Verfassungsgericht kippt Vorratsdatenspeicherung – Polizei sucht nach neuen Wegen

Schutz vor Terrorismus oder Eingriff in die Privatsphäre? Über die Vorratsdatenspeicherung gehen die Meinungen auseinander. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht das entsprechende Gesetz schon vor gut einem Jahr gekippt – und somit dem Schutz der Privatsphäre Vorrang eingeräumt. Das tschechische Verfassungsgericht urteilte am Donnerstag ähnlich.

„Zwangsläufig kommt es dabei zu einer Einschränkung oder zu einem Verstoß gegen das Recht und die Freiheit der Bürger. Es lässt sich nicht länger von einer freien demokratischen Gesellschaft sprechen“, so die Verfassungsrichterin Eliška Wagnerová bei der Urteilsverkündung. Die Richter sprachen sich einstimmig gegen die Vorratsdatenspeicherung aus, da die Bürger nicht ausreichend vor Datenmissbrauch und Willkür geschützt seien. Bisher waren Mobilfunk- und Internetanbieter dazu verpflichtet, mindestens ein halbes Jahr lang sämtliche Kommunikationsdaten ihrer Kunden zu speichern und auf Anfrage der Polizei für Ermittlungen zur Verfügung zu stellen. Gegen diese Bestimmung haben 51 Abgeordnete geklagt, darunter Marek Benda von den liberal-konservativen Bürgerdemokraten (ODS):

„Das größte Problem ist, dass furchtbar viele Daten gespeichert werden, ohne dass wir wissen, wozu das eigentlich nötig ist, und dass die Daten von allen erfasst werden. Das geht nicht. Ich kann viele Daten speichern, wenn es um ein Verbrechen geht. Aber ich kann nicht die Daten von allen speichern, denn nicht alle sind potenzielle Verbrecher.“

Die Bestimmung zur Vorratsdatenspeicherung geht auf eine EU-Richtlinie zurück, die Ermittlern die Bekämpfung von Terrorismus erleichtern sollte. Die Polizei nutzte die auf Vorrat gespeicherten Daten aber auch in Fällen von Diebstahl, Betrug, Mord und Korruption. Laut dem Urteil des Verfassungsgerichts haben Polizei und Geheimdienst zwar weiterhin das Recht, Abhörungen, Auflistungen von Gesprächen oder Aufzeichnungen über die Bewegung des Telefons von den Mobilfunkanbietern zu fordern – in der Regel soll dies aber nicht mehr auf Vorrat geschehen. Vertreter der Polizei reagierten kritisch auf das Urteil. Polizeisprecherin Pavla Kopecká:

Pavla Kopecká
„Wir können schon jetzt mit Sicherheit sagen, dass es gewiss Probleme geben wird, sowohl bei der Untersuchung von Straftaten als auch bei der Fahndung nach Personen.“

Wie sich das Urteil konkret auf die Arbeit der Polizei auswirke, sei noch nicht abzusehen, sagte Tomáš Almer, Leiter der Abteilung für Sonderaufgaben der tschechischen Polizei. Aber:

„Wir müssen gemeinsam mit den Anbietern der Kommunikationsdienste neue Wege der Zusammenarbeit suchen, die vom Gesetz nicht so genau definiert sind. Ich denke, diese Möglichkeiten wird es sicherlich geben.“



Pavel Rychetský  (Foto: ČTK)
Das Verfassungsgericht hat damit wieder einmal dem Gesetzgeber auf die Finger gehauen. Auf die Finger gehauen hat aber der Vorsitzende des Gerichts Pavel Rychetský auch seinen Kollegen. Er äußerte in einem Interview mit der Zeitung Hospodářské noviny Zweifel an der Unabhängigkeit der Verfassungsrichter. Diese können in Tschechien nach ihrer zehnjährigen Amtszeit für eine weitere Periode durch den Präsidenten ernannt werden. Verfassungsrichter könnten, so Rychetský, ihre Entscheidung möglicherweise von der Chance abhängig machen, wieder ernannt zu werden. Gerade in den letzten Jahren hat Präsident Klaus das Verfassungsgericht in seinen Entscheidungen immer wieder öffentlich kritisiert.

Ein Verfassungsexperte der Regierungspartei TOP 09 erklärte, seine Partei werde vorschlagen, das Mandat der Verfassungsrichter auf 20 bis 30 Jahre zu verlängern. Die Möglichkeit der Wiederernennung solle dafür abgeschafft werden.