Die tschechische Presse nach 1989
Auch diese Woche begrüßen wir sie wieder zu "Im Spiegel der Medien". Für unsere heutige Ausgabe hat Daniel Satra einen Blick zurück in die jüngste Geschichte des tschechischen Journalismus geworfen. Eine Geschichte, die seit dem Jahre 1989 eine Reihe teils grundlegender Veränderungen mit sich gebracht hat.
"Nach der Samtenen Revolution haben sich die Studienmöglichkeiten geändert, ich hatte zwar erst Chemie studiert, habe dann jedoch gewechselt und Politologie und Englische Literatur an der Karlsuniversität in Prag studiert. Schon während des Studiums hatte ich ab 1993 die Möglichkeit zur Zeitung zu gehen. Damals habe ich bei der Tageszeitung 'Denní telegraf' begonnen, eine landesweite Zeitung, die heute nicht mehr existiert."
Der damals 25-jährige Petr Zavadil stand am Anfang einer journalistischen Karriere. Nebeneffekt der Arbeit bei der Zeitung: Zavadil hat nie zu Ende studiert. Vier Jahre später, 1997, wechselte er zur Lidové Noviny. Dort hatte die Chefredaktion Veränderungen vorbereitet - eine selbständige Auslandsredaktion sollte her. Der damals 29-Jährige kam gemeinsam mit seinem Chef vom 'Denní telegraf'. Zwei Jahre darauf bekam Zavadil ein hausinternes Angebot, das er nicht ausschlagen wollte: stellvertretender Chefredakteur bei der Lidové Noviny. Bis heute ist Zavadil der zweite Mann an Deck der Tageszeitung. Zehn Jahre Zeitungserfahrung in einem Land, das sich von einer postkommunistischen Tschechoslowakei hin zu einem EU-Mitglied Tschechische Republik gewandelt hat. Zavadil über die Veränderungen:
"Ich habe Kollegen, die noch jünger sind als ich, und die gleich 1990 begonnen haben bei Zeitungen zu arbeiten. Die Situation war so: Einerseits ist eine Vielzahl neuer Zeitungen entstanden, und auch die alten Zeitungen, die es zu kommunistischen Zeiten schon gab - dort musste eine Reihe von Mitarbeitern gehen. An dieser Stelle wurden junge Leute als Nachfolger benötigt. Damals entstand der moderne Journalismus in Tschechien, im Sinne eines Journalismus in demokratischen Staaten. Es gab also einen großen Bedarf an neuen Journalisten, was dazu führte, dass viele, die erst 18 oder 19 Jahre alte waren, plötzlich für Zeitungen arbeiteten."
Diejenigen, die nach der Wende gehen mussten, diejenigen also, die politisch nicht mehr tragbar waren, weil sie im kommunistischen Regime vor 1989 die Propaganda der Machthaber mitgetragen und ausgeführt hatten, waren anders als ihre kaum 20-jährigen Nachfolger immerhin zum Journalisten ausgebildet worden, berichtet Zavadil.
"Im Kommunismus gab es die journalistische Fakultät an der Prager Karlsuniversität. Und ich schätze, dass die überwiegende Mehrheit aller Journalisten, die heute älter als 50, ja sogar 40 Jahre sind, an dieser Fakultät studiert haben. Ich glaube, dass es damals auch gar nicht möglich war ohne das Studium an dieser Fakultät Journalist zu werden. Nach 1989 hingegen stellte sich die Situation als gegenteiliges Extrem dar: Jetzt war es fast vollkommen egal, was jemand studiert hatte."
