Was tun bei Hochwasser? Schulklassen aus Prag und Straubing erarbeiten gemeinsames Projekt

Tomáš Hudeček und die Klasse 5D

Was macht man bei Hochwasser? Für die Bevölkerung in Prag stellte sich diese Frage zuletzt 2013. Eine Schulklasse des Gymnasiums Na Pražačce will mit neuen Infomaterialien dafür sorgen, dass die Menschen in der Hauptstadt auf ein nächstes Ereignis dieser Art gut vorbereitet sind. Die Jugendlichen denken dabei auch an die Expats, die kein Tschechisch sprechen, und werden ihre Flyer und Videos unter anderem in Deutsch anbieten. Dafür tauschen sie sich mit Jugendlichen im bayerischen Straubing aus. Gefördert wird das Projekt vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds. Daniela Honigmann war vergangene Woche bei einem Projekttag der Prager Schüler dabei.

„Das Ziel ist, die Leute in Prag zu informieren, was sie machen sollen, wenn Hochwasser kommt. Das Ergebnis dieses Projektes sollen Materialien für die Bürger von Prag sein. Darin werden sie instruiert, was zu machen ist, wenn es Hochwasser oder Überflutung gibt. Wir informieren sie durch Videos oder einen Text.“

So berichten Vítek und Zeta von ihrem aktuellen Schulprojekt. Beide besuchen am Prager Gymnasium Na Pražačce die Klasse 5D, die einen Deutsch-Schwerpunkt hat und im kommenden Jahr ihr Abitur macht. Anna Schmitz unterrichtet die 18-Jährigen auf Deutsch. Sie ist als Landesprogrammlehrkraft aus Hamburg vor einigen Jahren nach Prag gekommen. Schmitz begrüßt die Schüler an ihrem Projekttag:

Lehrerin Anna Schmitz  (Mitte) und die 5D | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Hochwasser kommt, und durch den Klimawandel wird jeder von euch wahrscheinlich irgendwann einmal mit zu viel Wasser von oben oder von unten zu tun haben. Das bedeutet, man muss irgendwie reagieren können und einen Plan haben. Wir haben schon über Bad Neuenahr-Ahrweiler und die große Flut gesprochen. Dort sind viele Menschen ertrunken, weil sie sich falsch verhalten haben. Es gibt in Prag viele Menschen, die nicht gut oder gar kein Tschechisch sprechen und deswegen das vorhandene Informationsmaterial nicht lesen können. Ihnen wollen wir helfen und etwas anbieten, so dass alle Menschen im Falle von Hochwasser richtig reagieren können.“

Das Projekt beschäftigt die Jugendlichen der 5D das ganze Schuljahr über. Es wird vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gefördert. Warum es gerade um das Thema Hochwasser geht, beschreibt Lehrerin Schmitz im Gespräch mit Radio Prag International:

„Beim Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds gab es ein spezielles Themengebiet, bei dem unser Austausch die Förderung erhalten konnte. Dies ist die Handlungsfähigkeit von Jugendlichen, und unser Schwerpunkt heißt ‚Zwei Städte an zwei Flüssen‘. Und bei Flüssen in Städten ergibt es sich häufig einfach, dass man handeln muss, wenn der Fluss über die Ufer tritt.“

Prag 2013 | Foto: Kristýna  Maková,  Radio Prague International

Der Schüleraustausch, von dem Anna Schmitz spricht, besteht am Gymnasium Na Pražačce seit vielen Jahren mit der bayerischen Stadt Straubing. Diese liegt an der Donau, und so teilen die Jugendlichen aus beiden Städten die Erfahrungen des Lebens am Fluss. Im September war die Gruppe aus Prag zum Projektauftakt in Straubing. Mit dabei war auch Tomáš:

„Es war ganz schön, das Wetter war gut. Die Familie, bei der ich gewohnt habe, war ziemlich nett. Sie haben uns die Sehenswürdigkeiten in der Stadt gezeigt. Wir waren eine Woche lang dort.“

Und was haben sie mit den Straubinger Schülern für das Hochwasser-Projekt gemacht? Tomáš ist ehrlich und amüsiert seine Mitschüler:

„Fast nichts. Ich will ja die Wahrheit sagen. Wir haben drei Stunden lang eine Präsentation über Flüsse gehabt.“

