Tschechien und das Biathlon: Wie die goldene Generation einen Boom ins Land brachte

Beim Zuschauerinteresse gehört Tschechien zu den größten Nationen im Biathlon. Um sich davon zu überzeugen, muss man nur einmal in der Vysočina Arena in Nové Město na Moravě gewesen sein, wo am Dienstag die Weltmeisterschaft in der Sportart eröffnet wird. Dabei hat die goldene Generation tschechischer Biathleten um Gabriela Soukalová und Ondřej Moravec bisher noch keine Nachfolger gefunden. Im Folgenden mehr über das Phänomen Biathlon hierzulande.

„Ich mag die Strecken hier, ich mag den Sound hier, ich liebe diesen Ort“, so zollte Biathlon-Superstar Johannes Thingnes Bø beim Weltcup in Nové Město na Moravě / Neustadt in Mähren im vergangenen Jahr den tschechischen Fans seine Anerkennung.

Vysočina Arena | Foto: Barbora Navrátilová,  Radio Prague International

Obwohl es für die Skijäger aus dem Land selbst seit einiger Zeit nicht mehr so läuft, ist die tschechische Biathlon-Begeisterung immer noch da. Das wird sich auch bei der anstehenden WM wieder zeigen. Viele Wettkämpfe in der Vysočina Arena sind bereits ausverkauft. Rund zwei Drittel der Besucher dürften aus dem Land selbst kommen, sagen die Veranstalter.

Das Stadion in Nové Město wird in einem Atemzug genannt mit jenen im bayerischen Ruhpolding und in Antholtz in Südtirol. Nur dass es größer ist: Für die WM nannte der tschechische Verbandspräsident Jiří Hamza vergangene Woche bei einer Pressekonferenz ein Fassungsvermögen von 27.000 Menschen auf den Rängen und entlang der Strecke.

Ondřej Rybář war seit Mitte der Nuller Jahre in unterschiedlichen Positionen beim tschechischen Biathlonverband tätig, lange auch als Cheftrainer. Heute ist er dort sportlicher Leiter. Im Gespräch für Radio Prag International ordnet er ein:

„Bei uns ist Biathlon mittlerweile genauso populär wie in Deutschland. Noch vor dem Boom haben wir immer Oberhof als positives Beispiel hervorgehoben. Dort kommen die Fans selbst, wenn das Wetter schmuddelig ist, Nebel herrscht, oder es regnet – und trotzdem machen sie eine Party. In Ruhpolding dasselbe. Vor 20 Jahren habe ich gedacht: ‚Meine Güte, die Leute sind schon zwei Stunden vor den Rennen da, beobachten die Athleten und jubeln ihnen zu.‘ Ähnliches erleben wir nun seit einigen Jahren auch in Tschechien. Darüber bin ich froh, denn unser Sport ist wahnsinnig interessant und verdient diese Aufmerksamkeit.“

Ondřej Rybář | Foto:  Tschechisches Fernsehen

Für viele Fans in der Welt ist der tschechische Boom vor allem mit dem Namen Gabriela Soukalová, damals Koukalová verbunden. Derzeit wird über sie ein autobiografischer Film gedreht, dessen Trailer bereits im Netz ist.

Auch Rybář nennt die Biathlon-Queen der Jahre 2012 bis 2017 natürlich in seiner Antwort auf die Frage, wie alles begann. Aber er erwähnt noch weitere Namen der goldenen Generation tschechischer Skijäger:

„Es sind immer die Erfolge der eigenen Sportler, die die Fans in die Stadien strömen lassen. Ich denke, wir hatten eine außergewöhnliche Generation an Biathleten, mit denen wir so arbeiten konnten, dass der Erfolg nicht nur ein Jahr lang anhielt – sondern sogar über zwei olympische Zyklen hinweg. Und sie wurden zu echten Stars. Das ist zum einen Gabriela Soukalová, die ohne Frage eine gewisse Zeit eine der weltweit populärsten Biathletinnen war. Aber wir hatten auch ein sehr starkes Männerteam, in dem Ondřej Moravec für seine hervorragenden Schießeinlagen berühmt wurde, die er um schnelle Laufzeiten ergänzte. Dann gab es Michal Šlesingr, der ab den Nachwuchsteams internationale Medaillen gewann. Aber man sollte ebenso Jaroslav Soukup erwähnen, der immer ein bisschen im Schatten der anderen genannten Biathleten stand, doch letztlich auch Medaillen bei Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen holte. Ein unauffälliger, aber sympathischer Sportler.“

