Wie das Bier zum tschechischen Nationalgetränk wurde

Foto: Kristýna Maková

Die Tschechen sind Weltmeister im Biertrinken. Jeder von ihnen verbraucht durchschnittlich etwa 150 Liter Bier pro Jahr, es ist die höchste Zahl im internationalen Vergleich. Es stimmt also, wenn die Tschechen das Bier als ihr Nationalgetränk bezeichnen. In unserer Sendereihe Geschichtskapitel wollen wir der Herkunft des Biers in Böhmen einmal auf den Grund gehen.

Foto: Kristýna Maková
Pivo, tschechisch für Bier, ist ein urslawisches Wort, das zum ersten Mal im 8. Jahrhundert belegt ist. Es bezeichnete damals ein vergorenes Getränk aus Getreide und Hopfen. Je nach örtlichen Bedingungen wurden auch andere Zutaten beigefügt: vor allem Gewürze, Obst und Honig. Gerade Hopfen verbreitete sich damals immer mehr auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens, es verlieh dem hiesigen Bier seinen typischen Geschmack. Das Getränk wurde damals sehr schnell beliebt. Laut einigen historischen Dokumenten verbot Bischof Vojtěch bei der Gründung des Klosters in Břevnov den Mönchen sogar, Bier zu brauen: sie sollen sich mehr dem Getränk als Gott gewidmet haben. Bier wurde hauptsächlich in den Klöstern gebraut. Der böhmische König Vratislav II. erteilte 1088 den Mönchen auf dem Prager Vyšehrad das Recht, den Zehnt als Hopfen von seinen Untertanen zu erheben. Diese Urkunde gilt als der älteste schriftliche Beweis für das Bierbrauen in Böhmen, sagt Jan Veselý vom tschechischen Brauverband:

Kloster in Břevnov  (Foto: Jana Šustová)
„Das Bier zählte damals, also rund um das Jahr 1000, nicht zu den Getränken, sondern zu den Arzneimitteln. Das galt mindestens bis zum 16. Jahrhundert in ganz Europa. Den Mönchen war daher erlaubt, auch während der Fastenzeit Bier zu trinken, denn es war eine wichtige Energiequelle. Die englische Königin Elisabeth I. hatte jeden Tag Biersuppe zum Frühstück. Und der strenge Bischof der Böhmischen Brüder, Johann Amos Comenius, schrieb in seinem Didactica Magna: ‚Gebt den Kindern Brei und Bier, damit sie wachsen und wie Weideruten auf den Ufern gedeihen.‘ Der Heilige Ambrosius war unter anderem auch dafür bekannt, quer durch die Region Brabant zu gehen und zu sagen: ‚Trinkt kein Wasser, Trinkt Bier.‘ Dort wütete nämlich die Cholera.“

Wie in anderen Teilen Europas, galt auch in Böhmen seit dem 13. Jahrhundert das Braurecht. König Wenzel IV. erklärte, dass Bier nur von der Bürgerschaft und von Klöstern innerhalb der Stadtgrenzen gebraut werden durfte. Zum Schutz ihrer Geschäfte durfte das Bier nicht über die Stadtgrenzen hinweg gehandelt werden. Der Adel hielt das Bierbrauen zunächst für unwürdig und lehnte es ab. Als es später jedoch wirtschaftlich interessant wurde, fühlte er sich benachteiligt. Dieser schleppende Konflikt wurde erst 1517 beendet. Danach durften auch die Adelsgeschlechter Bier brauen, wenn auch zunächst nur für ihre eigenen Bedürfnisse. Über die damalige Esskultur kann man sich aus dem Bericht des deutschen Studenten und späteren Mönch Johannes Butzbach eine gute Vorstellung machen. Dieser unternahm eine sechsjährige Reise quer durch Böhmen. In seinem Wanderbüchlein lobte er die Böhmen, was ihre Zurückhaltung beim Trinken betraf. Die Orgien beim Essen beschrieb er aber wie folgt:

Jan Veselý  (Foto: Archiv von Radio Prag)
"Das gewöhnliche Volk hat selten bei der Mittags- oder Abendmahlzeit weniger als 4 Gerichte, zur Sommerzeit überdies noch morgens als Frühstück Klöße mit in Butter gebackenen Eiern und Käse; obendrein nehmen sie außer dem Mittagsmahl noch des Nachmittags als Vesperbrot sowie zum Nachtessen Käse, Brot und Milch.“

Auch der römische Kaiser und böhmische König Rudolf II war ein bekannter Gourmet. Kein Wunder also, dass er auch am Bier Gefallen fand – auch weil ihm sein persönlicher Arzt das Trinken empfohlen hatte. Die Brauerei in Krušovice beruft sich bis heute stolz auf seinen Namen, so Vladimír Jindřich, seit Jahrzehnten in der Bierbranche tätig:

