Vor 30 Jahren: Tageszeitung „Lidové noviny“ wiederbelebt

Foto: Khalil Baalbaki, Archiv des Tschechischen Rundfunks

Die tschechische Tageszeitung „Lidové noviny“ kann auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken. Sie entstand bereits im Jahr 1893, war aber wegen ihrer liberal-konservativen Ausrichtung zu kommunistischen Zeiten verboten. Vor 30 Jahren, am 2. April 1990, wurde sie als Tageszeitung erneuert.

Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Foto: ČT24
Ihre wohl berühmteste Ära erlebte die „Lidové noviny“ in der Zwischenkriegszeit, damals gehörten namhafte tschechische Schriftsteller wie Karel und Josef Čapek, Ferdinand Peroutka oder Eduard Bass zu den Redakteuren des Blatts. Die Zeitung erschien auch während der Okkupation durch Hitlerdeutschland. Doch vier Jahre nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 wurde sie verboten. Die neuen Machthaber duldeten keine Presseorgane, die eine freie Meinungsäußerung pflegten. Ende der 1980er Jahre aber reifte bei mehreren Dissidenten der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 ein Entschluss:

„Wir hatten ein Ziel vor Augen: Zum 100. Jahrestag ihrer Gründung im Jahr 1993 sollte die ‚Lidové noviny‘ wieder als Tageszeitung erscheinen. Doch die Ereignisse sind uns zuvorgekommen, wir erscheinen schon jetzt wieder täglich.“

Jiří Ruml  (Foto: ČT24)
Dies sagte der ehemalige Dissident und damalige Chefredakteur der „Lidové noviny“, Jiří Ruml, Ende März 1990 im Tschechoslowakischen Rundfunk, also eine Woche vor dem Neustart. Und es war eben jener Ruml, der schon zweieinhalb Jahre zuvor die Idee umsetzte, die in der sozialistischen Tschechoslowakei eingestampfte Zeitung wieder herauszubringen. Rudolf Zeman arbeitete in den 1990er Jahren als Redakteur bei dem Blatt. In einer historischen Rundfunksendung erinnerte er sich:

„Es war so Mitte des Jahres 1987, da trat Ruml vor den Kreis seiner engsten Freunde, was im Grunde genommen alles Charta-Anhänger waren. Er erklärte, er wolle die ‚Lidové noviny‘ wieder herausgeben. Niemand hatte eine Ahnung, wie er das umsetzen wollte, aber er hatte sich schon so seine Gedanken gemacht. Diejenigen, die fähig waren, einen Artikel zu schreiben, sollten damit beginnen. Und Ruml hatte genügend Leute um sich, die das konnten. Also brachte man zu Jahresende 1987 zwei Nullnummern heraus und überzeugte sich davon, dass es wirklich möglich war. Im Jahr 1988 erschien dann regelmäßig eine Monatszeitschrift, wenn auch illegal.“

Samisdat-Zeitschrift Lidové noviny  (Foto: Archiv des Portals Moderní dějiny)
Es war keine leichte Zeit für die Macher der Samisdat-Zeitschrift. Die kommunistische Staatssicherheit hatte sie fest im Visier, und für jede Ausgabe musste Chefredakteur Ruml eine Strafe zahlen. Im Oktober 1989 wurde er sogar ins Gefängnis gesperrt. Nur einen Monat später begann jedoch die Samtene Revolution, und damit der politische Wandel. Auch im Ausland wurde man aufmerksam auf die neue Samisdat-Zeitschrift. Darüber berichtete damals selbst der Tschechoslowakische Rundfunk:

„Westliche Presseverbände haben heute dem tschechoslowakischen Oppositionsblatt ‚Lidové novivy‘ Hilfsgelder in Höhe von 10.000 Dollar zukommen lassen. Der Pressefonds gegen Zensur mit Sitz in Paris will so zur Entwicklung der osteuropäischen Medien beitragen. Die gleiche Subvention aus diesem Fonds hat bereits die Tageszeitung der polnischen Gewerkschaft Solidarność, Gazeta wyborcza, erhalten.“

Über die „Lidové noviny“ wurde damals auch in der „New York Times“, der französischen „Le Monde“ oder in den Sendungen von „Radio Freies Europa“ imf der BBC berichtet. Obwohl noch nicht als Tageszeitung auf dem Markt, wurde sie schon Ende 1989 zu einem Symbol der Samtenen Revolution. Von der ersten Ausgabe der wieder herausgebrachten Tageszeitung wurden 360.000 Exemplare gedruckt. Seit dem 2. April 1990 erscheint die „Lidové noviny“ täglich von Montag bis Samstag. Im September 2000 wurde ihr Internetportal lidovky.cz gestartet. Das Blatt hat mehrfach den Besitzer gewechselt. Gegenwärtig wird sie vom Verlag Mafra herausgegeben, der zum Agrofert-Konzern gehört. Dieser Konzern wurde bis vor sieben Jahren noch vom Unternehmer und heutigen Premier Andrej Babiš (Partei Ano) geleitet. Wegen seiner politischen Laufbahn hat Babiš seine Unternehmen danach an zwei Treuhandfonds abgetreten.