Tschechisch-Deutsches Auf und Ab - Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts (Teil 5)

Milan Uhde (Foto: CTK)

Geschichten des 20. Jahrhunderts - unter dieser Überschrift hatten Sie im Frühjahr dieses Jahres bei uns die Gelegenheit, sich in mehreren Teilen der Sendereihe "Heute am Mikrophon" mit dem Schicksal zweier deutsch-tschechischer Familien vertraut zu machen. In der nun folgenden Ausgabe der Sendereihe präsentiert Ihnen Jitka Mladkova eine Fortsetzung der Miniserie. Im Fokus der heutigen "Geschichte einer mitteleuropäischen Familie" steht die Familie Uhde, die im südmährischen Brno / Brünn zu Hause ist.

Der Name Milan Uhde dürfte vielen unserer Hörer bekannt sein. Radio Prag hat ihn schließlich mehrmals interviewt, zuletzt im September beim internationalen Theaterfestival "Divadlo 2007" in Plzen / Pilsen. Doch Uhde hat sich nicht nur dem Theater und der Literatur verschrieben. Im Leben des heute 71 Jahre alten Dramatikers und Schriftstellers, der in Brünn geboren wurde und der der Stadt bis heute treu geblieben ist, spielte auch die Politik eine Zeitlang eine große Rolle. 1972 bekam er Publikationsverbot und 1977 unterzeichnete er die Charta 77.

Nach der Wende aber wurde Milan Uhde 1990 Kulturminister und 1992 Parlamentspräsident der Tschechischen Republik. Er war zunächst Mitglied der Bürgerdemokraten (ODS) und wurde 1996 ODS-Fraktionschef. Ein Jahr später wechselte er zur Freiheitsunion (US), doch seit 1998 ist er wieder parteilos und freier Schriftsteller. Auf der diesjährigen tschechisch-deutschen Konferenz "Iglauer Gespräche", die zum ersten Mal" nicht in Jihlava / Iglau, sondern in Brünn stattfand, schilderte Milan Uhde ausführlich die bewegte Geschichte seiner Familie vor dem Hintergrund des Zeitgeschehens eines dramatischen Jahrhunderts. Diese Schilderung können Sie jetzt in gekürzter Fassung hören:

"Uhdes Opa väterlicherseits hat seine Berufskarriere als Beamter des Bankhauses Hypotecni banka in Brünn begonnen. Seinem Arbeitgeber gegenüber hat er sich immer loyal und initiativreich verhalten, wodurch er sich eine gute Position sicherte. Milan Uhde ergänzt die Charakteristik seines Großvaters:

Brünn
"Er sprach ausgezeichnet Tschechisch und Deutsch, und nachdem er festgestellt hatte, dass sich unter den Klienten der Bank auch Vertreter zweier anderer Nationen der Habsburger Monarchie befanden, lernte er auch Ungarisch und Polnisch. Seit 1910 leitete er die Brünner Filiale der Hypotecni banka. Als Österreich-Ungarn im Jahr 1918 zerfiel, war mein Großvater 48 Jahre alt."

1920 gab es in einer Brünner Tageszeitung einen kritischen Artikel über Uhde Senior zu lesen. Sein Autor protestierte dagegen, dass der frühere Österreicher Uhde an der Spitze einer inzwischen tschechischen Bankfiliale steht, und er konnte sich auch gut daran erinnern, wie dieser Uhde seinerzeit in Deutsch und Ungarisch mit den Klienten kommunizierte! Noch dazu habe er seine Kinder in deutsche Schulen geschickt und sich auch mit dem Dienstmädchen auf Deutsch verständigt. Das könnte negative Konsequenzen für das Bankhaus haben, warnte er in dem Artikel und schlussfolgerte:

"Die Bank müsse sich eines bewusst werden: Sollte ihre Brünner Filiale weiter von diesem Mann geleitet werden, werden sich tschechische Klienten gezwungen sehen, in anderen Bankhäusern um Hypotheken zu ersuchen. Und das hat der Prager Bankzentrale Angst eingejagt. Mein Großvater wurde unverzüglich von seinem Posten abberufen und bekam das Angebot, manuelle Arbeit im unterirdischen Lagerraum des Hauses zu verrichten. Unter der Bedingung allerdings, sich vor keinem Bankklienten je blicken zu lassen!"

