Bücherwürmer: Tschechen lesen am meisten unter den EU-Bürgern

Trotz Internet und Fernsehen hat das gute alte Buch in Tschechien noch längst nicht ausgedient. Dies beweist eine Studie, die die tschechische Akademie der Wissenschaften und die Nationalbibliothek in Zusammenarbeit erstellt haben. Till Janzer sprach dazu mit dem Leiter des Instituts für Bibliothekswesen der Nationalbibliothek, Vit Richter.

Vit Richter  (Foto: Anton Kaimakov)
"Die größte Freude hat uns bereitet, dass die Tschechen für europäische Maßstäbe ausgesprochen viel lesen. Nur 17 Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie kein einziges Buch innerhalb eines Jahres lesen würden."

So fasst Vit Richter das wichtigste Ergebnis der Studie zusammen, bei der 1500 tschechische Bürger über 15 Jahre befragt wurden. Zwar stammen die Vergleichswerte aus der Europäischen Union aus dem Jahr 2002, aber im Großen und Ganzen dürften sie bis heute weiterhin gültig sein. Der Unterschied ist deutlich:

"Der europäische Durchschnitt an Nicht-Lesern liegt bei 42 Prozent. Der Wert aus Deutschland entspricht dabei ungefähr eben diesem Durchschnitt. Dort haben 41 Prozent innerhalb eines Jahres kein komplettes Buch gelesen. Es gibt aber auch Länder mit noch schlechteren Werten wie Portugal mit 67 Prozent oder Belgien mit 58 Prozent. Tschechien gehört zur Gruppe der Besten, zu der auch Schweden mit nur 19 oder Finnland mit 24 Prozent Nichtlesern gehören."

Im Schnitt besitzt jeder tschechische Haushalt eine eigene Bibliothek mit über 250 Büchern, und das nicht nur bei den gebildeten Schichten, wie es in einigen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Warum aber sind die Tschechen solche Leseratten?

"Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Die Tradition des Lesens und der Bildung durch Bücher besteht bereits seit Langem. Sie ist vielleicht sogar eine Reaktion auf die Zeit der Nationalen Wiedergeburt. Aus Sicht des Bibliothekswesens gibt es noch eine weitere Begründung. Seit 1919 und bis heute gilt auf dem Staatsgebiet ein Gesetz, das allen Gemeinden zur Pflicht macht, öffentliche Bibliotheken einzurichten. Das heißt in der Tschechischen Republik gibt es bis heute ein dichtes Netz an Bibliotheken."

Aber auch die Zeit des Kommunismus hat wohl ihre Spuren hinterlassen, wie Vit Richter sagt. Damals habe es nur wenige Möglichkeiten gegeben, die Freizeit zu verbringen. Und da hätten Tschechen eben häufiger zu einem Buch gegriffen. Allerdings: Auch wenn die Freude am Lesen heute ungebrochen ist, haben andere Medien das Buch schon längst überholt. So verbringen auch die Tschechen mittlerweile die meiste Zeit vor dem Fernsehgerät sowie am Radio, und zwar jeweils 111 beziehungsweise 113 Minuten täglich. Einem guten oder auch schlechten Buch widmen sie sich hingegen nur 41 Minuten täglich. Interessant ist hier der Vergleich zu 1996, als schon einmal eine kleinere Unfrage in Tschechien veröffentlicht wurde.

"Erstaunlicherweise haben die größten Medien wie Fernsehen und Radio einen leichten Rückgang zu verzeichnen. Rasant angestiegen ist hingegen die Zeit, die im Internet verbracht wird. Sie liegt bei 85 Minuten täglich."

Die jetzige Studie, die erstmals einen europäischen Vergleich möglich macht, wird im Übrigen im November auch im Goethe-Institut in Prag vorgestellt. Denn, wie Richter sagt: Für sie habe man sich besonders von der Arbeit der Stiftung Lesen in Deutschland inspirieren lassen.