Verständigung für Fortgeschrittene

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An der deutsch-tschechischen Grenze sind sich die Menschen in den vergangenen 17 Jahren immer näher gekommen. Dabei sind die Erfahrungen nicht immer nur schön, manchmal können sie auch schmerzhaft sein. Doch Verständigung über kulturelle Grenzen hinweg lässt sich üben. Solche Seminare bieten zum Beispiel die Brücke/Most-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Projektagentur Idor sowie zwei weiteren Trägern deutsch-tschechischer Zusammenarbeit an. Wie das gemacht wird und wie weit die interkulturelle Verständigung reichen kann, dazu eine neue Ausgabe in der Sendereihe "Begegnungen".

Hier wird grenzübergreifend musiziert. "Gruppe 3 + 1" nennt sich die Band, denn es sind drei Tschechen und ein Deutscher. Die kleine Ironie dabei: Der Deutsche heißt ausgerechnet Böhme. Rainer Böhme.

Rainer Böhme ist nicht nur Musiker, sondern auch Unternehmer. Der Mann in den mittleren Jahren stammt aus Sebnitz. Von dort ist es ein Katzensprung ins tschechische Dolni Poustevna / Nieder-Einsiedel. Böhme betreibt eine Agentur, die Reisen ins Nachbarland vermittelt, und er hat einen grenzüberschreitenden Kinoklub ins Leben gerufen. Außerdem verläuft auch sein Privatleben deutsch-tschechisch: Seine Frau stammt aus dem Nachbarland und die Kinder wachsen zweisprachig auf.

Rainer Böhme ist wirklich beschlagen in grenzüberschreitenden Kontakten. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass es beiderseits der Grenze immer noch Ressentiments gibt:

"Wer diese Vorbehalte zwischen Deutschen und Tschechen leugnet, der spinnt einfach. Oder er sieht die Realitäten nicht. Die Vorbehalte gibt es."

Doch wie damit umgehen? Das ist zum Beispiel ein Aspekt, der beim Seminar "Interkulturelle Kompetenz für die deutsch-tschechische Zusammenarbeit" Anfang März in Dresden vermittelt wurde. Katerina Ditterova aus der nordböhmischen Glasmacherstadt Kamenicky Senov / Steinschönau, eine der tschechischen Teilnehmerinnen, hat auch die Vorbehalte kennen gelernt. Bei ihrer Arbeit im Kultur- und Bildungszentrum von Kamenicky Senov ist sie regelmäßig in Kontakt mit Menschen aus dem rheinischen Rheinbach, wo sich die frühere deutsche Bevölkerung nach der Vertreibung angesiedelt hat:

"Ich fühle mich manchmal peinlich berührt, weil ich weiß, dass unsere Seite nicht genügend Geld hat, um bestimmte Veranstaltungen zu organisieren. Deswegen sind wir manchmal langsamer oder saumseliger - aber nur weil uns das peinlich ist."

Und man möchte hinzufügen, sofort ist dann das Vorurteil bestätigt: Die Tschechen lassen es ruhig angehen, während die Deutschen strebsam sind.

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Wir sind im Seminarraum des Brücke/Most-Zentrums in Dresden. Eine der beiden Seminarleiterinnen, Dana Moree vom Institut Pontes aus Prag, stellt den Teilnehmern eine Aufgabe. Alles wird übersetzt, denn die Gruppe ist gemischt: drei Tschechinnen und neun Frauen und Männer aus Deutschland. Die Teilnehmer sollen sich vorstellen, sie arbeiten in einer Schule und es soll die neue Schulreform umgesetzt werden. Darum verlangt der Schuldirektor, dass alle Lehrer in den nächsten Monaten jeden Mittwoch Überstunden machen. Die Seminarteilnehmer sollen sich entscheiden: Zeigen Sie dem Direktor die Stirn und sagen: Nein, so nicht. Oder nehmen sie seine Anordnung hin.

"Hier stellen sich die hin, die sagen, ich will das nicht machen", fordert Dana Moree die Seminarteilnehmer auf.