Ein "großzügiges" Angebot für den treuen Dienst! Ansonsten hätte man ihm kündigen müssen, wurde ihm gesagt. Die grundlegenden Lebenssicherheiten des loyalen Beamten sind damit ins Wanken geraten, urteilt heute sein Enkelsohn. Der Großvater habe sich bis zum Ende seiner Lebenstage mit den Gedanken an seinen Fall gequält. Sein Tod ist schließlich auch bald gekommen, erzählte Milan Uhde. Seine Familie habe aus dieser Erfahrung eine eindeutige Lehre gezogen: Die Politik ist schmutzig und man muss sich von ihr fernhalten. Aber auch Uhdes Vater ist nicht von den politischen Einflüssen verschont geblieben:

"Mein Vater war ein exzellenter Student. Die juristische Fakultät absolvierte er "sub auspiciis" - mit den bestmöglichen Studienleistungen also. Dafür bekam er eine goldene Armbanduhr mit eingravierter Widmung und der Unterschrift des Staatspräsidenten geschenkt. Einen Arbeitsplatz hat er aber nur schwer gefunden. Man hat ihm angedeutet, er solle in die Agrarpartei eintreten. Dann wäre es schon möglich, eine Konzipientenstelle für ihn in einer renommierten Brünner Anwaltskanzlei zu erwerben, hieß es. In seinem Kopf aber hatte sich doch eingeprägt: Die Politik ist schmutzig! Und so fuhr mein Vater lieber nach Hodonin zur Arbeit, wo er beim Kreisgericht als schlecht bezahlter Askultant, als Praktikant also, eingestellt war."

Mauthausen  (Foto: CTK)
Milan Uhde unterstreicht, dass sein Vater kein Nationalist war. Über den Nationalismus wie auch über die Nationalisten selbst habe er sich im Gegenteil eher lustig gemacht. Brünn zählte seinerzeit zu den deutschen Sprachinseln in der Tschechoslowakei und auch Uhdes Vater war ein typisches Beispiel für die damalige Zweisprachigkeit.

"In Brünn hatte er tschechische und deutsche Freunde. Als Theaterabonnent besuchte er abwechselnd das tschechische Schauspiel- und Opernhaus und die deutsche Bühne. In seiner Bibliothek zu Hause hatte er gesammelte Werke von Goethe, Schiller und Heine. Seine ältere Schwester heiratete einen Brünner Deutschen, mit dem sich meine Eltern sehr gut verstanden. Die Politik aber hat sie dann doch noch eingeholt."

Der Nationalismus und die zunehmenden Spannungen zwischen den Tschechen und den Deutschen in den 30er Jahren haben die Eltern von Milan Uhde zunächst unberührt gelassen. Dann kam aber der Krieg, und der hat vieles auf den Kopf gestellt:

Milan Uhde  (Foto: CTK)
"Die deutschen Besatzer haben meinen Vater vor eine dramatische Situation gestellt. Meine Mutter entstammte nämlich väterlicher- wie auch mütterlicherseits einer jüdischen Familie. Die Großeltern hingegen waren konfessionslos und programmatisch an der Assimilierung mit der christlichen Gesellschaft interessiert. Mein Großvater leitete auf dem Lande eine Gruppe des Turnvereins Sokol, wo eine nationalistische Abneigung gegenüber den Juden die Oberhand gewann. Es gelang ihm sogar, der durchaus nationalistischen Nationaldemokratischen Partei beizutreten. Er wurde zum Mitglied ihres Exekutivkomitees für Mähren. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen, durfte er aber nicht mehr bei der Bahn arbeiten, er durfte auch keinen Hund haben und letzten Endes hat er eine Einweisung für den Transport ins KZ bekommen."

Auf dem so genannten Todesmarsch vom KZ Mauthausen ist Uhdes Großvater gemeinsam mit seiner Ehefrau gestorben. Ebenso fatal griff der Krieg auch in das Leben seiner Eltern ein:

"Verwandte meines Vaters versuchten ihn zu überreden, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Das Hauptwort führte dabei seine Schwester, die mit einem Deutschen verheiratet war. Ihre Motivation war kein Rassenhass, sondern die Angst. Sie wusste, dass ihre nationalsozialistischen Stammesgenossen vor nichts zurückschrecken werden. Auch nicht davor, gemeinsam mit den Juden auch ihre arischen Lebensgefährten zu liquidieren, wenn sie mit ihnen im Bund der Ehe verbleiben würden. Mein Vater gab diesem Druck nicht nach, doch die Politik trat definitiv in unser Leben und nistete sich in unserer Familie fest ein. Von meinem Vater, der als germanophil galt und der bis zum Ende der Ersten Republik ein aufrichtiger Bewunderer der deutschen Kultur und der Produkte der deutschen Industrie war, bekam ich nun schreckliche Fluchworte an die Adresse der Deutschen zu hören."

Als der Krieg zu Ende war, stand die Familie Uhde vor einem neuen Drama. Das soll aber das Thema unseres nächsten Treffens bei Heute am Mikrophon sein.