„Wir müssen enger zusammenwachsen“ – EP-Vizepräsident Libor Rouček im Gespräch
Am Dienstag hat das Europäische Parlament ein neues Präsidium bestimmt. Parlamentspräsident des erst im Juni neu gewählten Hauses ist nun der Pole Jerzy Buzek, einer der 14 Stellvertreter wurde der tschechische Sozialdemokrat Libor Rouček. Till Janzer hat Rouček zu seiner parlamentarischen Arbeit, zu Europa und zu seiner Beziehung zu Österreich und Polen befragt.
Herr Rouček, Sie sind seit 2004 im Europäischen Parlament. Nun sind Sie am Dienstagabend zum Vizepräsidenten des Parlaments gewählt worden. Können Sie kurz unseren Hörern erläutern, welche Aufgaben als Vizepräsident nun auf Sie zukommen?
„Was die Aufgaben sind, das wird erst in den nächsten Tagen entschieden. Aber ich möchte mich besonders um die Kontakte mit den nationalen Parlamenten kümmern. Denn nach der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags sollten wir die Kommunikation des Europäischen Parlaments mit den nationalen Parlamenten verstärken. Ich möchte mich auch um die Außenbeziehungen des Europäischen Parlaments kümmern, vor allem auch um die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn. Da ich zuletzt im Auswärtigen Ausschuss gearbeitet habe, möchte ich als Vizepräsident gerne in dieser Richtung tätig sein.“
Neuer Parlamentspräsident ist der Pole Jerzy Buzek. Stärkt das die neuen Mitgliedsländer Ihrer Meinung nach?
„Meiner Meinung nach ist das eine gute Nachricht für uns alle. Die Osterweiterung der EU ist jetzt fünf Jahre her und ganz Europa - nicht nur der Osten, sondern auch der Westen, der Süden und der Norden – hat Bedarf daran, dass wir immer mehr zusammenwachsen. Die Wahl unseres polnischen Kollegen war meiner Meinung nach der Schritt in die richtige Richtung.“
Sie haben Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in verschiedenen Teilen der Welt gearbeitet oder gelehrt: Australien, die Vereinigten Staaten, aber auch China. Eine ganz besondere Beziehung haben Sie aber zum deutschsprachigen Raum. Können Sie vielleicht in Kürze erzählen, was Sie mit Österreich und Deutschland verbindet?
„Als ich damals im Jahre 1977 geflüchtet bin, hieß mein erstes Ziel Österreich. Das war damals das einzige Land, das zum Beispiel die tschechische Matura anerkannt hat. Nach meinem Abitur in der damaligen Tschechoslowakei konnte ich gleich in Österreich, in Wien, an der Universität studieren. Ohnehin habe ich seit meiner Kindheit Deutsch gelernt. Zum deutschsprachigen Raum habe ich also sehr enge Beziehungen. Meine Doktorarbeit, die ich an der Wiener Universität schrieb, hatte den Titel: „Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei“. Für mich war eines klar: Wenn der Eiserne Vorhang eines Tages verschwindet, wird für Mitteleuropa entscheidend, wie sich die Beziehungen zwischen Tschechen, Polen, Deutschen, Österreichern entwickeln. Und jetzt, nach zwanzig Jahren, kann ich sagen, dass die Beziehungen sehr eng sind. Die Beziehungen waren nie besser.“
1978, also nur ein Jahr nach Ihrer Emigration, haben Sie im Zentrum von Wien mehrere Tage lang demonstriert – und zwar anlässlich des zehnten Jahrestages der Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei. Wie verlief dieser Protest?
„Damals habe ich mir als Student Gedanken gemacht, welche Form des Protests ich wählen soll. Ich hatte mich für einen Hungerstreik entschieden und ich habe in Wien mitten in der Stadt zehn Tage lang gehungert.“
Wie waren die Reaktionen auf Ihren Protest?
„Die Reaktionen waren sehr stark. Nicht nur in der österreichischen, der deutschen oder der Weltpresse, sondern auch zu Hause. Die Medien berichteten darüber, dass nicht alle Tschechen, so wie wir, demonstrieren konnten, dass nicht alle Tschechen die so genannte Normalisierung unterstützen, dass es viele Tschechen gab, die die Lage ändern wollten. 20 Jahre später, also 1988/1989, hat sich die Lage rapide geändert. Erst in Polen und Ungarn und im November dann auch in der damaligen Tschechoslowakei fiel der Eiserne Vorhang. Jetzt, noch einmal 20 Jahre später, sind alle diese Staaten in der Europäischen Union. Wir arbeiten sehr hart daran, dass wir weiter zusammenwachsen, dass wir die mentalen und sozialen Unterschiede, die uns häufig noch trennen, überwinden.“