Böhmerwald: Heutige Hinterglasmalerei auf alten Traditionen aufgebaut
Anmutig, und wenn auch nur mit einfachen Konturen dargestellt, so doch kunstvoll und aussagekräftig. Man könnte ganz bestimmt noch weitere Attribute finden, wenn von der zarten und fragilen Schönheit der Hinterglasmalerei die Rede ist. In den böhmischen Ländern war diese Art der Malkunst vor allem im letzten Drittel des 18. und während des gesamten 19. Jahrhunderts recht verbreitet. Auf der einen Seite als Handwerk und Erwerb, auf der anderen auch als fester Bestandteil der Innenraumdekorationen - vor allem in sakralen Bauten und in Wohnhäusern der ländlichen Regionen. Zu einer Exkursion in diese Kunstgefilde lädt Sie Jitka Mladkova ein:
Die Hinterglasmalerei kann auf eine uralte Tradition zurückblicken. Ihre Zeugnisse sind bereits aus der Antike bekannt. Eine Renaissance erlebte die Hinterglasmalerei im 14. Jahrhundert in Italien, von wo aus sie sich später in ganz Mitteleuropa verbreitete. Zu Hause war sie vor allem dort, wo es Glashütten gab. Von diesen gab es seinerzeit in den böhmischen Ländern eine ganze Menge. Immer mehr talentierte Glasbläser, die auch Erfahrungen mit dem Glasmalen hatten, sattelten auf die gefragten Produkte der Hinterglasmalerei um. Bald ging man zur Massenherstellung über, die jedoch nicht in Betrieben, sondern in Großfamilien erfolgte.
"Im Laufe des gesamten 19. Jahrhunderts waren diese Bilder sehr beliebt im volkstümlichen Milieu. Dort dienten sie besonders als Wandschmuck im so genannten Herrgottswinkel des Hauses. Damals hat man kaum einen Haushalt ohne diese Bilder gefunden",
sagt Dr. Lubos Kafka vom Ethnografischen Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Vor allem Heiligenbilder und Portraits der Namenspatrone oder Bilder nach biblischen Geschichten wurden in großen Stückzahlen als Hinterglasmalerei hergestellt.
"Von diesen Bildern wurden hierzulande Hunderttausende jährlich produziert. Die Zahl der Werkstätten ging in die Dutzende. In jeder von ihnen wurden bis zu 300 Stück pro Tag produziert! Heute ist allerdings nur ein geringer Teil von all den Bildern erhalten. Seit Mitte des 19.Jahrhunderts zeichnete sich das nahende Ende der volkstümlichen Hinterglasmalerei ab. Die zerbrechlichen und teuren Produkte der Hinterglasmaler standen nämlich zunehmend unter Druck der Konkurrenz von bunten und billigeren Kunstfarbdrucken."
Die Zahl der von der einstigen Unmenge erhalten gebliebenen Bilder, die heutzutage in den Sammlungen tschechischer Museen zu finden sind, beläuft sich Lubos Kafka zufolge auf etwa 10.000 - 12.000 Stück. Er selbst ist nicht nur ein Sachkundiger im Bereich dieser spezifischen Gattung der Malkunst, sondern unverkennbar auch ihr Liebhaber:
"Auf die Hinterglasmalerei bin ich als Student der Volkskunde an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität gestoßen. Bei meiner Forschungsarbeit habe ich ganze Kollektionen in verschiedenen musealen Depositaren entdeckt. Das war noch vor 1989. Die absolute Mehrheit dieser Bilder stellte Szenen aus dem Leben Christi, der Jungfrau Maria oder aus dem Neuen Testament dar. Das galt als religiöse Volkskunst, und deshalb konnten damals die Bilder aus ideologischen Gründen nicht ausgestellt werden. Ich nahm sie aus den Schachteln heraus, in denen sie Jahre lang gelegen haben, und gleich beim ersten Kontakt war es für mich eine Herzenssache. Gleich auf den ersten Blick bezaubern diese Bilder durch ihre künstlerische Ausführung, durch ausgeprägte Stilisierung, aber auch durch ihre Expressivität und Farbenfreude. Beim zweiten, dritten Blick spürt man dann, dass sie sehr viel positive Energie ausstrahlen und auch die Einfühlung zum Ausdruck bringen, mit dem ihre einstigen Besitzer diese Bilder betrachtet und ins Herz geschlossen haben."
Die Trends, die sich in der Volkskunst durchsetzten, hatten oft ihren Ursprung in den gehobenen Gesellschaftsschichten, von denen sie im volkstümlichen Milieu als Kulturmuster übernommen wurden. So war es auch bei der Hinterglasmalerei. Anfangs als Element des Herrenlebens im ländlichen Ambiente übernommen, hat sie sich diesem aber schnell angepasst und dort etwa bis Ende des 19. Jahrhunderts überlebt. Etwas länger hielt sich das Handwerk der Hinterglasmalerei in Südböhmen und im Böhmerwald am Leben, da ihre Produkte damals noch in Kroatien und Ungarn Absatz fanden. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war es damit aus. Allerdings nicht für immer! Im Laufe des 20. Jahrhunderts etablierte sich eine neue Generation von Hinterglasmalern. Für einige ist die naive Malkunst ein Hobby, für andere wiederum die Gelegenheit zum Aufbau eines Gewerbes. Als einer, der erst im fortgeschrittenen Alter zur Glasmalerei als Herzenssache fand, ist Vaclav Hrabanek zu bezeichnen.
