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5) Biowissenschaft als Leitmotiv: Die Besonderheiten des Studiums an der Agraruniversität in Prag

Universitätscampus

Landwirtschaft als in sich geschlossener Studiengang wird in Prag seit 1906 angeboten. Was zunächst eine Abteilung der Technikhochschule ČVUT war, wurde 1952 als eigenständige Agraruniversität Česká zemědělská univerzita v Praze (ČZU) gegründet. Heute hat die Hochschule sechs Fakultäten sowie ein Institut für Bildung und Beratung, und aktuell sind etwas mehr als 20.000 Studierende eingeschrieben. Auch an der ČZU gibt es Absolventen aus dem Ausland sowie Erasmus- und weitere Austauschprogramme. Anders als an anderen Universitäten werden einheimische und internationale Studenten aber nicht getrennt unterrichtet, was einen regen Austausch unter den Kommilitonen ermöglicht. Und sie kommen in den Genuss von europaweit einmaligen Lehrprogrammen.

Jonathan Teufel | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Internationale Kooperation in Entwicklung und Landwirtschaft – so heißt der Studiengang, in dem Jonathan Teufel gerade seinen Bachelor macht. Eingeschrieben ist der 27-Jährige an der Fakultät für tropische Agrarwissenschaften an der Agraruniversität in Prag (ČZU):

„Diesen Studiengang bietet speziell nur diese Universität an. Und ich wollte auf Englisch studieren. Meine Idee war, dass es gut ist, bei der Arbeit im Bereich Entwicklungshilfe nicht nur die deutsche Perspektive zu haben, sondern auch die internationalen Zusammenhänge zu sehen. In dem Studiengang gibt es sehr viele Leute aus Ländern in Afrika oder Südamerika. Mehr Eindrücke von diesen Seiten zu bekommen, hilft natürlich auch.“

Jonathan stammt aus dem Südwesten Deutschlands, aus der Gegend zwischen Karlsruhe und Stuttgart. Vor drei Jahren ging er zum Studium nach Prag. Wie er damals darauf gekommen ist?

„Ich habe wild durch die Gegend gegoogelt. In Deutschland gibt es natürlich auch gute Agraruniversitäten, aber die sind meist auf deutsche und europäische konventionelle Agrarwissenschaften fokussiert. Die Prager Uni habe ich über Stichpunkte wie ‚internationale Beziehungen‘ und ‚Entwicklung‘ gefunden.“

Inzwischen weiß Jonathan schon alles Grundlegende über tropische Landwirtschaft und Ernährungssicherheit in den Ländern des Globalen Südens, über nachhaltigen Rohstoffhandel und die Beantragung von entsprechenden Fördergeldern.

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

So interessant wie das Lehrangebot am Tropeninstitut sei die gesamte Bandbreite an Studienprogrammen, macht Ondřej Votinský Werbung für die Agraruniversität. Er hat selbst an der ČZU studiert und koordiniert nun das Erasmus-Austauschprogramm. Die Fächer an den unterschiedlichen Fakultäten würden alle thematisch zusammenlaufen, erläutert Votinský und verweist auf den offiziellen englischen Namen der Einrichtung, nämlich University of Life Sciences:

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

„Den Namen unserer Universität sehe ich als eine Art Leitmotiv für all ihre Einrichtungen. Es ist egal, ob jemand Wirtschaft oder ein Ingenieurfach studiert – alle widmen sich Projekten, die auf Biowissenschaften ausgerichtet sind. Ein Wirtschaftsstudium etwa hat den Betrieb von Bauernhöfen zum Inhalt, bei Technikfächern geht es um landwirtschaftliche Maschinen und so weiter. Alles führt also aus verschiedenen Richtungen zu einem Zentrum, und das sind die Biowissenschaften.“

Sprachbarriere in Prag nimmt ab

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Jonathan Teufel bekam sein Interesse an anderen Ländern und dem Leben dort quasi in die Wiege gelegt. Er sei in Indien aufgewachsen, erzählt er. Und nach einem Studienversuch zum Wirtschaftsingenieurswesen in Deutschland habe ihn seine Auslandserfahrung wieder über die Grenze schauen lassen:

„Ja, ich denke schon, das hat damit zu tun – dass einem das Leben in Deutschland ein bisschen zu strukturiert, bequem und gemütlich vorkommt. Deswegen wollte ich nach Prag gehen. Es ist nicht so weit weg, und man kann entspannt mit dem Auto hinfahren. Aber es ist trotzdem schon eine ganz andere Welt, wenn man es etwa mit Frankreich oder den Niederlanden vergleicht. Dennoch gibt es ja viele geschichtliche Zusammenhänge. Ich finde generell, dass die deutsche Sicht Richtung Osten eher reduziert ist.“

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Die deutlichen Spuren der gemeinsamen Geschichte, die heute auch noch hörbar sind, hätten ihn dann doch erstaunt, so der Student weiter:

„Es hat mich überrascht, wie viele Leute hier Deutsch können. Es war mir nicht bewusst, dass dies vor allem auch für ältere Generationen gilt. Wenn man im Tschechischen nicht so gut ist, es auf Englisch versucht und das aber nicht klappt, dann hilft Deutsch. Und die absolute Abneigung gegenüber dem Kommunismus finde ich interessant, dass sie so stark ist.“

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Die abnehmende Sprachbarriere beobachtet auch Ondřej Votinský in Prag. Eine funktionierende Kommunikation würde immer mehr Studierende aus dem Ausland in die Stadt an der Moldau locken. Der Erasmus-Koordinator verweist allerdings auf eine andere Sprache…

„Dank der Entwicklung können immer mehr Menschen in Prag Englisch. Die Sprache ist überall in der Stadt zu hören. Dies war vor zehn Jahren definitiv noch nicht so. Ich kann mir gut vorstellen, dass junge Leute Prag zunächst als Touristen besuchen, sich hier sicher fühlen und die Menschen Englisch reden hören. Dadurch bekommen sie das Gefühl, hier leben zu können, auch wenn sie nicht Tschechisch sprechen.“

So würden etwa schon Dienstleistungen auf Englisch angeboten, fährt Votinský fort und erwähnt auch untertitelte Theateraufführungen. So würde sich die Prager Gesellschaft der stetig wachsenden internationalen Community in der Stadt anpassen, lautet die Analyse des Koordinators.