Soukalovás kometenhafter Aufstieg

Was die Außenwirkung anbetraf, konnte es jedoch niemand mit Gabriela Soukalová aufnehmen. Ihre Karriere startete kometenhaft, als sie im Dezember 2012 bei den Weltcuprennen im slowenischen Pokljuka an einem einzigen Wochenende Erste, Zweite und Dritte wurde. Bis zu ihrem Karriereende gewann sie vier Einzel- und zwei Staffel-Medaillen bei Weltmeisterschaften sowie drei Olympiamedaillen. Mit ihrer ungezwungenen Art trotz aller Erfolge eroberte sie auch die Herzen jener Sportfans, die mit nach Luft hechelnden Gewehrträgern auf Ski bisher nichts anzufangen wussten.

Dazu trugen Storys bei wie jene vom Weltcup in Ruhpolding, als sie ihr Gewehr im Hotelzimmer liegen ließ und ihr dies erst einfiel, als der Mannschaftsbus bereits zwei Kilometer in Richtung Wettkampfstätte gefahren war – und sie dann trotzdem das Einzelrennen gewann. Soukalová war dermaßen „Everybody‘s Darling“, dass zum Beispiel Johannes Thingnes Bø am 14. Februar 2016 bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihr in Hochfilzen schäkerte:

„Ich habe alles, was ich brauche, hier neben mir – mit Gabi. Es sieht nach einem perfekten Valentinstag aus.“

Sagte es und legte den Arm um sie.

Doch der Biathlon-Boom hat noch eine weitere Komponente. Denn der Erfolg der Generation um Gabriela Soukalová war durchaus geplant. Wie Rybář es angedeutet hat, hatte der Verband das Potenzial des Sports erkannt. Deswegen investierte man in die Jugend und baute in Nové Město ein Weltcup-taugliches Stadion. 2007 machten die Biathleten dort erstmals Station. Und man bewarb sich für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft. Als 2013 die WM stattfand, hatten die jungen Talente bereits ihre ersten Erfolge. Das spülte zudem Geld in die Kassen.

„Wir sind heute ein gut abgesicherter Sportverband, was auch an der Arbeit unseres Präsidenten Jiří Hamza liegt. Deswegen können wir uns auf Spitzenniveau auf die Wettkämpfe vorbereiten. Der Boom hat uns starke Werbepartner beschert, aber wir denken genauso an die Zukunft und investieren kontinuierlich in den Nachwuchs. Denn die Ausrüstung ist teuer. Ein Gewehr kostet vielleicht 80.000 Kronen (3200 Euro, Anm. d. Red.), und man kann nicht von allen Familien verlangen, dass sie dieses Geld für ihre Kinder aufbringen. Wir wollen genauso wenig, dass Biathlon ein Sport nur für Reiche ist. Das heißt, dass wir uns bemühen, dem Nachwuchs die geeigneten Voraussetzungen zu bieten. Und das ist gerade wegen der Gelder möglich, die uns der Boom eingebracht hat“, so Ondřej Rybář.

Und der Boom hat auch in Tschechien mehr Kinder für Biathlon begeistert. Wobei der Sportchef ergänzt, dass manchmal die Eltern mehr wollten als ihre Nachkommen. Und so resümiert er:

„Die Basis beim Nachwuchs ist heute mindestens um 50 Prozent größer als vor dem Boom. Die Kinder sind sicher auch geschickt. Immer ist aber die Frage, ob sie wirklich dabei bleiben. Denn heute sind Einzelsportarten insgesamt nicht mehr so populär wie Teamsportarten.“

Probleme am Schießstand

Die goldene Generation des tschechischen Biathlons ist in den vergangenen Jahren nach und nach abgetreten. Zwar sind junge Leute nachgerückt, doch es fehlt der ganz große Star. Am meisten Potenzial dazu hat sicher Markéta Davidová, die auch 2021 schon den Weltmeistertitel holen konnte – damals im Einzelrennen. Sie ist zudem das weibliche Aushängeschild der anstehenden Titelkämpfe in Nové Město. Allerdings hat sie in dieser Saison nur einmal ihre Fähigkeiten aufblitzen lassen, als sie im Verfolgungsrennen in Ruhpolding die Laufschnellste war und fehlerfrei schoss – womit sie sich um 35 Plätze verbesserte.

