Weinbau im Wandel – Alt und Neu in Mutěnice
Die Tschechen trinken immer mehr Wein. Die Weinbauflächen, insbesondere in Mähren, wachsen seit etwa 15 Jahren beständig an. Dennoch sind bei den hiesigen Konsumenten vor allem ausländische Tropfen beliebt. Fast drei von vier Flaschen Wein, die in Tschechien geöffnet werden, stammen aus dem Ausland. Die mährischen Winzer müssen sich auf einem harten Markt behaupten. Ein Beispiel aus Mutěnice / Mutenitz belegt, dass sie sich durchsetzen können.
Mutěnice liegt in der Nähe der südmährischen Stadt Hodonín / Göding und ist mit fast 4000 Einwohnern das größte Dorf in der Gegend. Die Gemeinde wird von den Alteingesessenen als „Muťénky“ bezeichnet und ist unter anderem dank einem seiner früheren Bewohner bekannt: In einem kleinen Bauernhaus unter der dortigen Kirche machte in den 1850er Jahren der kleine Tomáš Masaryk, später der erste tschechoslowakische Staatspräsident, seine ersten Schritte. Masaryk lebte aber nur etwa ein Jahr lang in Mutěnice, dann zogen seine Eltern mit ihm wieder in seine Geburtsstadt Hodonín zurück. Für den Ruhm des Dorfes sorgt daher vor allem der Wein. Im Gemeindeteil „Búdy“, also Bauden, bauen mehrere hundert Familien bis heute Trauben an. Vladimír Trávník ist Vorsitzender des Winzervereins „Búdy Mutěnice“:
„Unser Verein wurde vor 13 Jahren gegründet. Wir bemühen uns, den Ruhm wieder zu erlangen, den die Winzer aus Mutěnice in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten. Damals wurde hier der erste Staats- und Landesrebengarten errichtet. Weinbauer haben dort gelernt, veredelte Reben auf importierte amerikanische Rebstöcke zu pfropfen, die gegen die Reblaus widerstandsfähig waren.“
Vladimír Travník erinnert an die Reblaus-Katastrophe, von der auch die Weinberge in den böhmischen Ländern heimgesucht wurden. Im 19. Jahrhundert führte sie in sämtlichen europäischen Weinbaugebieten zu dramatischen Zerstörungen. Millionen Weinberge in Europa fielen ihr zu Opfer. Auch Mähren litt unter der Invasion des Schädlings, allerdings erst an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die Katastrophe brachte aber den Weinbauern in Mutěnice auch einen Nutzen: In der Folge wurde die dortige Winzerschule gegründet. Heute knüpfen eine private Weinbau-Forschungsstation und viele kleinere und größere Weingüter an ihre Tätigkeit an:
„Der Weinbau-Geist ist bei uns auch im Alltag präsent. Die Einheimischen sprechen praktisch immer über den Wein. Sie tauschen sich aus, was in den Weinbergen passiert, ob man die Reben mit Schutzmitteln bespritzt hat oder nicht, wie es in den Weinkellern nach der Traubenlese aussieht oder über Krankheiten der Rebstöcke. Die Menschen leben mit dem Wein. Und er beeinflusst auch die hiesigen Feste: Das beginnt mit den ‚Weintagen von Mutěnice‘ Anfang September, geht über das Sankt-Katharina-Fest Ende November bis zu Weihnachten und Silvester.“
Die Tradition wird heute immer mehr auch zu kommerziellen Zwecken genutzt. In den vergangenen Jahren kamen mehrere Zehntausend Besucher zu verschiedenen Veranstaltungen und Festen nach Mutěnice. In diesem Jahr sind die Feierlichkeiten in Folge der Corona-Pandemie kaum möglich. Die erzwungene Ruhe bietet den Weinbauern die Gelegenheit, über die Qualität ihrer Produkte nachzudenken. Und laut Trávník brauchen sie sich für diese nicht zu schämen:
Weinbau-Geist im Alltag
„Unsere Gemeinde liegt am nördlichen Rand der europäischen Weinbauregionen. Das Klima ist hier kälter, trotz der Erwärmung in den letzten Jahren. Der Wein gehört aber jedenfalls hierher. Zumindest wenn wir von weißen Sorten sprechen. Unser Vorteil gegenüber den südlicher gelegenen Staaten besteht darin, dass unsere Weine aromatischer sind und einen richtigen Säuregehalt haben. Sie sind nicht fade.“