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

In- und ausländische Studenten lernen gemeinsam

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Englisch ist auch die Studiensprache von Jonathan. Etwa die Hälfte seiner Kommilitonen im Studiengang komme aus aller Welt, berichtet er. In den Lehrveranstaltungen würde Tschechen, Erasmus-Teilnehmer sowie Langzeitstudenten aus dem Ausland zusammentreffen:

„An der Fakultät gibt es den Studiengang parallel auch auf Tschechisch. Die Erasmus-Studenten tauchen dann ab und zu in Kursen auf. Die meisten sind aus Frankreich oder den Niederlanden.“

Anders ist es etwa an der Technischen Universität in Prag (ČVUT). Dort sind die Kurse auf Englisch den internationalen Studierenden vorbehalten. Jonathan lobt dahingegen das Konzept seiner Uni:

„Ich habe das auch von anderen Erasmus-Leuten gehört, dass sie alle irgendwo reingeschoben werden. Weil unsere Fakultät so klein ist, kann man das aber bei uns so nicht machen. Das finde ich eigentlich cool.“

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Es sei einer der Vorzüge der ČZU, dass die Studierenden schnell in Kontakt miteinander kämen, sagt Erasmus-Koordinator Votinský. Man würde sich auch fachübergreifend oft über den Weg laufen…

„Wir sind eine der wenigen Unis – vielleicht auch die einzige –, die einen von den USA inspirierten Campus haben. Das ist komisch, denn er wurde in den 1950er Jahren, also noch zu kommunistischen Zeiten entworfen. Der Campus bietet einen großen Vorteil, denn er vermittelt ein echtes Universitätsgefühl. Man sieht all die Studenten, es gibt Restaurants, und alles findet an einem Ort statt. Es ist ein sehr lebendiger Ort, und man hat wirklich das Gefühl, an einer Hochschule zu sein.“

Es gebe ein starkes Gefühl des Zusammenhalts, ergänzt Votinský, und das nicht nur unter den Studierenden…

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

„Dank entsprechender Initiativen sind mittlerweile auch nicht-tschechischsprachige Studenten in den Uni-Gremien vertreten. Und der Dekan der Fakultät für tropische Landwirtschaft zum Beispiel spricht kein Tschechisch. Das sehe ich als guten ersten Schritt, mit dem wir ein internationales Umfeld aufbauen. Etwa 30 Prozent unserer Studenten stammen nicht aus Tschechien. Das ist eine hohe Zahl, und sie wächst mit jedem Jahr.“

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Jonathan berichtet zudem, dass der Austausch unter den Studierenden durchaus nicht nur in eine Richtung verläuft. Es sei nicht immer nur so, dass die Einheimischen einen Informationsvorteil hätten…

„Ich habe keinen extrem großen sozialen Kreis, aber es sind auch ein paar Tschechen dabei. Die kommen natürlich nicht alle aus Prag. Und weil ich ein bisschen mehr Zeit hier verbracht habe, kann ich ihnen dann auch interessante Dinge in der Stadt zeigen, das finde ich schön.“

Jonathan boten sich in seiner Anfangszeit außergewöhnliche Bedingungen, um Prag zu entdecken. Er kam nämlich mitten im zweiten Lockdown in die Stadt und konnte einsame Spaziergänge durch die Innenstadt und über die Karlsbrücke genießen. Inzwischen ist er aber auch in die Aktivitäten der Fakultät involviert.

„Jetzt im Juni gibt es den ‚Labe Run‘ (Elbe-Lauf, Anm. d. Red.), zu dem die Fakultät ein Team hinschickt. Wir rennen zu zwölft 380 Kilometer im Staffellauf. Da sind Professoren, Dozenten, Doktoranten und Bachelor wie ich dabei.“

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita

Zudem würde er in einer Gruppe von „Studentenbotschaftern“ die Willkommenswoche und weitere Veranstaltungen für neu ankommende internationale Kommilitonen an der ČZU organisieren, fügt Jonathan hinzu. Für ihn selbst rückt aber langsam auch schon das Ende seiner Zeit in Prag in den Blick. Den Sommer wird er seiner Bachelorarbeit widmen und im Wintersemester noch ein Praktikum machen. Was dann kommt, sei noch offen:

„Das Langzeitziel ist, nach Wien zu gehen, weil meine Freundin dort lebt. Mir gefällt Prag sehr, es ist eine schöne Stadt. Prag und Wien ähneln sich ja auch und sind nicht so weit voneinander entfernt. Aber das große Problem hier ist die Sprache. Am Anfang hat mich das noch nicht so gestört, da fand ich das eher interessant. Aber es schränkt einen schon ein. Es sind hauptsächlich Kleinigkeiten – dass man auf der Straße nicht Witze mit Leuten machen oder auf jeden zugehen kann. Das ist ja aber schon Teil des Lebens.“

Foto: Petr Zmek,  Česká zemědělská univerzita
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Autoren: Daniela Honigmann , Amelia Mola-Schmidt
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