Sieben Kilometer Hochwasserzaun

Die Schüler der 5D haben nach eigenen Aussagen noch keine eigenen Erfahrungen mit Hochwasser gemacht. Sehr eindrücklich und aus erster Hand wurde ihnen an ihrem Projekttag aber darüber berichtet. Tomáš Hudeček war in den Prager Stadtteil Žižkov gekommen, um vom Hochwasser 2013 zu erzählen. Als die Moldau damals rapide anstieg, war Hudeček als Erster stellvertretender Oberbürgermeister für das Krisenmanagement zuständig. Kurz darauf übte er dann auch das Amt des Oberbürgermeisters aus. Heute widmet sich der studierte Geograf der Stadt- und Regionalplanung. Das Gespräch mit den Gymnasiasten begann Hudeček auf unterhaltsame Weise:

„Wie alt wart ihr im Jahr 2013? Acht Jahre, aha. Also wart ihr diejenigen, die den einen Tag nicht zur Schule mussten, als ich angeordnet habe, dass die Schule ausfällt. Ihr seid also Zeugen dieses Hochwassers durch die persönliche Erfahrung, dass frei war. Damit ihr’s wisst, das habe ich arrangiert.“

Tomáš Hudeček und die Klasse 5D | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Auf diese Weise ins Thema eingeführt, erfuhren die Schüler nun von Hudeček, wie der Hochwasserplan für Prag aufgebaut ist, was ein sogenannter Traumaplan ist oder dass es ein landesweites SMS-Warnsystem für Krisensituationen gibt. Was es hingegen in Prag nicht gebe, sei eine zentrale Ausgabestelle für Sandsäcke, so einer der vielen Hinweise des ehemaligen Politikers. Seine Anekdoten waren mit Informationen gespickt wie etwa der, dass der mobile Hochwasserzaun für Prag sieben Kilometer lang ist und sein Aufbau insgesamt 56 Stunden dauert, was wiederum Kosten von zehn Millionen Kronen (400.000 Euro) verursacht. Hudeček zog außerdem den Vergleich zum sogenannten Jahrhunderthochwasser 2002:

„2002 war die Flut unverhältnismäßig stärker. Der Wasserabfluss erreichte bis zu 5000 Kubikmeter pro Sekunde. 2013 lag der Höhepunkt bei nur 3000 Kubikmetern pro Sekunde. Das Wasser stieg 2002 allmählich und in zwei Wellen an. 2013 gab es lange fast gar keinen hohen Wasserstand. Aber auf einmal stieg der Abfluss innerhalb von zwei Tagen auf 3000 Kubikmeter pro Sekunde an. 2002 hat Prag also erfahren, was es bedeutet, wenn der Fluss mit 5000 Kubikmetern pro Sekunde fließt. Entsprechend wurde der Hochwasserplan danach angepasst. Es wurde damals aber noch nicht hineingeschrieben, was man tun soll, wenn das Wasser schneller ansteigt, so wie 2013.“

Prag 2013 | Foto: Kristýna  Maková,  Radio Prague International

Fahrrad und Auto können helfen

Welche Lehren aus den vergangenen Hochwassern gezogen wurden, interessierte die Schüler des Gymnasiums Na Pražačce dann auch besonders. Eine Schülerin etwa fragte, inwiefern der Hochwasserplan nach 2013 geändert und angepasst wurde. Zum einen sei er nun digital verfügbar, antwortete Hudeček – und warf sogleich ein, dass dies wiederum zum Problem werden könnte, falls es bei einer Flut zum Ausfall des Stromnetzes kommt. Und zum anderen sei nach 2013 das sogenannte Wassergesetz geändert worden:

„Im Wassergesetz wurde folgende Klausel ergänzt: Wenn alle Warnsysteme ausfallen, dann muss der Bürgermeister des betroffenen Ortes den Bürgermeister der benachbarten Gemeinde am Flusslauf informieren. Das bedeutet, dass sich der Bürgermeister – wenn nichts mehr funktioniert – auf das Fahrrad setzen soll, um seinem Kollegen im Nachbarort Bescheid zu geben. Das mag albern klingen, aber 2013 ist genau das in Prag zwischen den Stadtteilen nicht passiert.“

Immerhin würde der Mensch aber aus seinen eigenen Fehlern lernen, wenn auch langsam, kommentierte Hudeček etwas resigniert.

