Eine tschechisch-deutsche Familie aus Prag und ihr Corona-Jahr

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Der Alltag musste nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor einem Jahr in vielen Familien neu organisiert werden. So auch in der gemischten tschechisch-deutschen Familie Kirschner aus Prag. Eigentlich gehört sie aber zu den Glücklichen: Die Pandemie hat ihre Arbeit und Existenz nicht bedroht, und so sind die Schulschließungen und die Einschränkungen der sozialen Kontakte die größte Herausforderung für Kinder und Eltern. Thomas Kirschner im Gespräch.

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Vor genau einem Jahr wurde der erste Corona-Fall in Tschechien bestätigt. Wie hat Corona Ihr Leben und das Leben Ihrer Familie verändert?

„Wir haben das Glück, dass wir von Corona eigentlich nicht direkt betroffen sind. In der ganzen Familie hatte Gottseidank noch niemand Covid-19. Und unser Familieneinkommen ist auch nicht betroffen. Wir sind also in einer unglaublich privilegierten Lage im Vergleich zu vielen Menschen nicht nur hier in Tschechien, sondern überall in Europa. Insofern erleben wir dies ganz anders und entspannter als viele weitere, wofür ich sehr dankbar bin. Aber natürlich ist das Leben anders. Schon dadurch, dass unsere drei Kinder im schulpflichtigen Alter nicht in die Schule gehen. Auch hier sind wir in einer sehr komfortablen Situation, weil meine Frau von Zuhause aus arbeitet. Das heißt, wir müssen nichts umorganisieren. Aber natürlich bleibt neben dem mit Home-Schooling von drei heranwachsenden Kindern für die eigene Arbeit nicht so viel Zeit übrig. Außerdem haben wir das Glück, dass wir – wie viele tschechische Familien auch – ein kleines Wochenendhaus haben. Bevor der Lockdown im Frühjahr begonnen hat, haben wir uns entschieden, dort hinzuziehen. Es liegt in der Reichweite von Prag. Die Kinder haben dort genug Platz, um sich zurückzuziehen und am Schulunterricht per Computer teilnehmen zu können. So hat uns Corona im letzten Jahr sogar eigentlich einen Familien-Frühling auf der ‚chalupa‘ geschenkt, wenn man etwas Positives sagen will.“

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Sie gehören zu den Glücklichen, bei denen die Pandemie die Arbeit und ihre Existenz nicht zerstört hat. Was betrachten Sie als die schwierigste Herausforderung für Sie persönlich?

„Wir haben das große Glück, dass wir vor keiner wirklichen Herausforderung gestanden haben. Wir haben drei Kinder, die zu Hause bleiben müssen. In diesem Schuljahr haben sie schon mehr Unterrichtszeit zu Hause verbracht als in der Schule. Wir müssen den Schulunterricht organisieren, alle müssen ihre Internetverbindung haben und ihre Geräte, um auf verschiedensten Plattformen an die Hausaufgaben zu kommen und diese dann abgeben zu können. Das klappt nur mit einer großen Unterstützung und ist teilweise auch mühsam. Aber im Vergleich mit anderen Menschen ist das natürlich Spaß.“

Sie kommen aus Deutschland, Ihre Eltern leben dort. Die Grenze ist aber derzeit geschlossen. Welche Möglichkeiten haben Sie, mit ihnen in Kontakt zu bleiben?

Illustrationsfoto: Gerd Altmann,  Pixabay / CC0

„Meine Eltern leben beide in einem Pflegeheim in der Nähe von München. Das ist eine Sache, die natürlich traurig ist, weil die Besuche erschwert sind. Im Dezember hatte meine Mutter ihren 80. Geburtstag. Ich hatte einen Tag vorher einen PCR-Test gemacht, um sie besuchen zu können. Und ganz kurzfristig hat sich das Altersheim entschlossen, keine Besuche mehr zuzulassen. Ich habe meine Eltern nun seit dem Herbst nicht mehr gesehen. Das ist eine Zeit, die man nicht aufschieben oder später nachholen kann, das ist schon traurig. Wir telefonieren, und wenn mein Bruder bei ihnen zu Besuch ist, sehen wir uns in Video-Telefonaten.“

Wie würden Sie die Corona-Lage und die Bekämpfung in Tschechien und in Deutschland vergleichen? Warum ist Tschechien Ihrer Meinung nach so schwer betroffen?

14-Tage-Benachrichtigungsrate pro 100 000 Einwohner,  Wochen 06-07  (2021). Quelle: Archiv des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten

„Wenn man auf die Europa-Karte der Inzidenzen schaut, dann sieht man auch auf der blinden Karte sehr gut, wo die tschechischen Grenzen verlaufen. Ganz Europa ist hellorange oder gelb, und Tschechien dunkelrot. Man sieht, dass es hier schlechter läuft als in anderen Teilen Europas. Ich fürchte, vieles liegt an der Regierung, die wirklich keine glückliche Figur macht. Sie erweckt nicht den Eindruck, überhaupt einen Plan zu haben, wie man das Virus effektiv bekämpfen könnte. Dadurch hat sie auch das Vertrauen der Menschen verspielt. Wenn man auf die Diskussion im Lande schaut, in Deutschland und in Tschechien, dann ist sie ungefähr ähnlich. Es gibt die gleichen Streitpunkte, die gleichen Themen – wird genug geimpft, soll der Lockdown gelockert werden, sind härtere Maßnahmen nötig? Es wird mit den gleichen Argumenten über die gleichen Themen gestritten, mit dem einzigen Unterschied, dass Tschechien etwa zehnmal stärker von Corona betroffen ist als Deutschland.“

Jetzt wurden die Bedingungen hierzulande wieder verschärft. Finden Sie es richtig. Glauben Sie, dass dies zur Verbesserung führen kann? Oder was macht Ihnen Hoffnung?

Foto: ČTK / Miroslav Chaloupka

„Die Hoffnung liegt, glaube ich, nur im Impfen. Hinter allen Maßnahmen sehe ich die flehentliche Bitte: Bleibt zu Hause, habt keine Kontakte! Die Politiker haben die schwierige Aufgabe, juristisch durchsetzbare Maßnahmen zu treffen, was natürlich immer und überall hakt. Ein großes Problem hier in Tschechien ist, dass die Regierung sich überhaupt nicht an die Industrie wagt. Die Leute dürfen nicht mehr außerhalb ihrer Gemeinde im Wald joggen gehen. Sie sollen aber in die Fabrik gehen, wo sie Dutzende oder Hunderte Kollegen treffen können. An dem Punkt traut sich die Regierung einfach nicht anzusetzen. Sei es mit massiven Schließungen oder wenigstens mit verpflichtenden Tests. Nicht mal das ist in den nächsten Tagen vorgesehen. Auf diese Weise wird es wahrscheinlich schwierig, das Virus erfolgreich zu bekämpfen. Deswegen ist die Impfung eigentlich die einzige Hoffnung.“