Zuflucht für verfolgte Schriftsteller und Künstler: Prag tritt ICORN-Netzwerk bei

Helge Lunde und Bohuslav Svoboda unterzeichnen Vertrag über Prags Beitritt zum ICORN

Prag hat sich dem International Cities of Refuge Network (Internationales Netzwerk Städte der Zuflucht, ICORN) angeschlossen. Der Vertrag wurde am Dienstag in der Residenz des Prager Oberbürgermeisters unterzeichnet.

Beifall erklang am Dienstagnachmittag im Festsaal der Residenz. Denn der Prager Oberbürgermeister Bohuslav Svoboda (Bürgerdemokraten) und der Norweger Helge Lunde hatten kurz zuvor den Vertrag über den Beitritt der tschechischen Hauptstadt zum Internationalen Netzwerk Städte der Zuflucht unterzeichnet. Lunde ist Exekutivdirektor der Organisation, die ihren Sitz in Stavanger hat. Das Netzwerk hat sich das Ziel gesetzt, Schriftstellern und Künstlern, die in ihrer Heimat verfolgt werden, Zuflucht zu gewähren. Gegenüber Radio Prag International erklärte Lunde:

Helge Lunde,  Exekutivdirektor von ICORN | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir sind ein Netzwerk von Städten, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen sowie für Solidarität und Menschlichkeit. Wir bieten verfolgten Künstlern, Schriftstellern und Journalisten Schutz. Die Stadt Prag hat soeben den Vertrag mit uns unterzeichnet und wird sich nun genauso wie die anderen Mitgliedsstädte engagieren.“

Die Idee, verfolgten Schriftstellern Zuflucht zu bieten, stammt aus dem Jahr 1993. Damals gründete das Internationale Schriftstellerparlament (IPW) das Programm „Städte der Zuflucht“. Vorsitzende des damaligen Netzwerks waren laut Lunde auch Salman Rushdie und der tschechische Staatspräsident und Dramatiker Václav Havel. Nachdem sich das Internationale Schriftstellerparlament in den Jahren 2004 bis 2005 aufgelöst hatte, knüpfte 2006 die Organisation ICORN an seine Tätigkeit an. Aber warum hat das Netzwerk gerade in Stavanger seinen Sitz? Helge Lunde:

Helge Lunde und Bohuslav Svoboda | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„Wir waren in den 1990er Jahren eines der ersten Mitglieder des Internationalen Schriftstellerparlaments. Als wir erfahren haben, dass das ursprüngliche Netzwerk aufgelöst wird, luden wir alle Mitglieder nach Stavanger ein und fingen von Neuem mit der Arbeit an. Und so ist Stavanger zum Sitz der Organisation geworden.“

Die Aufgabe einer ICORN-Stadt ist es, sich um einen ausgewählten verfolgten Schriftsteller oder Künstler zu kümmern, ihm eine Unterkunft zu besorgen und ein Stipendium auszuzahlen. Die Koordinatorin der Aufenthalte in der tschechischen Hauptstadt ist Kateřina Bajo von der Stadtbibliothek. Sie erzählt, wie die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk konkret aussieht:

„Das ICORN-Netzwerk wird uns die Namen einiger Schriftsteller oder Künstler anbieten, die schon zuvor von der Organisation überprüft worden sind. Wir können uns dann diejenigen aussuchen, um die wir uns in Prag kümmern möchten. Die Stadtbibliothek hat seit zehn Jahren Erfahrung mit Residenzaufenthalten von Schriftstellern. Die Zuflucht für Verfolgte stellt nun noch eine höhere Stufe dar. Wir werden uns bemühen, den jeweiligen Schriftsteller bei seiner Arbeit zu unterstützen und alles dafür tun, damit er sich in Prag wohlfühlen und am literarischen Leben teilnehmen kann.“

Helge Lunde,  Exekutivdirektor von ICORN | Foto: Jakub Lucký,  Tschechischer Rundfunk

In der Gastgeberstadt können die Künstler oder Schriftsteller höchstens zwei Jahre lang bleiben. Manchmal kehren sie der Koordinatorin zufolge in ihre Heimat zurück oder suchen Zuflucht in einem anderen Land. Etwa die Hälfte der Bewerber um Hilfe in den ICORN-Städten lebt in einem Transitland, da sie schon zuvor aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Die Koordinatorin sagt, sie habe bereits mit den anderen ICORN-Vertretern verhandelt:

„Wir verpflichten uns im Rahmen des Programms, die Namen der Künstler aus Sicherheitsgründen nicht im Voraus zu nennen. Bisher haben wir auf die Unterzeichnung des Vertrags gewartet. Ich weiß, dass derzeit nach einer Stadt für einige Dutzend Schriftsteller gesucht wird. Darunter sind Autorinnen und Autoren aus dem Iran, Syrien, aus einigen Ländern Afrikas sowie aus China, aber auch aus der Türkei und aus Belarus – also im Grunde genommen aus den Staaten, in denen die Menschenrechte derzeit am stärksten verletzt werden.“

Das ICORN-Netzwerk hat momentan 86 Mitglieder. Bisher konnte es rund 300 verfolgten Künstlern und Schriftstellern Zuflucht bieten.