Markéta Davidová | Foto: Igor Stančík,  Český biatlon

„Ich bin schon mit einem Lächeln im Gesicht vom Schießstand auf die letzte Runde gegangen. Und ich kann nur staunen, zu was ich in der Lage bin. Heute hat alles zusammengepasst. In der Spur habe ich mich etwas besser gefühlt als in den vorangegangenen Rennen. Und am Schießstand konnte ich die Konzentration aufrechterhalten und jeden Schuss abarbeiten. Aber ehrlich gesagt habe ich selbst nicht daran geglaubt, dass viermal null Fehler herausspringen könnten“, schilderte die 27-jährige Skijägerin nach dem Rennen dem Reporter des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens.

Aber weder Davidová noch andere Mitglieder des tschechischen Biathlonteams haben in dieser Weltcup-Saison bisher den Sprung auf einen Podestplatz geschafft. Liegt das Problem mehr im Generationenwechsel oder beim Schießen?

„Ich denke, in dieser Saison führt der Weg aufs Podium nur über stabile Leistungen am Schießstand. Derzeit gelingt das aber nicht, und wir stellen uns auch die Frage, warum das plötzlich so ist. Wir hatten aber auch einige Platzierungen unter den besten 15, und hätte auch das Schießen gepasst, könnten wir jetzt von einem starken Team sprechen. Sicher spielt zudem der Generationenwechsel hinein. Diejenigen, die jetzt nachgekommen sind, haben noch nicht die Stabilität wie ihre Vorgänger. Zugleich entwickelt sich das Biathlon rasend schnell weiter, und wir müssen Schritt halten. Deswegen müssen wir uns jetzt darauf konzentrieren, die Barrieren beim Schießen einzureißen. Und wenn das gelingt, dann bin ich mir sicher, dass auch die Erfolge wiederkommen.“

Vysočina Arena | Foto: Barbora Navrátilová,  Radio Prague International

Also vielleicht schon bei der Heim-WM, die am Mittwoch mit der Mixed-Staffel eröffnet wird und am 18. Februar mit den Massenstartrennen endet. Gibt es etwa bestimmte Ziele oder sogar Medaillenvorgaben? Ondřej Rybář:

„Ich muss immer lachen, wenn vor den Olympischen Spielen all die Verbände ihre Medaillenziele herausgeben. Manche bräuchten dann gar nicht erst hinfahren, da die Zahl der Medaillen ja begrenzt ist. Jetzt bei der WM wären wir froh über ein Ergebnis, das unsere Herzen erwärmt. Vor den Titelkämpfen über Medaillen zu sprechen, ist aber Unsinn. Wir haben sicher im Team die Biathleten und Biathletinnen, die um Medaillen mitkämpfen können. Aber dafür muss alles passen.“

Und das liege letztlich nicht nur am jeweiligen Athleten, sondern auch zum Beispiel an den Ski, die das Serviceteam wachse, so der Sportchef. Ganz allgemein aber denkt Ondřej Rybář, dass eine weitere goldene Generation tschechischer Biathleten durchaus irgendwann kommen könnte…

Vysočina Arena | Foto: Barbora Navrátilová,  Radio Prague International

„Ich denke, wir haben geschickte Nachwuchssportler. Auf sie wartet allerdings noch ein langer Weg, auf dem sich zeigt, wie hart sie an sich arbeiten können. Aber auch im aktuellen Nationalteam haben wir bereits eine neue Generation, die dazu in der Lage wäre. Es sind jene Jungs, die bei Junioren-Weltmeisterschaften bereits Medaillen geholt haben. Oder auch Tereza Voborníková und natürlich Markéta Davidová. Jetzt ist die Frage, wie sie an die Sache herangehen. Wenn es klappt, können wir von dieser Generation eine Zeitlang profitieren und nebenher eine weitere heranwachsen lassen“, so der sportliche Leiter des Verbandes.

In jedem Fall können sich die tschechischen Biathletinnen und Biathleten auf die Unterstützung der Fans verlassen. Die werden sie lautstark anfeuern. Und vielleicht beflügelt das ja…

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Autor: Till Janzer
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