Tschechoslowakischer sozialistischer Realismus 1948-1958

"Tschechoslowakischer sozialistischer Realismus 1948-1958". Diesen einfachen Namen trägt eine Ausstellung in der Prager Galerie Rudolfinum. Sie versetzt die Besucher ein halbes Jahrhundert zurück und präsentiert die offizielle bildende Kunst des oben genannten Jahrzehnts. "Der Bau der Slapy-Talsperre", "In der Gießhütte", "Julius Fucik unter Bergleuten", "Freundschaft der sowjetischen und der tschechoslowakischen Armee": Diese und andere Bilder sind bis zum 7. Februar im Kunsthaus auf dem Moldau-Kai zu sehen und werden im heutigen Kultursalon besprochen. Am Mikrophon sind Katrin Sapina und Markéta Maurová.

"Sozialistischer Realismus: sowjetische Kunsttheorie, 1932 erstmals in einer Resolution des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion gefordert, '34 und '36 von Schdanow zum alleingültigen sowjetischen Kunststil erklärt. Fordert eine ´wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung´, die zu einer tendenziösen Themenbeschränkung führte; soll die Werktätigen ideologisch umformen und durch eine allen verständliche Kunst erziehen; lehnt Konflikte und formale Experimente ab."

Mit diesen Worten wird der sozialistische Realismus im Knaurr-Lexikon definiert. Jener Stil wurde aus der Sowjetunion in die Tschechoslowakei importiert. Hat sich hierzulande daraus aber eine spezifische Gestalt entwickelt? Dazu habe ich die Kuratorin der Ausstellung, Tereza Petiskova, befragt.

"Ganz bestimmt, würde ich sagen. Es handelt sich um eine mitteleuropäische Form des sozialistischen Realismus und zwar aus einem Grunde: die tschechoslowakische Gesellschaft und Kultur wehrte sich damals gegen den sehr harten Druck des Nachbarimperiums, und zwar sowohl gegen politischen als auch kulturellen Druck."

Und wie hat sich diese Abwehrhaltung in der sozialistisch-realistischen Kunst wiedergespiegelt?

"Im Unterschied zu Ausstellungen, die damals etwa in Berlin, Moskau und anderen Städten präsentiert wurden und die Sphäre des sozialistischen Realismus in anderen Kulturen reflektierten, beinhaltet die tschechische offizielle Produktion der 50er Jahre in hohem Maße eine Rückkehr zu traditionellen Kunstwerten, Rückkehr zur Landschaftsmalerei, Stillleben, Veduten usw. Diese Bilder waren auf offiziellen Ausstellungen nur dank ihres Namens vertreten, wie etwa "Geburtsort Klement Gottwalds", "Die Schleuse bei Rousínov" und andere."

Seit wann kann man hierzulande von Sozialistischem Realismus reden? Kam dieser Stil erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Tschechoslowakei, oder gab es bereits in der Zwischenkriegszeit erste Ansätze?

"Die avantgardistische Strömung des sozialistischen Realismus, in der Form, die wir etwa aus den visionären Versuchen der sowjetischen Kultur kennen, kam bei uns natürlich auch vor, aber vor allem in den 30er und 40er Jahren. Diese Form des sozialistischen Realismus wird auf dieser Ausstellung nicht präsentiert."

Was für Möglichkeiten gab es für die tschechoslowakische Öffentlichkeit, für tschechoslowakische Künstler, sich mit dem neuen Kunststil bekannt zu machen? Fanden hierzulande z.B. Ausstellungen sowjetischer Künstler statt? "Am Anfang war es sehr problematisch, weil die stalinistische Form des sozialistischen Realismus in der Tschechoslowakei bis 1948 fast unbekannt war. Ende der 30er Jahre tauchen nur ein paar Informationen in der Fachpresse auf - ich habe nur zwei Artikel von Adolf Hofmeister gefunden. Eine allgemeine Kenntnis davon, wie die stalinistische Kultur aussah, existierte fast nicht.

Interessant war eine Ausstellung der sowjetischen Nationalkünstler, die bei uns im Jahre 1947 stattfand und einen riesigen Skandal hervorgerufen hat. Diesem Problem und eigentlich dem Schock, den die Ausstellung für die tschechische Kultur, die ganz natürlich zu den Ideen einer humanen sozialistischen Gesellschaft neigte, bedeutete, ist im Katalog fast ein ganzes Kapitel gewidmet. Denn es handelt sich dabei wirklich um einen Wendepunkt. Damals hat sich für die tschechische Kultur offenbart, was die stalinistische Kultur eigentlich ist."

