Staatsoper-Dirigent Richard Hein: Das Publikum ist eine große Unbekannte

Richard Hein

Wie wir Sie in unseren Sendungen bereits informiert haben, begeht die Staatsoper Prag in diesem Jahr ein Jubiläum: Das Theatergebäude wurde vor 120 Jahren eröffnet. Das prunkvolle Haus mit klassizistischer Fassade wurde für das Neue Deutsche Theater erbaut. Anlässlich des Jahrestags möchten wir Ihnen in unserem Programm auch einen Blick hinter die Kulissen des Prager Opernhauses vermitteln.

Nicht nur die Staatsoper Prag / Státní opera Praha begeht ein rundes Jubiläum, sondern auch einer deren Dirigenten Richard Hein kann ein kleines Jubiläum feiern. Denn vor etwa zehn Jahren begann er das hiesige Opernorchester zu leiten. Der Weg des Dirigenten führte aus Deutschland über Österreich und einige Zwischenstationen – darunter das schlesische Opava / Troppau und das mährische Olomouc / Olmütz – nach Prag. Vor einem Jahr wurde Richard Hein mit dem Sudetendeutschen Kulturpreis für darstellende und ausübende Kunst ausgezeichnet. Der Dirigent ist mit Schlesien eng verbunden:

„Meine Eltern stammen aus der Gegend von Opava / Troppau. Mein Vater ist gebürtig aus Banská Bystrica, meine Mutter aus Uzhorod, aber als Deutsche sind sie aus Siebenbürgen gekommen. Die Eltern haben sich in Opava getroffen, dort wohnten wir. Ich bin in Vítkov / Wigstadtl geboren. 1968 sind meine Eltern nach Deutschland emigriert. Durch einen Zufall bin ich nach meinem Musikstudium nach Opava zurückgekehrt, und von dort später in die Staatsoper nach Prag gekommen.“

Wo haben Sie studiert – in Deutschland oder in Österreich?

„Ich habe in Graz in Österreich bei Professoren Milan Horvat und Wolfgang Bozic studiert. Bozic war Chefdirigent am Grazer Opernhaus. Professor Horvat war Chef des ORF-Sinfonieorchesters. Es war mich eine große Bereicherung, mit ihnen zu kommunizieren und zu musizieren. Nach dem Studium bin ich durch einen Zufalls als Gast nach Opava gekommen. Dort habe ich die erste Oper in meinem Leben dirigiert, und zwar den ´Atilla´.“

In der Staatsoper sind Sie seit 1997 tätig?

„Ja, ich vor zehn Jahren fing ich hier an, es ist eigentlich ein kleines Jubiläum – zehn Jahre an der Staatsoper. Jetzt kommt die elfte Saison. Ich hoffe, dass wir sie hier gut meistern.“

Der dramaturgische Plan wird wahrscheinlich wie fast überall ohne den Dirigenten zusammengestellt oder haben Sie einen Einfluss auf die Dramaturgie?

„Am Theater ist es so, dass ein dramaturgischer Plan auf lange Zeit hin gemacht wird, wobei man natürlich von Fall zu Fall ein bisschen korrigieren kann. Aber im Prinzip ist es die Sache der Theaterführung und der Dramaturgen, und wir als Dirigenten haben nur die Möglichkeit, uns Titel auszusuchen oder Wünsche zu äußern, in dem wir sagen: Wenn es möglich wäre, dann würde ich gern diesen Titel dirigieren.“

Haben Sie mehr beliebte Titel, die auf dem Repertoire sind, oder gibt es auch einige Titel, die Sie nicht so gern dirigieren?

„Grundsätzlich ist es für einen Dirigenten immer schön, etwas Neues zu machen. Jeder Titel, den man zum ersten Mal dirigiert, ist meistens ein Traum, das mal dirigiert zu haben. Wenn man allerdings einen Titel 150 oder 200mal dirigiert hat, dann sagt man: Mir langt das und ich brauche eine Pause. Von daher ist es immer schön, eine neue Herausforderung anzunehmen. Ich mag sehr romantische Musik und bin ein bisschen schon vorbelastet mit Wagner. Ich wurde auch von Frau Wagner nach Bayreuth eingeladen. Ich habe schon eine gewisse Beziehung zu der Art von Musik und freue mich auf diese Herausforderung.“

Richard Hein  (Foto: Autorin)
Im Mai soll der Fliegende Holländer in der Staatsoper neu aufgeführt werden. Werden Sie sich auch daran beteiligen?

„Ja, das ist eine neue Einstudierung mit einem englisch-französischen Team.“

Welche Rolle spielt das Publikum für Sie als Operndirigenten? Spüren Sie die Unterschiede, wer da hinter Ihrem Rücken sitzt?