Nach seiner Pensionierung verließ der studierte Rechtsanwalt, aus politischen Gründen allerdings zumeist nur in Arbeiterjobs geduldete Vaclav Hrabanek für immer die tschechische Hauptstadt und zog mit seiner Familie in den Böhmerwald um. In der Nähe von Hartmanice, mitten der wunderschönen Landschaft des Böhmerwaldes, kaufte er sich kurz davor eine alte verlassene Mühle.
Die Mühle habe nachweisbar schon um das Jahr 1800 bestanden, sie dürfte also bis zu 250 Jahre alt sein, erzählt Vaclav Hrabanek über sein architektonisches Kleinod in einem Filmdokument, an dem sich der Ethnograf Lubos Kafka als Drehbuchautor beteiligte. Die alte Mühle musste zum Großteil renoviert werden und Vaclav Hrabanek, der damals schon über sechzig war, hat es viel Mühe und Energie gekostet:
"Ich habe alles in ursprünglicher Gestalt gelassen. Etwas musste aber doch neu hergerichtet werden, wie zum Beispiel die Fußböden oder das Dach. Letzten Endes wurde das Gebäude in die Liste der tschechischen Kulturdenkmäler erster Kategorie eingetragen. Bei uns hat es vielen Menschen sehr gut gefallen. In einem Artikel habe ich sogar vom ´verlorenen Paradies´ gelesen."
Im "verlorenen Paradies" des Böhmerwaldes lebte Vaclav Hrabanek mit seiner Frau fast 30 Jahre lang, ohne Strom. Den Anschluss ans elektrische Netz lehnte er bewusst ab, und so musste er alle Arbeiten im und um das Haus eigenhändig oder mithilfe eines Pferdegespanns machen, was er dank enormer Vitalität auch gut meisterte. Über seine umfassenden Aktivitäten könnte man lange erzählen. Es muss die Natur des Böhmerwaldes gewesen sein, die Hrabanek so viel Lebenskraft spendete. Es war aber auch die alte Tradition der Böhmerwälder Hinterglasmalerei, die ihn inspirierte und buchstäblich infizierte. In dem unweit von seiner Mühle gelegenen Kvilda hat einst die Familie Ferderber ein bedeutendes Geschichtskapitel der regionalen Hinterglasmalerei geschrieben. Vaclav Hrabanek erzählt:
"Die hiesige Tradition der Hinterglasmalerei hat mich angesprochen. Ich wollte auch mein Haus mit den traditionellen Bildern schmücken. Deswegen wandte ich mich zunächst an bildende Künstler, die ich kannte, aber die konnten mir nicht helfen. Einmal sagte eine Bekannte zu mir, ich soll es selbst versuchen. Und so habe ich mich mithilfe von Fachliteratur rangemacht, um dahinter zu kommen. Anfangs habe ich nur für mich gemalt. So entstand die Herrgottsecke in unserem Haus. Dann habe ich meine Bilder auch verschenkt und später einige auch verkauft. Es hat sich herumgesprochen, dass ich mich der Hinterglasmalerei widme. Demzufolge suchten mich auch unbekannte Menschen auf und den meisten haben meine Bilder gefallen. Gemeldet haben sich auch verschiedene Museen."
Hrabaneks Bilder findet man heute in verschiedenen regionalen Museen: in Klatovy, Susice, Kasperske Hory, doch früher als dorthin wanderten sie in die Sammlungen des Volkskundemuseums in Prag, aber auch in Marseille. Er blieb aber bescheiden. Wichtig war für ihn auch die Freundschaft mit dem jungen Hinterglasmalereikenner Lubos Kafka:
"Er hat mich unterstützt und dadurch mein Selbstbewusstsein gestärkt. Jetzt kann ich vielleicht schon sagen, dass ich etwas kann."
Anerkennung wurde ihm aber auch seitens der Stadt Kasperske Hory entgegengebracht, in die Vaclav Hrabanek schließlich mit Blick auf sein hohes Alter umgesiedelt ist. Den Film, der über ihn gedreht wurde, konnte er aber nicht mehr sehen. Kurz nach seinem 90. Geburtstag im März 2005 ist er in Kasperske Hory gestorben. Seine auf Glas gemalten Bilder bleiben Bestandteil der alten Tradition der Hinterglasmalerei in Böhmen und Mähren. Zu finden sind sie nicht nur in Museen, sondern auch im Internet.