Die neue Situation in den Redaktionen, die junge Mitarbeiterschaft und die mangelnde Erfahrung der neuen Generation tschechischer Medienmacher hatte eine Reihe von Folgen: Die Frischzellen-Kur im tschechischen Zeitungswesen belebte das Medium Zeitung, war aber nicht immer den Herausforderungen des Tagesgeschäfts gewachsen - das journalistische Handwerkszeug fehlte, und das war oft zu spüren. Petr Zavadil sieht die Nachteile der teils radikalen Umgestaltung der Presselandschaft:
"Ein Nachteil war sicher der Mangel an Erfahrung, keiner hatte Erfahrung. Den jungen Redakteuren fehlten die politische Erfahrung oder die Erfahrung mit den Funktionen politischer Institutionen oder die Funktionen einer demokratischen Gesellschaft. Das mussten eben alle erstmal lernen. Die Jungen hatten damit natürlich weniger Probleme, aber zugleich hatten sie auch den Hang hin zu bestimmten Extremen. Das heißt, dass die Presse zu Beginn der 90er Jahre sehr Partei ergreifend war, also: Alle unterstützten den damaligen Premierminister Klaus und seine Reformen. Und wer Klaus nicht unterstützt, ist ein Kommunist - wenn ich das mal so pointiert ausdrücke. Ein zweiter Nachteil damals war: Auch aus Mangel an Erfahrungen haben die meisten mitgeschrieben, was ihnen gesagt wurde und haben es dann radikal oder weniger radikal in ihren Artikeln kritisiert - aber kaum einer war in der Lage einen analytischen Zugang zum Thema herzustellen, mit seinen eigenen Erfahrungen das Thema zu konfrontieren. Denn die jungen Redakteure hatten ja nicht einmal Lebenserfahrungen."
Die Lehrjahre des modernen tschechischen Zeitungsjournalismus hatten jedoch nicht allein Nachteile. Die neue Situation brachte auch einen neuen Typ des tschechischen Journalisten hervor - nicht allein Vermelden, was gesagt wird oder was passiert, sondern mitunter hartnäckig bissige Recherche, kamen nun mit auf die journalistische Agenda.
"Ein großer Vorteil der neuen Situation war: Es erschienen eine Reihe von Journalisten, die keine Angst hatten, die auch flexibel waren, das heißt, sie konnten auch auf die Veränderungen reagieren, zu denen es in den Zeitungen kam. Denn zu Beginn der 90er Jahre bestanden Zeitungen meist aus kurzen Artikeln, die lediglich meldeten, was welcher Politiker wo gesagt hat. Zeitungen, wie es sie heute in Tschechien gibt, also Zeitungen, die meiner Meinung nach vollkommen vergleichbar sind mit denen in anderen Staaten, bestehen aus weit mehr als aus Agenturmeldungen, die nur Politikeräußerungen plus ideologische Kommentare zur Verfügung stellen. Die heutigen Zeitungen beinhalten Analysen, Reportagen, Hintergrundberichte, Interviews. Das gab's zu Beginn nicht."
Auch die Lidové Noviny hat das Wechselbad des tschechischen Nachwende-Journalismus hinter sich gebracht, meint ihr stellvertretender Chef Zavadil. Als die Tageszeitung noch in den Kinderschuhen steckte, war sie feuilletonistisch-literarisch, gab sich intellektuell. Es folgte die Phase des Agentur-Journalismus, der vermeldet, was Nachrichtenagenturen anbieten, meist in kurzen knappen Texten, die kaum über Zeile 12 hinausreichen. Heute liegt der Schwerpunkt auf der Analyse, sagt Zavadil.
Petr Zavadil ist selbstbewusst, gewachsen mit den Jahren der Zeitungs- und Lebenserfahrung. Tschechien hat sich in den fast 15 Jahren seit der politischen Wende von 1989 rasant verändert, die Zeitungen haben offenbar den Anschluss an die Entwicklung wieder herstellen können. Selbst dem Mutterblatt in Düsseldorf, der Rheinischen Post, zu dessen Verlag die Lidové Noviny gehört, könne man heute etwas beibringen, meint Zavadil:
"Denn bei uns sind die Journalisten viel elastischer als beispielsweise in Deutschland. Deutscher Journalismus, und insbesondere die Rheinische Post, ist einfach sehr viel konservativer, als die Zeitungen in der Tschechischen Republik."