300 Jahre Maria Theresia: die Kaiserin als Reformerin
Reformen waren das Kennzeichen ihrer Regentschaft: Nachdem Maria Theresia den Fortbestand der Monarchie gesichert hatte, krempelte sie praktisch alle Bereiche der damaligen Gesellschaft um. Die Maßnahmen betrafen die Verwaltung, Armee, Justiz, Bildung, aber auch die Lebensumstände der Bauern und das religiöse Leben. Und die Theresianischen Reformen wirken in Tschechien bis heute.
„Das Ziel Maria Theresias war es, die Verwaltung stärker zu zentralisieren und zu bürokratisieren. Die Behörden wurden mit bezahlten, fachlich ausgebildeten Staatsbeamten besetzt. Diese Reformen wurden auf allen Ebenen durchgeführt, von den Zentralbehörden bis hin zu den Kreisen.“
Radikaler Abbau von Zeichen böhmischer Staatlichkeit
In den einzelnen Ländern der Monarchie entstanden neue Behörden. Sie lösten alte Statthaltereien ab, in denen die Stände einen starken Einfluss hatten. Gerade deren Befugnisse sollten damit eingeschränkt werden.
„Die böhmische Hofkanzlei wurde aufgelöst. Bis dahin repräsentierte sie den gesamten böhmischen Staat gegenüber der Monarchie und war ein wichtiges Symbol der böhmischen Staatlichkeit. Anstatt der böhmischen Hofkanzlei und der österreichischen Hofkanzlei entstand eine neue Zentralbehörde, das ‚Directorium in publicis et cameralibus‘. Sie erfüllte von da an sowohl politische als auch finanzielle Funktionen.“Durch die neue Organisation des Staates sollte mehr Geld in die Staatskasse fließen. Als ganz so glücklich erwies sich die Vereinigung der Staats- und der Finanzverwaltung aber nicht:
„Ende der 60er Jahre kam eine neue Reform. Sie gab einige Rechte gewissermaßen wieder an die Stände zurück. Die Landesregierung wurde in Gubernium umbenannt und an ihrer Spitze stand von da an der oberste Prager Burggraf. In der Tat hat sich aber nur wenig verändert. Durch diese politischen Reformen wurden praktisch alle Zeichen der böhmischen Staatlichkeit innerhalb der Monarchie abgebaut. Zwar gab es noch den Königstitel und die Krönungszeremonie, aber das war alles.“
Höchste Schreib- und Lesefähigkeit innerhalb der Monarchie
Doch nicht nur die Verwaltung reformierte Maria Theresia, sondern auch den Alltag der Untertanen. Die bekannteste Reform ist dabei die 1774 erlassene „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt und Trivialschulen in sämmtlichen Kayserlichen Königlichen Erbländern“.„Die Schulreform hat ist am stärksten im Bewusstsein der Menschen innerhalb der Monarchie geblieben, konkret die Einführung der Unterrichtspflicht für Kinder von sechs bis zwölf Jahren. Die Reform betraf aber auch Mittel- und Hochschulen. Ein Meilenstein war die Auflösung des Jesuitenordens 1773, der bis dahin alle Mittel- und Hochschulen fest in seiner Hand hatte.“
Für die Zeit vor der Reform gibt es keine statistischen Angaben über die Schreib- und Lesefähigkeit der Menschen. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts seien solche Daten erhoben worden, sagt der Historiker:
„Diese Statistiken zeigen, dass die Alphabetisierung zunächst sehr niedrig war. Durch die Reformen Maria Theresias stieg sie aber schnell an. In den böhmischen Ländern war sie innerhalb der Monarchie am höchsten, sowohl bei den Tschechen als auch bei den Deutschen. Die böhmischen Länder nahmen aber auch europaweit einen hohen Rang ein. Bereits zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lag die Schreib- und Lesefähigkeit der Bevölkerung bei fast einhundert Prozent.“
Ein weiterer Bereich, den Maria Theresia in Angriff nahm, war die Justiz:„Man hat mit der Vereinheitlichung der Gesetzgebung in Österreich und den böhmischen Ländern begonnen. Unter Maria Theresia wurde ein neues Strafgesetzbuch erlassen. Allerdings blieben darin noch viele Relikte des Mittelalters erhalten: Zum Beispiel die Folter als Verhörinstrument. Diese wurde jedoch später nach einer Welle der Kritik abgeschafft.“
Bürgerliches Gesetzbuch: in der Tschechoslowakei gültig bis 1950
Noch wichtiger war, dass unter Maria Theresia das erste Mal ein Bürgerliches Gesetzbuch aufgesetzt wurde. Dieses sollte die Gleichstellung aller Einwohner der Monarchie vor dem Gesetz gewährleisten:
„Die Arbeit ging unter Josef II. weiter und endete 1811 mit der Herausgabe des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Darin wurde das Zivilrecht kodifiziert. Es blieb im Prinzip bis zum Ende der Monarchie gültig und wurde auch von den Nachfolgestaaten übernommen. In der Tschechoslowakei galt es bis 1950, also bis zur Machtübernahme durch die Kommunisten.“
Außerdem wurde die Gerichtsbarkeit umstrukturiert. Neun Zehntel aller Blutgerichte in zahlreichen Kleinstädten wurden aufgelöst. Die Gerichte saßen seitdem in den Kreisstädten und wurden von professionellen, juristisch ausgebildeten Richtern besetzt. Dieser Eingriff schränkte unter anderem die Macht des Adels ein, der zuvor starken Einfluss auf die Rechtsprechung in den Kleinstädten hatte.
