Vaclav Brozik und die historische Gemäldekunst des 19. Jahrhunderts
Das Schicksal hat ihm sowohl großen Ruhm in Europa und sogar in Übersee, als auch die Ablehnung seitens der jüngeren Generation beschert: Die Rede ist vom tschechischen Künstler und einem der führenden Repräsentanten der historischen Malerei Vaclav Brozik. Dieser großen Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts ist eine umfangreiche Ausstellung in der Nationalgalerie in Prag gewidmet - und auch unser heutiger Kultursalon. Im Studio begrüßen Sie dazu Gerald Schubert und Markéta Maurová.
Der Lebensweg von Vaclav Brozik erinnert an ein Märchen darüber, wie ein armer Knabe zum Glück kam. Wie, darüber erzählt die Autorin der Ausstellung, Nadezda Blazickova-Horova.
"Er schaffte es, seinen Traum davon, Maler von großen und berühmten Gemälden zu werden, zu verwirklichen, der für einen armen Jungen aus dem Dorfe eigentlich unvorstellbar und unrealisierbar war. Natürlich war dazu neben dem Talent und einem festen Willen auch Glück nötig, und dies ist Brozik zuteil geworden. Vor allem in Gestalt von mehreren Mäzen, und zwar bereits in seinen Jugendjahren."
Nach einer kurzen Studienzeit an der Prager Akademie ging Brozik zunächst nach Dresden, dann nach München und schließlich nach Paris. Wir finden hier wieder einen Hinweis auf seine Beharrlichkeit: Als er 1876 nach Paris ging, konnte er kein Wort Französisch und hatte bloß zwei Empfehlungsbriefe bei sich. Trotzdem gelang es ihm, sich innerhalb von zwei Jahren durchzusetzen: Binnen kürzester Zeit war er in Frankreich bekannt. Seine Werke wurden Kritikern besprochen und der Pariser Salon verlieh ihm eine goldene Medaille. Ein Jahr später heiratete er die reiche Tochter Charles Sedelmeyers und bewegte sich fortan in den Kreisen der Pariser Finanzaristokratie.
Brozik ist vor allem als Repräsentant des Historismus bekannt. Doz. Vit Vlnas von der Nationalgalerie dazu:
"Brozik lebt heute im allgemeinen Bewusstsein vor allem als Autor von monumentalen Gemälden mit Themen aus der tschechischen und nicht nur der tschechischen Geschichte. Heute, an der Schwelle unseres EU-Beitritts, wenn wir masochistisch danach streben, im uferlosen Europäertum zu verschmelzen, unterliegen wir gewissermaßen dem Eindruck, dass der böhmische Historismus des 19. Jahrhunderts Ausdruck der Provinzialität, Unerwachsenheit, des Fremdenhasses, des unreifen und kleinen tschechischen Volkes ist. Ich muss leider sagen, dass diese Vorstellung vor allem von ungebildeten, umso mehr jedoch von zum Moralisieren neigenden Publizisten verbreitet wird."
Die Realität sieht nach Vit Vlnas anders aus. Der Historismus und die Argumentation mit historischen Ereignissen für die Gegenwart, seien Attribut einer ganz normalen, gesunden und sich völlig fließend entwickelnden Nation im 19. Jahrhundert. Diese historische Argumentation trat in unterschiedlicher Gestalt auf, je nach dem, in welcher Position sich das jeweilige Volk befand. Große Nationen, wie etwa die Franzosen und die Engländer, hätten ihre Geschichte als Argument für die Unterstreichung ihrer Stellung als Zivilisationsträger in der Welt und den Erwerb einer noch größeren politischen Bedeutung genutzt. Die Völker, die einen vereinten Staat anstrebten, wie Deutsche und Italiener, hätten sich der Geschichte zugewandt, um gerade in ihr Argumente für die Erlangung dieser Einheit zu finden. Einen Sonderfall bildeten natürlich solche Völker, die zu jener Zeit erst die Weichen für die Gründung eines eigenen Staates stellten: die Tschechen, Polen, skandinavische Völker, Ungarn und südslawische Völker. Für diese Völker nahm die Geschichte als Argumentationsgrundlage eine exponierte Stellung ein.