Tereza Petiskova hat für die Ausstellung ausschließlich Werke gewählt, die im Jahrzehnt 1948 - 1958 entstanden. Warum gerade diese Abgrenzung, habe ich sie weiter gefragt.

"Dieses Jahrzehnt ist eine Zeitspanne, in der sich die Szene in die offizielle, vom Staat geförderte Kunst aufteilte, die wir präsentieren, und die Kunst jener Autoren, die keine Möglichkeit hatten, sich öffentlich vorzustellen, ihre Werke zu zeigen, zu kommunizieren. Deswegen diese Abgrenzung. Das Jahr 1948 ist ganz klar: die Machtübernahme durch die Kommunisten. Das Jahr 1958 haben wir mehr oder weniger symbolisch gewählt: in dieser Zeit wurde im tschechoslowakischen Milieu die moderne Kultur offiziell akzeptiert, besonders dank ihres Erfolgs bei der Repräsentation des Staates auf der Weltausstellung Expo´58 in Brüssel."

Kann man unter den ausgestellten Bildern auch tatsächlich künstlerisch wervolle Werke finden, oder handelt es sich um eine bloße Erfüllung der Ideologie?

"Wir begegnen manchmal auch überraschend interessanten Kunstwerten, aber in höherem Maße im Bereich der Werke, die anachronistischerweise zur Ästhetik etwa der Landschaftsmalerei im 19. Jahrhundert zurückkehren."

Gleich am Eingang versetzt ein Zitat des Theoretikers des sozialistischen Realismus, A. A. Schdanow, - dargestellt in der typischen gelben Schrift auf einer fahnenroten Tafel - den Besucher um 50 Jahre zurück. Ähnliche rot-gelbe Tafeln dominieren dann jede Abteilung der Ausstellung: "Die Stärke unserer Literatur besteht darin, dass sie der neuen Sache, dem neuen Werk dient - dem Werk des sozialistischen Aufbaus." "Die Literatur soll den Sozialismus erziehen, Autoren sollen 'Ingenieure der menschlichen Seele' sein." "Die Literatur soll die Realität der Arbeit und der Gesellschaft nicht als die objektive Wirklichkeit darstellen, sondern als Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung." Soviel einige der Überschriften. Alle Säle der Galerie Rudolfinum sind mit Bildern, Plastiken und diversen Dokumenten gefüllt, die diesen Forderungen entsprechen. Wie die Ausstellung organisiert und aufgeteilt ist, beschreibt Tereza Petiskova:

"Zur Einleitung haben wir ein allgemeines Nachkriegsthema gewählt, und zwar den Enthusiasmus, den Aufbau einer neuen Gesellschaft: dort können Sie vor allem Bilder sehen, die verschiedene Phasen des Aufbaus von Wasserwerken darstellen. Ein weiterer Saal ist der Produktion gewidmet, an der der stalinistische Druck oder das stalinistische Vorbild am stärksten zu sehen ist. Im Kontrast zu diesem ideologischen Propagandaschaffen folgt ein Saal, der der breitesten Inspiration gewidmet ist: lyrische Inspiration, Natur. Und die Ausstellung wird durch Werke abgeschlossen, die eine neue ideologische Interpretation der tschechoslowakischen Geschichte belegen sowie durch Werke des Armeekunststudios, in denen die Armee gefeiert wird."

Abschließend geben wir dem Galerie-Direktor, Petr Nedoma, das Wort. Warum hat er sich gerade für die Präsentation des sozialistischen Realismus entschieden?

"Es geht vor allem darum, dass diese Kunst nicht häufig gezeigt wird. Diese Kunst ist irgendwo in Depots versteckt, sie wird - logischerweise - an den Rand des Interesses geschoben. Aber andererseits stellt sie einen festen Bestandteil unserer Geschichte dar. Es gibt hier eine große Gruppe von Leuten - im Alter unter 40 Jahren - die nie die Möglichkeit hatten, diese Werke zu sehen. Ich will auch der jüngeren Generation ermöglichen - sollte sie Interesse haben - sich auf Grund einer Autopsie ihre eigene Ansicht zu bilden, sie sollen die Gelegenheit haben, zu sehen, um was für Werke es sich handelte."