Auf Václav Havels Spuren: Von der Lucerna zum Palais Adria
„Das Prag Václav Havels“ heißt der Bildband des Architekten und Kunsthistorikers Zdeněk Lukeš. Er beschreibt 69 Orte in der tschechischen Hauptstadt, die eng verbunden sind mit dem Leben des Dissidenten, Dramatikers und Präsidenten. Einige der Gebäude stellten wir Ihnen bereits in den vergangenen Ausgaben der Sendereihe „Spaziergang durch Prag“ vor. Die Führung auf Václav Havels Spuren möchten wir in den folgenden Minuten fortsetzen.
„Es gefiel ihnen, dass es ein Gebäude war, das verschiedenen Zwecken diente. Es gab hier Wohnungen, Büros, aber auch Cafés und Restaurants. Das vermutlich schönste Café befindet sich hier beim Kinoeingang. Das Kino gab es hier schon von Anfang an. Es wurde dort zudem ein System von Passagen errichtet, das an weitere Passagen der Palais in der Umgebung anknüpfte. Das war damals bestimmt eine Attraktion für die Prager. Im Palais Lucerna befand sich auch ein japanisches Teehaus, die Bedienung trug dort Kimonos. Das war damals etwas sehr Exotisches.“
Fairbanks, Gillespie und heiliger Wenzel
Im Festsaal der Lucerna traten schon immer namhafte Künstler auf, wie beispielsweise Pianist Artur Rubinstein oder sogar der Filmstar Douglas Fairbanks. Auch während des Kommunismus wurde der große Saal als Ort für Konzerte oder Tanzveranstaltungen genutzt, das Café sowie das Kino waren auch in Betrieb.„Zum Glück wurde die Rolle des Palais als multikulturelles Zentrum aufrechterhalten. Ich habe hier beispielswiese hervorragende Jazzkonzerte besucht, es traten hier Dizzy Gillespie oder Sarah Vaughan auf. Das Palais ist auch wegen seiner Architektur interessant. Ich mag am liebsten die Fassade des Gebäudes in der Straße Vodičkova. Dieser Teil des Gebäudekomplexes wurde schon 1906-1907 erbaut. Die Fassade gestaltete wahrscheinlich der berühmte Architekt Osvald Polívka. Erst später entstand der Gebäudeflügel mit der Passage, die ursprünglich ‚Basar‘ hieß. Der Abschnitt der Fassade Richtung Straße Štěpánská wurde erst kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erbaut.“
Das Palais Lucerna gehört heutzutage Havels Bruder Ivan und seiner Frau Dagmar. Sie entschieden sich vor einiger Zeit, den Ort zu beleben, an dem die Passage Rokoko in die frühere Basar-Passage mündet.„Es gibt hier eine Kuppel, unter der die Statue des Heiligen Wenzel hängt, der auf dem Bauch seines toten Pferdes sitzt. Die Beine des Tiers sind gefesselt, die Seile dienen zur Befestigung des Monuments. Das Werk von David Černý ist ein Gleichnis auf die heutige Zeit.“
Václav Havels Schwägerin Dagmar bemüht sich zurzeit, das Palais zu renovieren.
„Vor kurzem haben wir erfahren, dass vorgeschlagen wurde, das Palais zu einem nationalen Kulturdenkmal zu erklären. Es würde es nicht nur wegen seiner Architektur und Multifunktionalität verdienen, sondern auch wegen der technischen Ausstattung. Hinzu kommt die große gesellschaftliche Rolle, die das Palais Lucerna bis heute spielt.“
Balkon von Melantrich
Durch die Rokoko-Passage geht es vorbei am Eingang in das gleichnamige Theater auf den Wenzelsplatz. Dort, vor dem Haus, in dem früher der Verlag Melantrich seinen Sitz hatte, begannen die ersten großen Demonstrationen nach dem Ausbruch der Samtenen Revolution.„Die erste große Demonstration fand hier am Montag, dem 20. November, statt. Das kurz zuvor entstandene Bürgerforum hatte damals seinen Sitz im Theater ,Laterna magika‘. Aber am Montagnachmittag strömten Menschen spontan auf den Wenzelsplatz, auch wenn sie niemand dazu aufgefordert hatte. Der Verlag Melantrich stellte den berühmten Balkon seines Hauses zu Verfügung, das ursprünglich Palais Hvězda hieß. Das Haus wurde von Architekt Bedřich Bendelmayer zur selben Zeit wie das Palais Lucerna erbaut. Von dem Balkon aus sprachen zu den Tausenden Menschen damals Václav Havel, die Sängerin Marta Kubišová und viele andere Persönlichkeiten. Der Wenzelsplatz hatte für Václav Havel aber schon zuvor eine große Bedeutung. Viele seiner Freunde wohnten unweit von hier. Es gab hier Theater und Klubs, die er besuchte. Er mochte die Prager Passagen sehr. Man darf zudem nicht vergessen, dass Václav Havel während der sogenannten ‚Palach-Woche‘ im Januar 1989 an einer Gedenkveranstaltung am Wenzelsdenkmal teilnehmen wollte. Er wurde dort aber verhaftet und verbrachte einige Monate im Gefängnis.“
Das Bürgerforum, das nach dem Ausbruch der Samtenen Revolution entstand, traf im Theater „Laterna magika“ zusammen. Das Theater befand sich damals im Palais Adria. Das auffallende monumentale Gebäude steht an der Ecke der Nationalstraße und der Jungmannova. Architekt Zdeněk Lukeš:„Das Palais ist ein Werk von zwei namhaften Architekten, Pavel Janák und Josef Zasche. Es wurde in den Jahren 1921 bis 1925 für die italienische Versicherungsanstalt Riunione Adriatica di Sicurtà erbaut. Bedeutende Bildhauer wie Wilhelm Srb, Jan Štursa oder Josef Mařatka schufen die Plastiken, mit denen das Gebäude geschmückt ist. Václav Havel besuchte bestimmt auch das hiesige Café, das im Art deco-Stil gestaltet ist.“
Raucherzimmer von „Laterna magika“
Das Theater „Laterna magika“ repräsentierte 1958 die Tschechoslowakei bei der Weltausstellung Expo in Brüssel. Es zog nach seiner Rückkehr in den Palast Adria. Im November 1989 boten die Vertreter der „Laterna magika“ dem Bürgerforum an, seine Zentrale in den Theaterräumlichkeiten zu errichten.„Das war während der ersten Woche nach dem Beginn der Samtenen Revolution. Im Theater haben die Vertreter des Bürgerforums fast ununterbrochen verhandelt. Das ,Gehirn‘ des Bürgerforums befand sich in einem kleinen unterirdischen Saal, der früher als Raucherzimmer diente. Ich habe dort fast einen Monat verbracht. Es ist ein unvergessliches Erlebnis auch aus dem Grund, weil ich dort Václav Havel zum ersten Mal in Aktion gesehen habe. Es war zu spüren, dass er ein Mensch ist, der eine große Autorität hat. Er hat immer sehr leise gesprochen. Wenn er sprach, haben alle anderen geschwiegen und ihm zugehört. Er hat eigentlich wenig gesprochen, aber das, was er sagte, trug zur Entwicklung der Lage bedeutend bei.“
Im Theater „Laterna magika“ war das Bürgerforum nur etwa fünf oder sechs Wochen lang untergebracht, bevor es in das Haus Špalíček umzog. Aber eben im Palais Adria spielten sich die maßgebenden Verhandlungen ab.