"Daraus ist ersichtlich, dass gerade die Habsburger Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Gebiet war, auf dem unterschiedliche Formen des Historismus aufeinander gestoßen sind. Es ist interessant, dass wir auch bei Vaclav Brozik unterschiedliche Formen des Historismus finden: von dem nationalen Historismus, der sich besonders in hussitischen Themen widerspiegelt, bis zum Historismus im Dienst der offiziellen, übernationalen Idee der Habsburger Monarchie, in Gemälden wie "Tu felix Austria, nube!", d.h. der Gründung der Donau-Monarchie, oder im Bild von Ferdinand I. mit seinen Künstlern, das das Mäzenatentum des Habsburger Hauses preist."
Vaclav Brozik, der zu der sog. "Generation des Nationaltheaters" gehört, hat den Historismus bereits in seiner frühen Jugend kennen gelernt. Mit seinen Gefährten, wie Mikolas Ales, Hynais, Zenisek, verband ihn das Erlebnis der berauschenden 60er Jahre des 19. Jahrhunderts, begleitet von dem Fall des Neuabsolutismus, von der Volksversammlungsbewegung, vom Kampf um eine gleichberechtigte Stellung der Länder der böhmischen Krone im Rahmen des Habsburger Reiches, und natürlich immer wieder neue Formen des Historismus, die in diesem Fall bereits offen zu Gunsten des tschechischen historischen Rechts, der tschechischen nationalen Idee und natürlich auch des tschechisch sprechenden Ethnikums.
"Hier muss gesagt werden, dass der Historismus in der tschechischen Gemäldekunst später als in anderen Kunstdisziplinen kam und in Broziks Gemälde "Hus vor dem Konzil in Konstanz", das 1884 ausgestellt wurde, seinen Höhepunkt fand. Dies ist ein Werk, das der Nation auf eine ideale Art und Weise ermöglicht, sich mit diesem Bild der Vergangenheit zu identifizieren. Eingeschlossen die Tatsache, dass Hus nicht als mittelalterlicher Reformator, sondern als ein Kämpfer für die Wahrheit als liberale Kategorie dargestellt wird. Und, was wichtig ist, Broziks Werk wurde als ein Bild empfunden, das den bedeutendsten europäischen Gemälden dieses Genres durchaus das Wasser reichen konnte. Man muss hierbei berücksichtigen, dass ein kolossales, historisches Gemälde zu schaffen, als die ehrwürdigste und bedeutendste Aufgabe gilt, die ein Maler im 19. Jahrhundert bekommen konnte. Etwa um 1890 kam es zu einem Umbruch in dessen Folge dieser Stil seine Wirkungskraft verlor. Der Historismus, den Vaclav Brozik hervorragend und auf höchstem europäischen Niveau verwirklichte, war in Broziks Darstellung eigentlich auch das letzte Phänomen dieser Art. Er war natürlich eine notwendige und unausweichliche Vorstufe dafür, dass sich diese Nation dahingehend emanzipierte, dass sie keine historischen Argumente für ihre Existenz mehr brauchte. In diesem Sinne ist Broziks Werk wichtig und unersetzlich."Liebe Hörerinnen und Hörer, soweit unser heutiger Kultursalon, der dem Maler Vaclav Brozik und dem Historismus in der tschechischen bildenden Kunst gewidmet war. Am Mikrophon waren die Mitarbeiter der Nationalgalerie, Nadezda Blazickova-Horova und Vit Vlnas. Die Ausstellung in der Reiterhalle des Waldstein-Palais auf der Prager Kleinseite bleibt für Sie bis zum 4. Mai offen. Mit einer Einladung zum Besuch dieser Ausstellung möchten wir uns von Ihnen verabschieden. Im Studio waren mit Ihnen Gerald Schubert und Markéta Maurová.