Dahingegen kamen die Kirchenreformen unter Maria Theresia nur schleppend voran. Eduard Maur:„Maria Theresia selbst wurde streng im Sinne eines barocken Katholizismus erzogen. Sie war nicht offen für die radikalen Ansichten der Aufklärung über Kirche und Religion.“
Trotzdem wurden unter ihr zahlreiche Gesetze und Verordnungen erlassen, die den Einfluss der Kirche eingrenzten. Sehr zurückhaltend war die Monarchin wiederum in Sachen der Glaubenstoleranz.
„Diese existierte zwar in der Monarchie, aber in einem sehr beschränkten Maße. In den böhmischen Ländern galt sie auf zwei kleinen Gebieten: im Ascher Zipfel und in der Region um Teschen.“
Die Toleranz war ein Zankapfel zwischen Maria Theresia und ihrem Sohn, Joseph II., sowie ihrem Mitarbeiter und Berater, dem Staatskanzler Kaunitz-Rietberg. Das sogenannte Toleranzpatent, das auch Protestanten die Ausübung ihrer Religion ermöglichte, wurde erst nach dem Tod der Erzherzogin 1781 von ihrem Sohn herausgegeben.
Böhmen – das industrielle Herz der Monarchie
Ein weiteres wichtiges Anliegen der Habsburgerin war die Förderung der Industrie und Landwirtschaft. Denn die wirtschaftliche Entwicklung sollte die Staatskasse füllen.„Denn diese war in einem sehr schlechten Zustand, vor allem in der ersten Hälfte der Regentschaft Maria Theresias. Nach all den Kriegen stieg die Staatsschuld auf 100 Millionen Gulden.“
Besonders die Manufakturproduktion wurde unterstützt. Maria Theresia wollte aus der Monarchie eine wirtschaftliche Einheit schaffen. In jedem Land der Monarchie sollte sich der Produktionsbereich konzentrieren, für den es dort die günstigsten Bedingungen gab. Zudem sollte der Handel blühen zwischen den einzelnen Teilen der Monarchie.
„Vor allem in den böhmischen Ländern sollte das industrielle Herz der Monarchie schlagen, vor allem im Bereich der Textilproduktion, der Leinwand- und Tuchweberei. Selbstverständlich hat sich auch die Glasproduktion entwickelt, aber die Textilbranche blieb am wichtigsten. Sie legte die Grundlagen für die Entwicklung der modernen Industrie in den böhmischen Ländern. An sie knüpften der Maschinenbau und weitere Bereiche an.“Die Entwicklung einer modernen Wirtschaft erforderte jedoch weitere wichtige Schritte. Einer davon war der Straßenbau. Dabei hatte man jedoch nicht nur ökonomische Ziele vor Augen, sondern ebenso militärische. Die Arbeiten an einem Verkehrsnetz begannen bereits Ende der 1730er Jahre, noch unter Karl VI. Unter Maria Theresia gingen sie schnell voran:
„Man wollte die Landeshauptstädte Prag und Brünn mit den wichtigsten Städten in der Monarchie und im Ausland verbinden. Es entstanden die sogenannten Staatsstraßen. Abgesehen von den Autobahnen bilden sie bis heute die Grundlage des Straßennetzes Tschechiens.“
Außerdem wurde eine neue einheitliche Währung eingeführt und die Verwendung von Papiergeld durchgesetzt. Vereinheitlicht wurden auch die Maß- und Gewichtseinheiten in der ganzen Monarchie. Zur Modernisierung der Wirtschaft trug eine systematische Kontrolle bei – regelmäßig wurden statistische Berichte verfasst und Produktionszahlen nach Wien geschickt.
Einen wesentlichen Wandel haben unter Maria Theresia die Verhältnisse auf dem Lande durchgemacht. So wurden zum Beispiel neue Feldfrüchte angebaut. Der Boden und die Besitzrechte dazu wurden in einem neuen Urbar verzeichnet. Und auch die Stellung der Untertanen erlebte einen wichtigen Wandel. Mehr dazu hören Sie in der nächsten Folge des Geschichtskapitels in einer Woche.