Nachkriegsjahre düster, und sie führten am Ende zur Entscheidung von Václav Klement, die Werke an den Industriegiganten Škoda zu verkaufen. Er war es natürlich nicht allein: Über die Fusion im Juni 1925 entschieden die Aktionäre.“
Bald schon firmierten die Wagen unter dem Logo von Škoda. Patriarch Klement verlor seine Macht – und versuchte das Beste daraus zu machen. Er kehrte zurück zu seinen Anfängen, begann zu schreiben und wurde der erste tschechische Auto-Historiker. 1931 gab er ein Buch über die Geschichte des Automobils heraus.
„Klement gilt sogar als einer der Mitbegründer der Verkehrssammlungen des hiesigen Museums. Mitte der 1930er Jahre spendete er dem Technikmuseum zwei Autos und drei Motorräder. Und aus seinen eigenen Mitteln legte er noch die recht bedeutende Summe von 100.000 Kronen dazu, als Beitrag für das Gebäude des Technikmuseums.“
Škoda im Sozialismus: Belächelt, aber von historischer Bedeutung
Trotz der Weltwirtschaftskrise erholten sich die Autowerke in Mladá Boleslav unter dem Schutzmantel des Maschinenbauers. 1936 war die Marke Škoda Marktführer in der Tschechoslowakei – vor allem dank der neuen Modelle Rapid, Favorit und Superb. Mit der Besetzung der Tschechoslowakei durch die Deutschen 1939 war der Aufschwung vorbei. Škoda wurde eingegliedert in die „Hermann Göring AG“, abermals mussten die Arbeiter Rüstung produzieren. Nach dem Krieg erfolgte bereits 1945 die Verstaatlichung des Betriebes. Die sozialistische Planwirtschaft verfolgte neue Ziele:
„Sie baute vor allem auf einen Typ: den kleinen, billigen Personenwagen. Zunächst war es ein Wagen, der noch auf dem Vorkriegsmodell Popular basierte. Ab 1964 waren es dann die uns alle gut bekannten Wagen mit Heckantrieb. Es waren sehr billige Autos, viel belächelt. Doch sie hatten eine große historische Bedeutung, denn sie führten zur umfassenden Motorisierung unseres Landes.“
Škoda als Wagen für die Massen, diesem Thema widmet die Ausstellung im Technik-Museum nur wenig Aufmerksamkeit. Auch die Übernahme durch VW nach der politischen Wende 1989 ist nur eine Fußnote. Petr Kožíšek bewertet sie jedoch überaus positiv – vor allem weil kurzzeitig auch eine Kuponprivatisierung im Gespräch war.Die Ausstellung zu 120 Jahren Škoda ist im Nationalen Technik-Museum in Prag bis zum 27. März 2016 zu sehen.