Tomáš Hudeček | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Ein weiterer Schüler wollte noch wissen, wo man im Falle von Hochwasser am besten anrufe, um sich zu informieren. Ex-Oberbürgermeister Hudeček verwies in seiner Antwort auf das Krisentelefon, das im Notfall von der Stadt- oder Kreisverwaltung eingerichtet wird. Durch Stromausfall oder Überlastung könne es aber passieren, dass Telefonieren nicht möglich ist. Dann liege die Informationsweitergabe verpflichtend beim Radiožurnál, dem Hauptsender des Tschechischen Rundfunks, bemerkte Hudeček und gab damit den dankbaren Hinweis, dass das Radio auch in digitalen On-Demand-Zeiten immer noch eine große Bedeutung hat. Dazu stellte er den Gymnasiasten dann auch eine Gegenfrage – und bekam die richtige Antwort:

„Wie empfängt man den Sender Radiožurnál, wenn wirklich Not am Mann ist? Wenn das Internet nicht funktioniert, alles zerstört ist und die Armee nur ein Krisenprogramm von irgendwoher sendet? Genau richtig: im Auto. Alle haben wir erstaunlicherweise vor dem Haus ein Radio zur Verfügung, das völlig unabhängig von allen Energiequellen ist. Man startet das Auto und macht einfach das Radio an. Behaltet das also im Kopf, damit ihr dann nicht in der Klemme sitzt.“

Flucht auf den Hügel?

Mit all diesen Informationen ausgestattet, brachen die Gymnasiasten nach dem Gespräch mit Tomáš Hudeček zur Feldforschung auf. Dazu zog die Gruppe zum Prager Moldauufer Náplavka und interviewte Passanten. Die Schüler wollten dabei herausfinden, inwiefern die Leute darüber informiert sind, was bei Hochwasser zu tun ist. Sie habe ein solches schon einmal erlebt, sagte etwa eine Studnetin. Es sei sicher eine interessante Situation, aber besondere Freude hätte sie daran nicht gehabt, so die Pragerin, die in Flussnähe im Stadtteil Podolí wohnt. Von der Möglichkeit, sich gegen Hochwasser zu versichern, wisse sie allerdings nichts, fügte die junge Frau noch hinzu.

Noch ganz unerfahren gaben sich zwei Neu-Prager auf die Frage, was man bei einer Flut tun sollte. Eigentlich sollten sie das wissen, räumte der junge Mann ein. Und seine Freundin schlug noch vor, sich auf einen Hügel zurückzuziehen.

Hochwasser im Jahr 2002 | Foto: Jan Rosenauer,  Tschechischer Rundfunk

Rückmeldungen wie diese dürften die Schüler ermutigt haben, weiter an ihrem Projekt zu arbeiten. Denn scheinbar ist mehr Aufklärung zum Thema Verhalten bei Hochwasser in der Prager Bevölkerung vonnöten. Und Mehrsprachigkeit gehört in einer Metropole einfach dazu. Lehrerin Anna Schmitz erläutert, was mit den Materialien weiter geschieht, die ihre Schützlinge in diesen Wochen zusammentragen:

„Wenn die deutschen Schüler zu uns kommen, wird das Ganze ins Deutsche und Englische übersetzt. Am Ende gibt es also dreisprachige Materialien, wie man sich bei Hochwasser verhält. Diese werden wir in Druck geben und entlang der Moldau in die Briefkästen werfen. Auch der Stadt Prag werden wir sie anbieten, um die Texte vielleicht auf deren Homepage zu veröffentlichen. Das ist vor allem für die Expats gedacht. Hier leben viele Tausende Expats, aber die meisten Infomaterialien sind nur auf Tschechisch, und das hilft nicht weiter.“

Was die Bewohner Prags da bald in ihren Briefkästen finden, werden der Lehrerin zufolge knapp gehaltene Übersichtskarten sein – ähnlich solchen im Flugzeug. Idealerweise sollten sich die Menschen diese dann neben die Eingangstür hängen, um im Notfall schnell Bescheid zu wissen. Und außerdem plant Anna Schmitz mit ihrer Klasse 5D noch die Erstellung kurzer Instagram-Videos.

Povodne 2002