Hopfen  (Foto: Archiv von Radio Prag)
„In der mittelböhmischen Stadt Rakovník gab es einen Mann namens Jiří Birka z Násile. Er war ein echter Biertrinker, oft hat er Probleme in der Kneipe verursacht. Als ihm dafür eine Gefängnisstrafe drohte, entschloss er sich, in das nahe gelegene Dorf Krušovice umziehen. Dort hat er dann eine Brauerei gegründet. Er wirtschaftete sie jedoch zu Grunde und der Verkauf der Brauerei war die einzige mögliche Lösung. Birka hatte keine Hemmungen und hat den Betrieb dem Reichsten in Böhmen angeboten: Kaiser Rudolf. Der Brief, er wird bis heute im Archiv der Prager Burg aufbewahrt, musste damals 2 Jahre warten, bis ihn ein Beamter öffnete. Dann aber traf der Kaiser die Entscheidung sehr schnell. Er kaufte nicht nur die Brauerei, sondern das ganze Dorf – mit Schafen, Hennen, Werkzeug Hausmädchen, kurz mit Allem. Seit diesem Jahr 1583 war also diese Brauerei in kaiserlicher Hand und der Legende nach ließ sich Rudolf das Bier aus Krušovice in die Prager Burg liefern.“

Bei den verwendenden Zutaten für das Brauen überwog damals in Böhmen Weizen. Dass heutzutage vor allem Gerste als Hauptingredienz benutzt wird, ist dem Bierreformator František Ondřej Poupě zu verdanken. Dieser Braumeister überzeugte seine Kollegen, nur Gerstemalz zu verwenden und die Dosis an Hopfen zu erhöhen. Dadurch bekam das Bier den heute typischen Geschmack. Poupěs Lösung war: Roggen für Brot, Weizen für Kolatschen, Hafer für Pferde und Gerste für Bier. Es war die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und die letzten mittelalterlichen Beschränkungen wurden aufgehoben. Dadurch wurde die Bierproduktion zu einem regulären Geschäft. Das 19. Jahrhundert lässt sich als goldene Ära des böhmischen Biers bezeichnen. Gabriela Basařová unterrichtet an der Prager Hochschule für Chemie:

Gabriela Basařová  (Foto: VŠCHT)
„Die Bierbrauerei ging vom Handwerk zur industriellen Produktion über und Böhmen war damals ganz vorne mit dabei. Zum einen gab es hier ausgezeichnete Bedingungen für eine hochwertige Hopfenproduktion, zum anderen standen ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung. 1868 wurde in Prag die Malzschule gegründet und ein Jahr später auch das Forschungsinstitut für Bier- und Malzkunde. Großes Interesse weckte auch das Bier aus Pilsen, es sollte ursprünglich einer bayerischen Rezeptur entsprechen. Aufgrund spezieller böhmischer Zutaten entstand jedoch ein ganz eigenes Produkt. Das böhmische Bier wurde in die weite Welt exportiert und auch andere Brauereien bemühten sich, es nachzumachen.“

Das Bier aus Pilsen ging bereits damals schon nach Amerika. Die Lieferung über den Ozean erforderte jedoch spezielle Maßnahmen, wie Vladimír Jindřich erläutert.

„Der Brauer und ein paar seiner Mitarbeiter mussten auf dem Schiff mitfahren, um das Bier unterwegs zu vollenden. Die Fahrt dauerte nämlich ein paar Wochen, und solange blieb das Bier nicht genießbar. Damalige Brautechnologien ermöglichten nur eine Haltbarkeit von etwa ein bis zwei Wochen. Man musste also das Schiff in eine kleine Brauerei umwandeln. Das Bier einmal mindestens drei Monate haltbar bleiben sollte, das war damals völlig unvorstellbar.“

Noch vor dem ersten Weltkrieg kam es jedoch zu einem Rechtsstreit in den USA. Einige Emigranten aus der südböhmischen Stadt Budweis gründeten in Amerika eine Brauerei mit dem Namen Budweiser – als Erinnerung an ihre Heimat. Später entstand jedoch auch in Budweis selbst eine Brauerei, die in die USA exportieren wollte. Es kam zu ersten Gerichtsprozessen um den Markennamen Budweiser – und diese dauern bis heute an. Aus diesem Grund wurde die Budweiser-Brauerei nach der Wende 1989 nicht privatisiert und ist als „nationaler Betrieb“ immer noch in staatlichen Händen. Vielleicht ist das auch nicht schlecht: Die tschechischen Trinker können sich so sicher sein, dass das hiesige Bier, im Gegensatz zu anderen Marken, nur in seiner Heimatstadt gebraut werden darf.