Stiftung "Vize 97" eröffnet renovierte St. Anna-Kirche
"Prager Kreuzung" werden die vor kurzem eröffneten historischen Räumlichkeiten der einstigen St. Lorenz-Kirche genannt. Die für die meisten Prager bislang unbekannte Sehenswürdigkeit wurde von der Stiftung Vize 97 renoviert, die von Ex-Präsident Václav Havel und seiner Frau Dagmar gegründet wurde. Im folgenden Spaziergang durch Prag laden Sie Martina Schneibergova und Lothar Martin in das Objekt ein, das bislang in keinem Stadtführer beschrieben wurde.
"Diese Kirche wurde als einzige Kirche nicht in Brand gesetzt. Dank dessen sind die wertvollen gotischen Dachstühle erhalten geblieben. Es wird über die Gründe spekuliert, warum die Kirche verschont wurde. Neben verschiedenen Legenden kann auch die folgende Tatsache eine Rolle gespielt haben: In diesem Kloster wurden Nonnen aus allen Prager Stiften konzentriert. Die Kirche wurde also wahrscheinlich aus praktischen Gründen nicht verbrannt. Die Nonnen waren jedoch gezwungen, utraquistisch zur Kommunion zu gehen. Im Jahre 1553 starb der Chronist Václav Hájek von Libocany in diesem Kloster und wurde in der hiesigen Kirche bestattet."
Im Jahre 1727 wurde das Interieur der Kirche im Barockstil renoviert - höchstwahrscheinlich nach Plänen des namhaften Barockarchitekten Frantisek Maxmilian Kanka. 1782 begann dann für die Kirche eine schwierige Zeitspanne. Zdenek Lukes dazu:
"Unter Josef II. wurde das Kloster aufgelöst und die Gebäude wurden für 19.000 Gulden verkauft. Das Objekt ging in die Hände des Hofdruckers Jan Ferdinand von Schönfeld über, der hier 1816 eine Druckerei errichtete. Die Kirche wurde schwer beschädigt. In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts wurde das gotische Gewölbe niedergerissen. Mit archäologischen Ausgrabungen begann man hier verhältnismäßig spät - erst in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts."1962 begann hier Restaurator Professor Toron zu arbeiten, der die Fragmente der ursprünglichen gotischen Wandgemälde freilegte. In den achtziger Jahren und Anfang der Neunziger wurden vor allem auf dem Dach und dem Dachstuhl Renovierungsarbeiten durchgeführt. Diese Arbeiten entsprachen Lukes zufolge nicht den von Experten gestellten Forderungen und haben das Gebäude eher beschädigt als ihm genutzt.
Mit der Kirche sind Namen einiger namhafter Persönlichkeiten verbunden. Neben dem bereits erwähnten Chronisten Václav Hájek von Libocany kann man den Komponisten Christoph Willibald Gluck erwähnen, der hier auftrat. Die Schriftstellerin Karolina Svetlá wohnte im hiesigen Klostergebäude. Der Schriftsteller und Verleger Václav Matej Kramerius ließ in der hiesigen Druckerei seine Zeitungen drucken. Die Druckerei wurde erst vor ca. 60 Jahren aufgelöst, und die Räumlichkeiten wurden seitdem als ein Lager genutzt. In der Kirche sind trotzdem wertvolle Kunstschätze erhalten geblieben:"Es geht erstens um Fresken, die aus drei verschiedenen Zeitetappen der Gotik stammen. Außerdem ist hier auch der Renaissancestil vertreten. Nach Meinung der Restauratoren, die momentan an den Fresken arbeiten, ist die Qualität einiger mit den Fresken in der Burg Karlstejn oder denen im Prager Kloster Emaus vergleichbar. Das ist eine Überraschung. Bislang gelang es, ca. 40 Prozent der Fresken zu restaurieren. Es kann sein, dass wir hier bei der Entdeckung weiterer Kunstschätze noch Überraschungen erleben. Das zweite wertvolle historische Element stellen die ursprünglichen gotischen Dachstühle dar. Durch dendrologische Forschungen wurde nachgewiesen, dass sie wirklich aus der Gotik stammen. Es handelt sich um die überhaupt älteste Konstruktion dieser Art, die dank der Tatsache erhalten blieb, dass die Kirche nie durch einen Brand beschädigt wurde." Sowohl die Denkmalschutzexperten als auch Restauratoren betonen, dass sich der Zustand der Kirche in der letzten Zeit bedeutend verbessert hat. Als sich die Stiftung Vize 97 Ende der neunziger Jahre für die Sehenswürdigkeit zu interessieren begann, sprach sie die berühmte tschechisch-britische Architektin Eva Jiricna an. Diese entwarf bestimmte Änderungen im Interieur der Kirche, wobei die verschiedenen historischen Schichten bewahrt wurden. Die einst niedergerissenen Rippen des gotischen Gewölbes wurden durch Stahlstangen angedeutet. Eva Jiricná zufolge gab es mehrere Studien darüber, wie das Gewölbe einst ausgesehen hat:"Man kann das nicht rekonstruieren. Ich meine, dass das Schöne an diesem Raum eben darin besteht, dass so viele Schichten auftauchen, wenn man eine nach der anderen vorsichtig freilegt. Hier sieht man vier oder fünf verschiedene Schichten, die in verschiedenen schönen Farben ausgeführt sind. Es ist besser, sich hier die Geschichte eher vorzustellen, als sie gemäß unserer eigenen Interpretation umzugestalten. Das einzige, was wir hier wirklich reparierten, waren Löcher, die hier als Spuren von fünf Gerüsten blieben. Als wir hier jetzt zum ersten Mal Musik hörten, stellten wir fest, dass es in diesem Raum eine hervorragende Akustik gibt, was sich die Musikexperten vorher gar nicht vorstellen konnten."
Ex-Präsident Václav Havel räumte ein, gar nicht gewusst zu haben, dass sich ein so wertvolles Objekt gleich gegenüber befindet, als er einst im "Theater am Geländer" auf dem Annaplatz wirkte. Auf die Existenz der längst nicht mehr benutzten Kirche wurde das Ehepaar Havel vom Theologieprofessor Tomás Halík aufmerksam gemacht. Der Ort ist interessant, und er regt zum Nachdenken an über die Welt, ihre Geheimnisse, und darüber, was wir nicht wissen und vielleicht auch nie erfahren werden, sagte der Ex-Präsident:"Wir wären froh, wenn dieser Raum in Zukunft belebt wird, wenn er nicht nur eine historische Sehenswürdigkeit bleibt, die sich von Zeit zu Zeit jemand anschaut. Wir möchten, dass der Raum lebt, und haben ihn daher 'Prager Kreuzung' genannt. Wir stellen uns vor, dass hier allmählich - und dies kann noch lange dauern - eine Art ständige Institution entsteht, wo sich verschiedene Begegnungen, Konferenzen, Vorstellungen, Happenings und gesellschaftliche Ereignisse abspielen werden. Wir möchten, dass die Räumlichkeiten wirklich zu einer internationalen Kreuzung gesellschaftlicher und geistlicher Strömungen der Zeit werden."