„Wie ein Indizienprozess“ - Politologe Schuster über geheime Aufnahmen und Regierungskrise

Petr Nečas

Der Streit in der bürgerlichen Regierungskoalition von Premier Petr Nečas scheint kein Ende zu nehmen. Sie haben es bereits in unserem Tagesecho gehört. Es vergeht kaum eine Woche, an dem nicht eine neue Front eröffnet würde. Die Hauptkonfliktlinie verläuft dabei stets zwischen den Bürgerdemokraten von Regierungschef Nečas und der kleinsten Regierungspartei, der populistischen Partei der öffentlichen Angelegenheiten. Auf den ersten Blick scheint es, als würden beide Parteien darüber streiten, wie man die Korruption in Tschechien am effektivsten bekämpfen kann. Auf den zweiten Blick scheint es aber wohl eher um Personalfragen zu gehen, das heißt welche Partei welche Posten besetzen darf, um auf diese Weise ihren Einfluss geltend zu machen und die anderen Regierungspartner zu schwächen. Aber vielleicht gibt es ja noch andere Ursachen für den Streit? Dazu nun ein Gespräch mit dem Politikwissenschaftler und Radio-Prag-Mitarbeiter Robert Schuster.

Tschechische Regierung  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
Robert, wie verfahren ist die Lage eigentlich und welchen Eindruck hinterlässt das ewige Gezänk bei den Wählern?

„Keinen guten, da muss man sich nichts vormachen. Wenn man sich die Umfragen anschaut, haben die Zustimmungsraten zu dieser Regierung einen Tiefststand erreicht, wobei die Tendenz noch nach unten zeigt. Insofern hat die Regierung nun auch die Öffentlichkeit gegen sich. Auf der anderen Seite betonen die Regierungsparteien immer wieder, zumeist rhetorisch, dass sie am vorgesehenen Reformprogramm weiter arbeiten würden, dass sie nach wie vor die wichtigsten Reformen im Sozialbereich und im Rentenbereich durchziehen wollen. Es gibt zwar immer wieder Streitigkeiten um Details, aber bei den Grundzügen gibt es Einigung. Das wird auch von den drei Regierungsparteien immer wiederholt. Aber man muss sich natürlich die Frage stellen, ob die Regierung angesichts einer derart schlechten Stimmung in der Öffentlichkeit noch den Mut und auch die politische Kraft haben wird, diese Reformen umzusetzen. Wenn die Regierung die Reformen anpacken will, muss sie das in diesem Jahr 2011 schaffen. Denn das ist ein Jahr, in dem es keine Wahlen gibt. Mit dem 1. Januar 2012 wird der Wahlkampf allerdings wieder eröffnet, und dann wird sich nur noch sehr schwer reformieren lassen.“

Wären Neuwahlen ein möglicher Ausweg?

„Wenn ich es jetzt aus einer politischen und wahltaktischen Sicht betrachte, dann hätten Neuwahlen nur dann Sinn, wenn eine der jetzigen drei Regierungsparteien zumindest die theoretische Chance hätte, nach der Wahl besser dazustehen als jetzt. Das heißt wenn zum Beispiel die Bürgerdemokraten (ODS) sagen könnten, sie hätten jetzt diesen permanenten Streit satt, schmeißen die Partei der öffentlichen Angelegenheiten aus der Regierung und machen reinen Tisch. Dann würden sie in Neuwahlen vielleicht erhoffen, dass die Wähler sie für unseren Mut belohnen und sie ein stärkeres Mandat erlangen, folglich eine stärkere Regierung bilden können. Das kann aufgehen, muss aber nicht. Es gibt natürlich Fälle, gerade im deutschsprachigen Raum, wo das gelungen ist. Ich erinnere an den früheren Hamburger Bürgermeister Ole von Beust, der eine populistische Partei aus der Regierung geworfen und dann die absolute Mehrheit in Hamburg gewonnen hat, oder Wolfgang Schüssel in Österreich, der die Freiheitlichen aus der Regierung geworfen und dann haushoch gewonnen hat. Wie gesagt, momentan fehlen noch die Voraussetzungen dafür, dass auch Petr Nečas sich auf diese Weise dieses unbeliebten und problematischen Koalitionspartners entledigen könnte.“

Auffällig ist, dass praktisch alle Koalitionskrisen der letzten Zeit durch Indiskretionen hervorgerufen wurden, dass zum Beispiel vertrauliche Gespräche geheim aufgenommen und dann veröffentlicht wurden. Ist diese Methode mittlerweile zu einem neuen Maß in der Politik geworden?

„Ich befürchte, dass diese gezielten Indiskretionen in der Zukunft tatsächlich eine weitaus stärkere Rolle spielen werden, als das bislang der Fall war. Denn natürlich ist man auch irgendwie daran interessiert, wie die Politik nicht offiziell, sondern hinter den Kulissen läuft. Also Antworten auf Fragen wie: Wie wird da gesprochen? Unterhalten sich die Politiker auch untereinander so unverständlich wie sie gegenüber den Medien sprechen, oder wird da Klartext geredet? Werden dort vielleicht auch vulgäre Ausdrücke gebraucht? Das gab es ja alles in den letzten Woche und Tagen. Aber ich würde diese geheimen Tonbandaufnahmen mit einer gewissen Vorsicht behandeln, weil man natürlich nicht weiß, ob das nicht gezielte Manipulationen sind. Denn die Realität, die sich dadurch entwickeln kann, die Darstellungsweise kann natürlich eine völlig andere sein, als es der Wirklichkeit entspricht. Und die Öffentlichkeit, die diese Happen sehr begierig aufgreift, kann dadurch ziemlich leicht manipuliert werden, ohne bereit zu sein, das einzusehen. Mir kommt das so vor, als ob man bei einem Gerichtsverfahren jemanden angeklagt hat und diesen nur anhand von Indizien verurteilen will. Man hat also kein Geständnis des Angeklagten. Und ähnlich ist es hier: Sofern man die Politiker – wenn ich das etwas vereinfacht formulieren darf – nicht bei der Tat erwischt, wenn sie zum Beispiel einen Briefumschlag mit 100.000 Kronen einstecken, also bei einem klaren Fall von Korruption, kann man diese geheimen Aufnahmen und Mitschnitte, wo etwas Ähnliches behauptet wird, nicht hundertprozentig ernst nehmen.“