Und auf die andere Seite des Raums sollen diejenigen gehen, die den Befehl des Chefs erst einmal schlucken. Eine knifflige Situation.

Die beiden Gruppen, die entstehen, sind ungefähr gleich groß. Das Ganze wird wenige Zeit später noch einmal mit einer zweiten Frage wiederholt, die die Teilnehmer des Seminars erneut vor ein Dilemma stellt. Wie nebenbei erhalten sie dabei folgende Lektion: Weder im einen noch im anderen Fall waren die Gruppen nach Deutschen oder Tschechen aufgeteilt. Wichtiger waren vielmehr die persönlichen Einstellungen jedes einzelnen.

Auf diese Weise sowie mit Rollenspielen, aber auch Theorieunterricht vermitteln Dana Moree und ihre Kollegin Ina Gamp von der Brücke/Most-Stiftung die Grundlagen interkultureller Verständigung. Beide gehen sie davon aus, dass sich heutzutage immer schwerer sagen lässt: Das ist die Kultur der Deutschen, und das die der Tschechen.

"Unsere Arbeitsweise ist", sagt Dana Moree, "die Leute ein bisschen dafür zu sensibilisieren, dass sie sich zuerst die konkrete Situation und die Menschen anschauen sollten. Erst danach kann ich sagen, der oder die kommt aus dieser oder jener Gruppe."

Die konkrete Situation, die hat auch Katerina Ditterova aus Kemenicky Senov durch das Seminar vor Augen geführt bekommen. Als Empfehlung nehme sie mit, so die junge Frau, dass die fehlenden Finanzen in ihrer Gemeinde kein Hindernis sein müssen. Es ist eher eine Frage der Kommunikation:

"Ich habe erkannt: Wenn wir uns klar darüber aussprechen und vielleicht gemeinsame Kasse mit den Deutschen machen, dann muss es nicht zum Missverständnis kommen."

Rainer Böhme sagt, das Seminar habe ihm viel Anregung zum Denken gegeben:

"Es sind eine Vielzahl an Eindrücken, die erst einmal verarbeitet werden müssen. Hier sind Möglichkeiten dargelegt worden, wie man die Vorbehalte zwischen Deutschen und Tschechen Stück für Stück ausräumen kann. Ohne dass man Idealvorstellungen hat, dass das völlig geht oder auf einmal geht."

Bestimmte Bilder vom Anderen existieren eben weiter - darüber singt Rainer Böhme im Übrigen auch zusammen mit den tschechischen Musikerkollegen seiner Band.

"Wir kaufen gerne Zigaretten aus Vietnamesenhand."

"Und darum kommt ihr gerne in euer Nachbarland."

"Wir tanken unsre Autos mit eurem bill´gen Sprit."

"Den Rum müsst ihr verstecken, damit´s kein Grenzer sieht."

Die Seminare zu den Grundlagen kultureller Verständigung werden von der deutsch-tschechischen Projektagentur Idor und der Brücke/Most-Stiftung bereits seit 2003 angeboten. Idor-Geschäftsführer Gerald Prell ist wenig erstaunt, dass sie auch alten Hasen in der grenzübergreifenden Zusammenarbeit helfen können.

"Selbst für Leute, die schon seit Jahren in Tschechien leben oder mit Tschechen zusammenarbeiten oder in Deutschland leben und mit Deutschen zusammenarbeiten, können die Seminare sehr fruchtbar sein", meint Prell. "Immer wieder trifft man natürlich auf Stolpersteine in der Kooperation. Und wir versuchen zu erklären, woher die Stolpersteine kommen. Wir versuchen Erklärungsmuster und Lösungsvorschläge anzubieten."

Allerdings haben Gerald Prell und seine Partner in der letzten Zeit gemerkt, dass sich die Lage wandelt:

"In den ersten Jahren wurden die Grundlagenkurse sehr stark nachgefragt. Jetzt, da sich die deutsch-tschechische Zusammenarbeit immer weiter entwickelt, haben sich die Interessen spezialisiert und es werden vor allem Aufbaukurse und Fortgeschrittenenkurse nachgefragt."