„Viel Frustration in der Gesellschaft“ - Anna Šabatová über das Amt des Ombudsmannes
Kaum eine andere Persönlichkeit hat über Jahre hinweg so großes Vertrauen in der tschechischen Bevölkerung genossen wie der charismatische Ombudsmann Otakar Motejl. Als erster und bislang einziger Ombudsmann in Tschechien vertrat Motejl seit 1999 Bürger, die sich von den Behörden des Landes ungerecht behandelt fühlten. Er setzte sich für die Entschädigung von Roma-Frauen ein, die vom kommunistischen Regime zwangssterilisiert worden waren und für bessere Verhältnisse in tschechischen Kinderheimen. Unermüdlich, hartnäckig – und mit Leidenschaft. Nach seinem plötzlichen Tod diskutieren die Tschechen jetzt über Motejls Vermächtnis – und über mögliche Nachfolger. Dabei fällt häufig auch der Name von Anna Šabatová, der ehemaligen Stellvertreterin des Ombudsmannes. Silja Schultheis hat Anna Šabatová vor das Mikrofon gebeten.
Frau Šabatová, Sie waren sechs Jahre lang Stellvertreterin von Otakar Motejl im Amt des Ombudsmannes. Mit welcher Art von Beschwerden hatten Sie es denn dort zu tun, mit welchen Anliegen wandten sich die Menschen am häufigsten an den Ombudsmann?
„Die Kanzlei des Ombudsmannes bekommt jedes Jahr tausende von Beschwerden. Ihre Struktur ändert sich im Laufe der Zeit nur wenig. Die häufigsten Beschwerden stammen regelmäßig aus dem Bereich der sozialen Sicherheit – Renten, Sozialleistungen. Die zweitgrößte Gruppe sind Iniatiativen aus den Bereichen Bauwesen, regionale Entwicklung. Es geht oft um Baubewilligungsprozesse. Und drittens aus dem Bereich Gesundheitswesen.“Was war für Sie persönlich die wichtigste Erfahrung Ihrer Arbeit im Amt des Ombudsmannes?
„Die wichtigste Erfahrung war, bestätigt zu sehen, was ich schon vorher geahnt hatte: In der Gesellschaft gibt es sehr viel Frustration. Und der Ombudsmann ist kein Supermann, der jedem helfen kann.“
Die Einrichtung der Institution des Ombudsmannes war in Tschechien anfangs ja auch durchaus umstritten. Können Sie sich an die damalige Debatte erinnern? Was waren denn eigentlich die Hauptargumente dagegen?
„Ich kann mich erinnern und ich habe die öffentliche Debatte von damals auch in meiner Doktorarbeit analysiert. Das Hauptargument gegen den Ombudsmann war, dass es einfach ein unnötiges Amt sein wird. Es waren vor allem rechtsgerichtete Parteien, die sich gegen den Bürgerbeauftragten ausgesprochen haben. Sie haben auch behauptet, dass eine solche Institution zu teuer sein wird.“
1999 wurde das Amt dann schließlich eingerichtet. Was ist denn Ihrer Meinung nach rückblickend der wichtigste „Beitrag“, den das Amt des Ombudsmannes für die tschechische Gesellschaft geleistet hat?„Den wichtigsten Beitrag sehe ich darin, dass der Ombudsmann seit langem einen guten Ruf in der Gesellschaft hat, er hat das Vertrauen der Menschen. Die Leute wissen, wenn sie Probleme mit den Behörden haben, können sie sich an den Ombudsmann wenden und der hilft - wenn das möglich ist. Der Ombudsmann steht auf der Seite der hilflosen, normalen Menschen.“
Frau Šabatová, Sie haben sich vor 1989 in Dissidentenkreisen Jahre lang aktiv für die Rechte zu Unrecht Verurteilter eingesetzt. Damals lebten Sie in einem Unrechtsstaat, der das Rechtsbewusstsein seiner Bürger gezielt und massiv torpedierte. Wie bewerten Sie heute, 20 Jahre nach der politischen Wende, das (Un-)Rechtsbewusstsein der Tschechen? Sind sich die Menschen heute ihrer Rechte bewusst - und protestieren, wenn sie Unrecht beobachten?„Ja, das ist wirklich ein Problem. Demokratie und Rechtsstaat brauchen eine systematische Bemühung. Demokratische Strukturen sind zwar eine unerlässliche Voraussetzung für eine echte Demokratie, sie alleine reichen aber nicht. Das Rechtsbewusstsein der Tschechen könnte noch viel besser sein - diplomatisch gesagt. Aber alle diese Dinge kann man beeinflussen und der Ombudsmann hat dazu durch seine Tätigkeit und durch die unermüdliche Aufklärung der Menschen beigetragen.“
Nach dem Tod von Otakar Motejl ist nicht nur eine Debatte über sein Vermächtnis entbrannt, sondern auch die Suche nach einem Nachfolger. In diesem Zusammenhang fiel häufig auch Ihr Namen. Können Sie sich vorstellen, neue Ombudsfrau zu werden?„Ja, das kann ich mir vorstellen. Meine Vorstellungen sind sogar ziemlich konkret und ich überlege, mich auf das Amt der Ombudsfrau zu bewerben.“
Das Amt des Ombudsmanns wurde von der Öffentlichkeit bislang stark mit der charismatischen Persönlichkeit Otakar Motejls verbunden. Glauben Sie, dass nach seinem plötzlichen Tod die Bedeutung der Institution schwinden wird?
„Das ist immer das Problem von großen Persönlichkeiten, dass nach ihrem Weggang das Gefühl von Leere bleibt. Eine reife demokratische Gesellschaft sollte aber nicht nur von großen Persönlichkeiten abhängig sein. Im Fall des tschechischen Ombudsmannes war es gar nicht allein die Persönlichkeit Otakar Motejls, die für die Glaubwürdigkeit der Institution stand. Sondern auch die gut funktionierende Kanzlei mit vielen guten Juristen und Juristinnen, die alle einen gewissen Enthusiasmus hatten.“
Braucht Tschechien heute überhaupt noch einen Ombudsmann?
„Ohne Zweifel. Das muss keine monokratische Institution sein. Es kann, wie zum Beispiel in Deutschland, auch ein kollektives Organ sein. Moderne Staatsverwaltung ist ein sehr komplizierter Organismus und Beamte sind auch nur Menschen. Sie können sich irren. Jeder Mensch kann Fehler machen. Deshalb ist es wichtig, dass es ein Regulativ für die Behörden gibt.“