Tschechische und französische Maler des Surrealismus´ treffen in Ludwigshafen aufeinander

Wilhelm-Hack-Museum

„Gegen jede Vernunft. Surrealismus Paris- Prag“ – so der der Titel einer Ausstellung, die vom 14. November 2009 – 14. Februar 2010 in Ludwigshafen stattfinden wird. In einer repräsentativen Kollektion von Bildern, Objekten und Skulpturen wird das Wilhelm-Hack-Museum in der vornehmen Gesellschaft französischer Surrealisten wie etwa Salvador Dalí, Max Ernst, Giorgio de Chirico oder André Masson auch bedeutende tschechische Vertreter derselben Kunstrichtung vorstellen. Das sie in einer Ausstellung aufeinander treffen geschieht nicht von ungefähr. Den Hintergrund erläutert der Direktor des Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museums, Dr. Reinhard Spieler, für den heutigen Kultursalon führte.

Herr Doktor Spieler, in der geplanten Ausstellung in Ihrem Museum geht es - allgemein gesagt - um die Kunstrichtung „Surrealismus“. Die Schwerpunkte werden auf den Kunstmetropolen Paris und Prag liegen. Können Sie bitte für diejenigen von uns, die in diesem Bereich nicht so bewandert sind, erläutern, warum sich die Ausstellung gerade auf diese beiden Städte konzentrieren wird?

„Grundsätzlich wollen wir eine neuere Sicht des Surrealismus vorstellen, und dies mit dem Blick eben auf vitale surrealistische Kunstszenen, die es nicht nur in Paris gab, sondern auch woanders. Da war eine der interessantesten Szenen eben in Prag. Es gab enge Beziehungen zwischen Prag und Paris. Die Prager Surrealisten haben allesamt in Paris gelebt. Auch von den Pariser Surrealisten gab es enge Beziehungen nach Prag. Eluard und Breton haben dort Vorträge gehalten. Wir haben auch bei der Vorbereitung festgestellt, dass die meisten der Arbeiten aus dem surrealistischen Umfeld in Prag gar nicht mehr im tschechischen, sondern vielfach auch im französischen Besitz sind. Das zeigt, wie eng die Beziehungen waren. So wird also erstmals außerhalb Tschechiens die Prager surrealistische Szene wirklich im großen Stil gezeigt.“

Der Titel der Ausstellung lautet: Gegen jede Vernunft. Surrealismus Paris – Prag. Warum Paris und Prag wissen wir schon. Wie ist nun das Leitmotiv „Gegen jede Vernunft“ zu verstehen?

Wilhelm-Hack-Museum
Der Surrealismus ist eine künstlerische Bewegung, die sich mit Vehemenz gegen ein rationalistisches Weltbild gewandt hat und das Unbewusste, Unerklärbare und unerklärte Gefühle in den Mittelpunkt ihrer Welterfahrung gestellt hat. Sofern haben wir den Titel gewählt „Gegen jede Vernunft“, um zu zeigen, dass es eben in einer Zeit, in der auch die Wissenschaft sehr stark vorangetrieben wurde, auch andere Modelle der Welterfahrung gegeben hat.“

Worauf ist Ihrer Meinung nach, jetzt etwas salopp gesagt, das Fußfassen des Surrealismus in Prag zurückzuführen? Und noch etwas. Sie haben rege Kontakte zwischen tschechischen und französischen Surrealisten erwähnt. Haben die beiden Surrealismus-Zentren etwas Spezifisches in sich, wodurch sie sich voneinander unterschieden haben?

„Die beiden Szenen sind schon durchaus eigenständig. Vor allen Dingen ist in Prag die Bewegung sehr stark aus einer Literaturszene hervorgegangen. Es gab in den 20er Jahren die Bewegung des Poetismus´. In dieser Bewegung hat sich viel von dem Gedankengut, das dem Surrealismus nahe stand, schon entwickelt. Erst 1934 ist im eigentlichen Sinne die Surrealistenbewegung gegründet worden, Aber wie gesagt, schon vorher gab es das in literarischer Form in enger Verwandschaft. Wo die Entwicklung noch mal ganz unterschiedlich gelaufen ist, war es vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Da ist die surrealistische Bewegung in Paris eigentlich abgeebbt und war nicht mehr besonders interessant, während in Prag dieses Gedankengut und diese künstlerische Bewegung bis in den Prager Frühling hineinreicht. Bis Ende der 60er Jahre also. So geht auch unsere Ausstellung bis 1969. Dort war der Surrealismus eigentlich der Sammelbecken, das unabhängig von der Staatskunst sich auch künstlerische Freiheit bewahrt hat.“

Kann man vielleicht doch durch etwas erklären, warum der Surrealismus gerade in Prag seinen günstigen Nährboden gefunden hat?

