„Atemberaubende Dreistigkeit“ - Politologe Schuster über Korruption und Strafverfolgung in Tschechien

Das tschechische Justizsystem gilt seit Jahren als Problemfall. War früher die chronische Unterbesetzung von Gerichten und Staatsanwaltschaften das größte Problem, steht man heute vor einer ganz anderen Herausforderung, die sich nicht so leicht mit der Aufstockung von Planstellen oder höheren Gehältern lösen lässt: Es geht um die Wahrung der Unabhängigkeit der Justizbehörden, vor allem gegenüber der Politik. Über die Dauerkrise des tschechischen Justizapparats nun der Politologe und Radio-Prag-Mitarbeiter Robert Schuster.

Robert Schuster
Robert, immer öfter wird publik, wie Ermittlungen von großen Korruptionsfällen irgendwo im institutionellen Dickicht versanden oder von Ermittlern oder Staatsanwälten unerwartet auf Eis gelegt werden. Vor einigen Jahren behinderten zum Beispiel Korruptionsvorwürfe und dementsprechende Ermittlungen der Behörden gegen den damaligen Vizepremier Jiří Čunek über Monate die Arbeit der Regierung. Dann wurde der Fall aber überraschend an eine andere Staatsanwaltschaft übergeben, und kurz darauf wurde das Verfahren sogar eingestellt. Das Regierungskabinett konnte zwar gerettet werden, doch der Verdacht politischer Einflussnahme konnte nie entkräftet werden. Auffallend ist, dass gerade in letzter Zeit immer neue Fälle bekannt werden, die ein schiefes Licht auf die tschechische Justiz werfen. Warum? Gab es diese Fälle nicht auch schon früher?

Foto: Archiv Radio Prag
„Diese gab es auch schon früher, allerdings mit zwei Unterschieden: Zum einen haben die Medien zwar in den vergangenen Jahren häufig über große Fälle von Korruption und Amtsmissbrauch berichtet. Allerdings war das Thema dann nur für ein paar Tage aktuell. Danach haben sich die Medien schon wieder auf neue Angelegenheiten gestürzt. Mittlerweile sind die Medien in dieser Hinsicht konsequenter. Wenn sie etwas aufdecken, dann verfolgen sie das beharrlicher und versuchen gegebenenfalls auch Minister zum Rücktritt zu bewegen. Zum anderen handelt es sich heute um wesentlich größere Fälle. In den neunziger Jahren ging es bei Privatisierungen um Millionenbeträge. Bei großen Rüstungsgeschäften geht man heute mittlerweile von Milliarden aus. Hinzu kommt die atemberaubende Dreistigkeit, mit der beispielsweise einflussreiche Geschäftsleute versuchen, die Justiz mit der Hilfe ihrer politischen Kontakte zu beeinflussen. In diesem Umfang gab es das früher sicherlich nicht.“

Pavel Zeman | Foto: Tschechisches Fernsehen
Seit Januar hat Tschechien mit Pavel Zeman einen neuen Obersten Staatsanwalt. Zeman hat die Sicherung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft zu seinem wichtigsten Ziel erklärt. Wie weit ist er bisher gekommen?

„In der Öffentlichkeit hat er sich bisher eher zurückgehalten. Doch hinter den Kulissen soll es schon sehr weitreichende Veränderungsvorschläge für das Justizsystem geben, vor allem für die Staatsanwaltschaft. Er möchte beispielsweise die Unabhängigkeit des Oberstaatsanwalts dadurch sichern, dass dieser künftig nur noch eine Amtszeit lang seinen Posten innehaben darf. Damit wäre ausgeschlossen, dass er in Erwartung einer erneuten Aufstellung Fälle zugunsten der Politik entscheidet. Zeman hat außerdem vor, die mittlere Justizebene und die mittlere Staatsanwaltschaftsebene aufzulösen, um die Arbeit effizienter zu gestalten. Das betrifft die Oberstaatsanwaltschaften in Prag und in Olmütz. Allerdings sind bereits diese ersten Vorschläge auf erheblichen politischen Widerstand gestoßen, vor allem bei der größten Regierungspartei, der ODS von Premierminister Petr Nečas.“

Vlastimil Rampula  (Foto: ČTK)
Ende vergangener Woche wurde bekannt, dass Justizminister Jiří Pospíšil den umstrittenen Leiter der Prager Oberstaatsanwaltschaft, Vlastimil Rampula, des Amtes enthoben hat. Was sind die Hintergründe dieser Entscheidung?

„Vlastimil Rampula wird schon seit vielen Jahren vorgeworfen, dass Fälle von Korruption und Amtsmissbrauch in seinem Wirkungsbereich, dem böhmischen Teil Tschechiens, plötzlich nicht mehr verfolgt werden. Große Fälle werden mit einem Mal auf Eis gelegt. Es wird angenommen, dass Vlastimil Rampula mit den betroffenen politischen Gruppierungen eng verbunden ist und verhindert, dass diese Fälle aufgedeckt werden. Seine Abberufung ist ein erster Schritt, um dieses fast mafia-artige Zusammenleben zwischen Politik und Justiz zu lösen. Doch eine einzige Schwalbe macht noch keinen Frühling, und die Abberufung eines einzigen Staatsanwaltes, wenn auch des Oberstaatsanwalts, kann noch keine Änderung des ganzen Systems verursachen. Das wird noch einige Zeit dauern.“