St. Thomas-Kirche (1228-2003) - Dokumentarausstellung im St. Thomaskloster
Wenn man auf der Prager Kleinseite durch die Letenska-Straße in Richtung Kleinseitner Ring geht, kommt man kurz vor der Einmündung der Straße in die nordwestliche Ecke des Rings an einer beachtenswerten Klosteranlage vorbei - an dem St. Thomas-Kloster mit der gleichnamigen Kirche. Im Kloster findet zur Zeit eine Ausstellung wertvoller Urkunden und anderer Dokumente aus dem Archiv des Augustinerklosters statt. Die Schriftstücke dokumentieren wichtige Ereignisse aus der Klostergeschichte bis hinein in das 20. Jahrhundert. Mehr dazu erfahren Sie im folgenden Spaziergang durch Prag von Martina Schneibergova und Ditha Baierova.
"St. Thomas-Kirche (1228-2003) - 775 Jahre für Gläubige jeder Generation" - lautet der vollständige Titel der Ausstellung, die von den Augustinern des St. Thomas-Klosters in Zusammenarbeit mit dem Staatsarchiv vorbereitet wurde. Anhand der im Refektorium des Klosters ausgestellten Dokumente kann man die Geschichte des St. Thomas-Klosters bzw. der Kirche kennen lernen.
Anstelle der heutigen St. Thomas-Kirche stand einst eine kleine gleichnamige Kirche, die gemeinsam mit der St. Dorothea-Kapelle und einem kleinen Kloster höchstwahrscheinlich unter Premysl Otakar II. von den Benediktinern aus dem Kloster Brevnov kurz nach Gründung der Kleinseite Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet wurde. Im Jahre 1285 errichtete dort König Wenzel II. eine Niederlassung des neuen Augustinerordens. Auch aus dieser Zeit sind einige Dokumente erhalten geblieben, wie die Archivarin Jitka Kreckova, die die Ausstellung vorbereitete, bestätigte:
"Wir stellen hier die Urkunde des Königs Wenzel II. und eine andere Urkunde des Abtes Kristian aus dem Benediktinerkloster Brevnov aus. Der Abt verzichtet in der Urkunde auf das Patronatsrecht über die Thomaskirche und überreichte sie den Augustinern."
Die Augustiner begannen mit dem Bau einer neuen Kirche. Von der ursprünglichen Kirche waren offensichtlich nur die Nordwand des Presbyteriums und die St. Dorothea-Kapelle erhalten geblieben. Das Presbyterium der neuen Kirche wurde 1316 vom Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt zu Ehren des heiligen Thomas geweiht. Im Jahre 1379 wurde das Kirchenschiff von Kardinal Pileus zu Ehren des heiligen Augustin geweiht, die ganze Kirche behielt jedoch den Namen "Thomas-Kirche".
Das Augustinerkloster verfügte schon sehr früh über eine reichhaltige Bibliothek. Die erste schriftliche Erwähnung über die Klosterbibliothek stammt aus dem Jahr 1368, sie muss jedoch noch älter sein. Aus dem Bücherverzeichnis von 1409 geht beispielsweise hervor, dass es dort 127 Bände gab. 1418 kamen weitere 154 Bände hinzu und in der Sakristei gab es damals noch 48 liturgische Bücher. Die für die damalige Zeit große Bibliothek überlebte die vernichtenden Hussiten-Kriege und später im 16. Jahrhundert auch die nicht weniger vernichtenden Brände. Im Jahre 1603 umfasste die Bibliothek etwa 5000 Bände.
Eine Katastrophe stellte der Dreißigjährige Krieg für das Kloster dar. Der schwedische General Königsmark ließ zahlreiche Bücher und Handschriften beschlagnahmen und nach Schweden bringen. Es ist seitdem nie mehr gelungen, diesen Verlust zu ersetzen. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde die Bibliothek der Augustiner wieder erweitert, so dass sie am Ende des 19. Jahrhunderts fast 19.000 Bücher umfasste. Am wertvollsten ist die Handschrift Codex Thomaeus, wie Jitka Kreckova betonte:
"Es handelt sich um eine Handschrift, die im 14. Jahrhundert entstand und die Kopien der wichtigsten Urkunden der Augustiner enthält. Darin wurden deren Privilegien eingetragen. Die Eintragungen wurden während der hussitischen Zeitetappe beendet - ähnlich wie das Klosterleben."