„Ja, das ist sehr komplex. Da kann man vielleicht bis zu Kafka zurückgehen. Man kann aber genauso Belgien nehmen. Auch Belgien hat eine sehr intensive surrealistische Tradition, die auch bis in die Gegenwart hineinreicht. Den Surrealismus gibt es eigentlich schon überall in Europa. Außerhalb von Paris sind sicher Belgien und Prag die vitalsten Szenen. Das hat schon vielleicht grundsätzlich kulturellen Traditionen zu tun. Prag ist also schon pronzipiell ein Kulturzentrum gewesen. Vielleicht noch mehr als Warschau jetzt. In Wien hat sich aber komischerweise der Surrealismus nicht so ausgeprägt. Warum das so ist, weiß ich nicht.“

Nun also etwas konkreter zum Inhalt der Ausstellung: Welche Highlights wird sie haben? Werden da neben den Gemälden der bekanntesten Maler auch Werke von eher unbekannten Malern gezeigt?

„Das ist natürlich relativ. Für Deutschland und Besucher außerhalb Tschechiens werden die meisten der tschechischen Surrealisten ziemlich unbekannt sein. Wenn überhaupt dann sind so etwa Toyen oder Švankmajer die Namen, die man vielleicht kennt, aber grundsätzlich sind die Maler kaum außerhalb von Prag gezeigt worden und deswegen werden sie alle Entdeckungen für die hiesigen Besucher sein. Wir werden das etwa 50 zu 50 verteilen, das heißt, die französischen Surrealisten werden etwa gleich gewichtet mit den Prager Surrealisten. Bei den französischen sind natürlich alle großen Namen vertreten wie Dalí, Max Ernst und viele andere, insgesamt etwa 40 Künstler, die vertreten sein werden. Zu den absoluten Highlights gehört ein riesiges Bühnenbild von Dalí, das bisher nur ein einziges Mal in Brasilien gezeigt worden ist. Das ist ein Bühnenentwurf, den er für die Metropolitan Opera gemacht hat. Es ist ein neun mal fünfzehn Meter Leinwandgemälde groß. Außerdem werden wir den Hauptraum der legendären Surrealismus-Ausstellung 1938 von Paris in 1:1 rekonstruieren. Das wird sicherlich auch ein Highlight werden.“

Karel Teige, Jindřich Štýrský oder Toyen sind international anerkannte tschechische Surrealisten. In den Zeiten des sozialistischen Realismus galten sie ehr als Tabu, sodass sie nach der Wendejahr 1989 sozusagen von vielen Tschechen wieder neu entdeckt werden mussten. Ich nehme an, dass diese Namen auch in Deutschland nicht allgemein bekannt sind. Darf ich Sie an dieser Stelle um ein paar Eckdaten bitten?

„Die drei Künstler sind sicher das Rückgrat der surrealistischen Bewegung in Tschechien. Sie waren auch lange in Paris und haben auch die französische Szene sehr interessant mitgeprägt. Alle drei sind auch ganz breit in französischen Sammlungen vertreten. Sie haben wunderbare Gemälde geschaffen, aber auch sehr viele und spannende Collagen. Collage ist eines der wichtigsten Medien des Surrealismus. Auch davon gibt es in der Ausstellung wunderbare Arbeiten.“

Ich danke Ihnen für diese Visitenkarte des „Rückgrats“ des tschechischen Surrealismus und habe abschließend noch eine Frage: Es wird auch mit einem eigenen Ausstellungsteil zur surrealistischen Fotografie gerechnet. Werden auch hier tschechische Autoren vertreten sein?

„Ja, sogar im ganz großen Stil. Da wird der tschechische Teil auch der wichtigste sein. Wir werden etwa 150 Fotografien zeigen. Gerade die fotografische Szene war in Prag außerordentlich vital und überhaupt im ganzen Surrealismus wohl die interessanteste.“

Herr Doktor Spieler, ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Ausführungen und wünsche viel Erfolg für die Ausstellung.