„Das ist eine sehr interessante Frage. Man denkt immer, der Dirigent mit dem Rücken dazu, der nimmt es nicht wahr. Es ist natürlich so, dass das Publikum ein unbekannter Faktor ist, und das Interessante daran ist, dass bei jeder Vorstellung – und ich habe schon über 1000 Vorstellungen gemacht – verhält sich dieser Faktor anders. Das Publikum ist immer eine große Unbekannte, und man spürt, wenn man das Orchesterpodium betritt, eine gewisse Erwartungshaltung, man spürt eine Spannung oder eben auch nicht. Man bekommt mit der Zeit eine Erfahrung, ob das Publikum sehr motiviert ist, ob es schnell applaudiert oder nicht. Wenn ältere Leute da sind, die klatschen gewöhnlich nicht so schnell oder brauchen ein bisschen länger. Meistens ist es so, wenn die Oper zu Ende ist, dann gibt es einen sehr langen Beifall. Man merkt, wenn Amerikaner oder Italiener im Publikum sitzen, die sind gleich sehr enthusiastisch. Deutsche und Tschechen auch sind ein wenig zurückhaltend. Tschechen sind nicht so gewohnt, ihr Missfallen oder Begeisterung offen kundzutun. Ob die Vorstellung gut oder schlecht ist, ist der Applaus meistens ziemlich gleich, würde ich sagen. Bei der Staatsoper besteht das Publikum meistens aus Touristen, und jetzt merkt man, dass die Touristensaison langsam losgeht. Man freut sich dann selber, weil die Reaktionen sehr spontan sind. Dies spornt alle Beteiligten an.“

Gibt es vielleicht einige Leute, die Sie inzwischen aus dem Publikum kennen?

„Ja, es gibt Phänomene. Ich habe hier Leute kennen gelernt, die fast in jeder Vorstellung sind, die jährlich in 240-250 Vorstellungen gehen. Das ist selbst für mich ein absoluter Wahnsinn. Dies zeigt, dass die Faszination auf jeden Fall da ist, wenn man diesen Nervenkitzel spürt, wenn man diese Inhalte spürt, wenn man sich aufmacht, wenn man die Emotionen wahrnimmt. Das ist schon etwas ganz Eigenartiges und das kann sich auf das Publikum übertragen. Das soll ja auch dieser Funke sein, der überspringt. Dies ist das Interessante an einer Live-Vorstellung.“

Es gab und gibt es bei der Tschechischen Philharmonie sowie in einigen Opernhäusern in Tschechien Treffen mit den Künstlern oder Diskussionen über die Oper, die die so genannte „klassische Musik“ dem Publikum näher bringen sollen - sowohl die Opernmusik, als auch die sinfonischen Werke. Sind Sie ein Befürworter ähnlicher weniger traditioneller Musikveranstaltungen? Meinen Sie, dass dies der richtige Weg zur Popularisierung dieses Musikgenres ist?

„Ich bin ein sehr großer Verfechter dessen, das Publikum heranzuziehen. Wenn man sich die großen Städte anschaut wie München oder Wien, wie die Kinder an die Musik herangeführt werden und in einigen Jahren werden sie das Stammpublikum sein. Ich finde, dass es heute eine sehr große Aufgabe für uns alle ist. Man merkt das auch beim normalen Publikum, dass es meistens eine große Barriere zwischen dem Künstler und dem Publikum gibt. Man hat die Vorstellung, die Künstler seien eine Art Halbgötter, an die man nicht ran kann. Ich versuche sehr viel in dieser Hinsicht zu machen. Ich habe auch beim Projekt ´Toujours Mozart´ öffentliche Proben mit einem Regisseur gemacht. Wir versuchten dem Publikum zu zeigen, wie man an die Einstudierung herangeht. Das hatte ein sehr großes Echo auch hier in Prag. Ich habe jetzt ein paar Kinderopern angeboten bekommen und würde gern eine neue Reihe machen, die speziell für Kinder bestimmt sein soll. Ich möchte, dass die Kinder nicht nur im Zuschauerraum sitzen und sich die Musik anhören, sondern dass sie sich im Orchester neben die Instrumente hinsetzen können und dass man ein bisschen mit den Spielern diskutiert, die das Musikinstrument erklären. Auf der Bühne würde man einige Leute haben und die Kinder würden die Möglichkeit haben, sich an den Dirigentenpult zu stellen. Man würde ihnen eine Kinderoper beibringen. Die Kinder sollten zudem die Chance haben, sich die Proberäume anzuschauen. Dies wäre eine schöne Möglichkeit, die Kinder wieder ins Theater zu bringen.“

Es bleibt nur noch Herrn Dirigenten zu wünschen, dass es ihm gelingt, seine Pläne mit den Kinderopern in die Tat umzusetzen.