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts stellte die fertiggebaute gotische St. Thomaskirche einen der wichtigsten und kompliziertesten Baukomplexe in Prag dar. Die erfolgreiche Entwicklung des Konvents wurde 1420 abgebrochen, als das Klosterareal von den Hussiten niedergebrannt wurde. Die Ordensgemeinschaft konnte erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wieder erneuert werden. Auch während des 16. Jahrhunderts wurde das Kloster von mehreren Katastrophen heimgesucht. Nachdem der Kirchenchor bereits 1509 eingestürzt war, blieb auch das Gebäude von dem großen Brand, der 1541 fast die gesamte Kleinseite und die Prager Burg vernichtete, nicht verschont. Ungefähr zu der Zeit wirkte der namhafte Chronist Vaclav Hajek aus Libocany als Prediger bei St. Thomas.
Mit tiefgreifenden Bauarbeiten zur Renovierung des Klosters begann man nach 1550. Sie wurden erst während des Dreißigjährigen Krieges beendet. Einen symbolischen Schlusspunkt unter die Renovierung der Gebäude stellte die Bestellung von zwei Gemälden für den Hauptaltar dar, die bei dem berühmten holländischen Maler Peter Paul Rubens eingingen. Es handelte sich dabei um das Bildnis des heiligen Augustin und um ein großformatiges Gemälde der Folterung des heiligen Thomas. Wie bereits gesagt wurde erlitt das Kloster während des Dreißigjährigen Krieges sehr bedeutende kulturelle Verluste.
Ihr heutiges Aussehen erhielt die St. Thomas-Kirche eigentlich erst in den Jahren 1727 und 1731. Mit den Entwürfen für den Wiederaufbau wurde Kilian Ignaz Dientzenhofer beauftragt, an der Barockausschmückung des Interieurs beteiligte sich der vielleicht bedeutendste böhmische Freskenmaler Wenzel Lorenz Reiner. Während der nachfolgenden Jahrhunderte hat sich an dem Gesamtaussehen des Klosterareals nicht viel verändert. Ähnlich wie in allen anderen Klöstern in der Tschechoslowakei wurde auch das Klosterleben bei St. Thomas kurz nach dem kommunistischen Putsch von 1948 gewaltsam beendet. Was mit den wertvollen Archivalien geschah, dazu sagte Jitka Kreckova:
"Nach 1950, nachdem die Mönche vertrieben worden waren, wurde deren Archiv beschlagnahmt. Es wurde in das damalige Archiv des Innenministeriums übertragen, das 1954 in das staatliche Zentralarchiv umbenannt wurde. Dort sind die Dokumente bis heute untergebracht. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Archivfonds, der etwa 78 Meter umfasst, sortiert. Er enthält Urkunden, Handschriften, Fotos, graphische Blätter - kurz: Dokumente ab dem 13. Jahrhundert bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Dokumente werden in speziellen klimatischen Bedingungen aufbewahrt, wobei für Archivalien, die als Kulturdenkmäler gelten, d. h. Urkunden bis zum Jahr 1526, außerordentlich strenge Aufbewahrungsregeln eingehalten werden müssen."
Aus diesem Grund durften auch in der Ausstellung im Thomaskloster keine wertvollen Originalurkunden ausgestellt werden. Sie wurden durch Faksimile ersetzt. Die Archivarin war bemüht, das Wertvollste aus dem Archiv zu zeigen. Die Dokumente werden von entsprechenden Bildern aus der Literatur ergänzt.
In der Ausstellung ist eine Vitrine der Persönlichkeit von Dr. Augustin Schubert gewidmet. Der Augustiner, der sich nach 1939 in der Widerstandsbewegung engagierte, wurde bald darauf von den Nazis verhaftet. Er starb am 28. Juli 1942 im Konzentrationslager Dachau. Die Ausstellung zeigt u.a. Andenken an August Schubert - wie z. B. einen kleinen Rosenkranz, den er sich im Gefängnis aus Brot bastelte. Zur Zeit verläuft der Prozess der Seligsprechung von Augustin Schubert.
Wie wir bereits erwähnt haben, wurde die jetzige Dokumentarausstellung im St. Thomaskloster von den dortigen Augustinern initiiert. Nach der langen, von den Kommunisten aufgezwungenen Pause versuchen sie jetzt wieder an die Tätigkeit ihrer Vorgänger anzuknüpfen. Zu diesem Thema bat ich den Prior des Augustinerklosters, Antonio Rivas, ans Mikrofon:
Mit diesen Worten von Antonio Rivas, dem Prior des Augustinerklosters von St. Thomas auf der Prager Kleinseite beenden wir diesen Spaziergang durch Prag, in dem wir die Ausstellung über die Geschichte der Thomaskirche besuchten.