Ärmere Familien mit Kindern sind in Tschechien die Verlierer der Inflation
Weiterhin liegt die Inflationsrate in Tschechien bei zweistelligen Werten. Ärmere Familien mit Kindern leiden besonders stark unter dieser Entwicklung. Dies geht aus dem Projekt „Život k nezaplacení“ (Unbezahlbares Leben) hervor, bei dem rund 1500 tschechische Haushalte bereits seit über anderthalb Jahren regelmäßig zu ihrer wirtschaftlichen Situation befragt werden.
Im Mai lag die Inflationsrate in Tschechien bei 11,1 Prozent. Damit bewegt sich die Teuerung schon seit 16 Monaten im zweistelligen Bereich. Besonders für Familien mit kleineren Einkommen ist dies eine dramatische Entwicklung. Mittlerweile hat über die Hälfte von ihnen am Ende des Monats keine Krone mehr übrig – oder muss sogar noch drauflegen. Im Herbst 2021 traf dies nur auf 29 Prozent dieser Haushalte zu.
Das Hauptproblem sind die Wohnkosten, wie aus der Langzeit-Studie „Unbezahlbares Leben“ des Tschechischen Rundfunks und des Meinungsforschungsinstituts PAQ Research hervorgeht.
„Für die Wohnkosten muss heute ein Haushalt aus dem Segment ärmerer Familien mit Kindern im Durchschnitt 42 Prozent seines Einkommens aufwenden. Vor anderthalb Jahren lag der Anteil nur bei 28 Prozent. Die relativen Ausgaben fürs Wohnen sind also um 14 Prozentpunkte angestiegen. Das ist bedeutend mehr als bei den anderen Bevölkerungsgruppen – obwohl auch bei ihnen der Anteil gestiegen ist, allerdings nur um fünf bis zehn Prozentpunkte“, so der Soziologe Daniel Prokop von PAQ Research.
Selbst wenn die Inflationsrate in den kommenden Monaten sinken dürfte, stehen ärmere Familien weiter vor einer sehr unsicheren Zukunft. Denn das sogenannte Konsolidierungspaket der tschechischen Regierung dürfte den Berechnungen nach sie besonders belasten. Dies sagt Daniel Prokop genauso wie zum Beispiel die Ökonomin Klára Kalíšková von der Wirtschaftshochschule VŠE in Prag.
Das Mitte-Rechts-Kabinett in Prag will sparen, um die Staatsfinanzen wieder in den Griff zu bekommen. Mit dazu gehören Steuererhöhungen und die Streichung von Steuererleichterungen. Deswegen plädiert Kalíšková dafür, die sozialen Leistungen schneller an die Inflation anzupassen:
„Bei uns werden sie nicht automatisch angepasst. So entstehen Verspätungen, weil die Regierung diese Leistungen nur von Zeit zu Zeit erhöht. Außerdem sind selbst rückwirkende Erhöhungen nicht ausreichend hoch, um die Inflation auszugleichen. Wenn aber wie zuletzt die Teuerungsrate emporschnellt, kommen die politischen Entscheidungen immer zu langsam. Das heißt, die Familien sind sofort betroffen. Bis aber innerhalb der Regierung ausgehandelt ist, um wieviel und ab wann das Kinder- und das Erziehungsgeld erhöht werden, ist es bereits zu spät.“
Die derzeitige Regierungskoalition in Prag erwägt allerdings keine automatische Anpassung der Sozialleistungen. Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (Christdemokraten) plant nur Änderungen in den Verfahren:
„Wir wollen die Beantragung solcher Leistungen deutlich vereinfachen. Und zwar dadurch, dass wir die Klienten und Haushalte jeden Monat um die Informationen über ihre Einkommen bitten werden – dann entfallen die Behördengänge und die Beibringung von Dokumenten. Und wir wollen ermöglichen, dass jene, die eigentlich ein Anrecht auf Sozialleistungen haben, aber diese bisher nicht beantragt haben, dies auch online machen können.“
Diese Nachricht dürfte auch die Gewerkschaften enttäuschen. Sie halten die geplanten Sparmaßnahmen der Regierung für unsozial. Besonders Familien mit Kindern und Rentner würden durch das Konsolidierungspaket belastet, hieß es. Diesen Montag beraten die Arbeitnehmervertreter daher über mögliche Formen des Protests. Vor drei Wochen hat der größte Gewerkschaftsdachverband ČMKOS bereits einen Streikausschuss eingerichtet.