Soweit die Worte des Experten. Wahrscheinlich sehen die Konsumenten die Sache aber ein bisschen anders. Der Weingenuss stieg in den zurückliegenden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts enorm an. Nach Angaben des tschechischen Weinbauerverbands lag er in den 1960er Jahren bei sechs bis sieben Litern pro Kopf und Jahr. 1995 waren es bereits elf Liter, und 2018 trank ein Bürger Tschechiens im Durchschnitt fast 22 Liter Wein. Vom Gesamtvolumen von 2,2 Millionen Hektoliter Wein, die hierzulande verkauft wurden, stammten aber nur 600.000 Hektoliter aus den Weinbergen Böhmens und Mährens. Boden und Klima lassen es nicht zu, dass die Produktion von Qualitätswein groß gesteigert werden kann. Die Winzer sehen ihre Zukunft daher vor allem in touristischen Angeboten. Orte wie Mutěnice mit seinen Weinkellern könnten zur Attraktivität beitragen, meint Trávník:
„Das ist eine Besonderheit unserer Gemeinde. Es gibt hier über 500 Weinkeller. Viele von ihnen haben schön bemalte Eingänge, wie sie anderswo kaum zu sehen sind. Andere Orte in Mähren oder Österreich haben zwar Weinstraßen, aber nicht ein ganzes Weindorf wie hier. Wenn Besucher hierher kommen, sagen sie manchmal, dass sie sich zwischen den Kellern fast verlaufen haben. Für diese Besonderheit können wir uns zu Recht rühmen.“
Über 500 Weinkeller
Der Tourismus führt aber nicht immer zu besserer Qualität, sondern vor allem zu einer Kommerzialisierung. Einige Winzer in Mutěnice verweisen darauf, dass langsam der traditionelle Geist aus dem Weinbau verschwinde. Petr Plchút ist über 70 Jahre alt und arbeitet als Chronist der Gemeinde:
„Es gibt immer weniger solche Weingüter, wie sie unsere Eltern und meine Generation betrieben haben. Die jungen Menschen sind nicht daran interessiert, auf 10 oder 15 Ar zu wirtschaften und dort Wein für ihren eigenen Bedarf und für ihre Freunde anzubauen.“
Das bedeutet allerdings nicht, dass der Weinbau etwa zugrunde gehen würde. Die Statistiken zeigen, dass die Weinbauflächen in der Gemeinde in den vergangenen Jahren einen Rekordumfang erreicht haben. Doch verändert sich die Wirtschaftsweise in den Weinbergen:
„Die jüngeren Winzer haben ihre Tätigkeit zum Beruf gemacht, sie bestreiten damit offiziell ihren Lebensunterhalt oder stocken zumindest ihre Einkommen auf. Das Beisammensein mit Freunden bei einem Glas Wein am Sonntagnachmittag im Keller verschwindet immer mehr. Die Jungen schauen lieber in ihre Handys oder unterhalten sich auf andere Art. Die Weinbautradition verschwindet allmählich. Aber vielleicht kommt es mal zu einem Bruch, und die Menschen erkennen, dass die Geselligkeit, die es hier gab, richtig war. Sie hat einfach zu unserer Region gehört. Wir sollten sie pflegen, um uns von anderen Gegenden zu unterscheiden.“
Doch nicht alle sehen die Entwicklung so pessimistisch wie Petr Plchút. Sein Altersgenosse Petr Miklica wurde in Mutěnice geboren. Er verließ später die Weinregion und ging in die Industriestadt Ostrava / Ostrau. In den 1960er Jahren studierte er dort, gründete eine Familie und arbeitet dort bis heute als IT-Experte. In seinem Geburtsort kümmert er sich aber weiterhin um den Weinberg seiner Familie. Für die jungen Winzer zeigt er Verständnis:
„Die Menschen leben vom Weinbau und geben sich viel Mühe. Natürlich ist dabei die Perspektive eines Händlers für sie wichtig. Aber immer noch lebt hier auch der Hobby-Weinbau aus Familientradition. Das gefällt mir. Die Jüngeren übernehmen immer noch die kleinen Keller ihrer Vorfahren und knüpfen an ihr Werk an. Man lädt andere in seinen Keller ein und erwartet nicht, dass für den Wein bezahlt wird. Das passiert zwar nicht mehr so häufig wie früher, aber dieser Geist lebt weiter.“