Einladung ins Mittelalter/Freilichtmuseum Housuv mlyn in Tabor

Mittelalterliche Kneipe

Die südböhmische Stadt Tabor ist durch ihre hussitische Tradition bekannt geworden, denn von den Hussiten wurde Tabor auch 1420 gegründet. Wie man zu den Zeiten der Hussiten lebte, kann man seit einigen Jahren in einem Freilichtmuseum in Tabor, das im Areal von Housuv mlyn - der Housa-Mühle errichtet wurde, am eigenen Leib erfahren. In das mittelalterliche Milieu laden Sie Martina Schneibergova und Sebastian Kraft im folgenden "Reiseland Tschechien" ein.

Housuv mlyn
"Konstanz 1995" oder genauer gesagt die "Reise auf den Spuren von Jan Hus nach Konstanz" war eines der Projekte, mit denen die hussitische Tradition nach der Wende von 1989 in Tabor ohne ideologische Verdrehungen wieder belebt wurde. (Denn die Hussitenbewegung wurde vom kommunistischen Regime ideologisch missbraucht und als ein - im kommunistischen Vokabular gesagt "Proletarieraufstand" immer hervorgehoben.) Organisiert wurde die einige Wochen lange Wanderung von der Künstleragentur A.R.G.O.. Die anlässlich des 580. Todestags von Kirchenreformator Jan Hus initiierte Reise wurde damals als die beste historische Veranstaltung des Jahres in Tschechien und in Deutschland ausgezeichnet. Petr Nusek, der Chef von A.R.G.O., erinnert sich daran, dass zur selben Zeit wie die Reise nach Konstanz auch das Projekt von Housuv mlyn (der Housa-Mühle) als ein Freilichtmuseum der mittelalterlichen Lebensweise und des Hussitismus entstand. Die erwähnte Mühle befindet sich unweit des Stadtzentrums von Tabor am Rande von Holeckovy sady (Holecek-Park).

In der ehemaligen Mühle begann das Team um Petr Nusek in den neunziger Jahren das so genannte "Areal der Kultur und Geschichte" einzurichten. Nusek zufolge geht es nicht nur darum, dem Gebäude allmählich ein mittelalterliches Aussehen zu verleihen:

"Es finden da auch verschiedene Festivals statt - z. B. die so genannten zweiwöchigen ´Hussitischen Tage´, die im Frühjahr für Schulen veranstaltet werden. Im Sommer spielt sich hier das Festival des Straßentheaters ab, im August wird hier die Eroberung der Stadt Tabor durch die Schweden nachgestellt. Im Rahmen der historischen Taborer Treffen werden da Sonderprogramme angeboten. Von der europäischen Schule für Kampfkünste, die Magisterium heißt, werden hier im November sowie im Frühjahr Fechterkurse organisiert."

Das Team von Housuv mlyn beteiligt sich auch an der Gestaltung von Weihnachtsmärkten, Faschingsfesten und anderen Stadtfesten. Housuv mlyn wird während des Jahres außerdem zum Schauplatz verschiedener Musikfestivals. In diesem Jahr wurde für die Öffentlichkeit eine mittelalterliche Kneipe eingerichtet, die am Freitag und Samstag ab 19 Uhr und am Sonntag ab 15 Uhr geöffnet ist. Man kann hier die Hussiten an eigenem Leib erleben, sagt Petr Nusek. Was kann man sich darunter vorstellen?

Petr Nusek
"Stellen Sie sich nicht vor, dass Sie ein übliches Restaurant betreten, wo Sie mit allerhöchster Höflichkeit und Demut bedient werden. In der Kneipe begegnen Sie einer etwas rauen und feiernden hussitischen Gesellschaft, die Sie dazu zwingen wird, die Schleuder und den Bogen auszuprobieren, einen hussitischen Choral singen zu lernen und eventuell auch die Bedienung über ihre Pflichten zu belehren. Für die Kinder ist das Programm etwas gemäßigt. Unsere Vorgehensweise, die an Monty Pythons Haltung zur Geschichte erinnert, brachte schon mehrere Kinder sowie Erwachsene dazu, dass sie begannen, sich mit der Geschichte von Tabor mehr zu beschäftigen."

Auf dem Marktplatz in Tabor befindet sich das offizielle Hussitische Museum, ein lustiges Pendant dazu stellt das in Housuv mlyn entstehende ´Museum für den hussitischen Kitsch´ dar, in dem man z. B. die Fliegenklappe des Heerführers Jan Zizka bewundern kann. In der Rüstkammer kann man nicht die üblichen historischen Waffen besichtigen wie auf vielen Burgen oder Schlössern, wie Petr Nusek beschreibt:

"Es sind alles Waffen, die zusammen mit den Leuten von A.R.G.O. in irgendeinem Film mitspielten - beispielsweise in The Mists of Avalon (Nebel von Avalon), in Tristan und Isolde, in Blade 2 und vielen anderen. Es handelt sich um Requisiten aus allen möglichen Epochen - es gibt hier z. B. Waffen aus der Zeit der Gladiatoren, der Kelten, der Asyrier und der Mongolen. Es gibt hier Ausrüstungen der europäischen Ritter sowohl aus dem 14., als auch aus dem 16. Jahrhundert. Man findet hier Degen, Schwerte, Beile - wirklich alles, was z. B. ein Chef der Waffenschmiede bei den Dreharbeiten brauchen kann. Wir haben eine Waffenschmiedwerkstatt, die von einem sehr tüchtigen Waffenschmied und Zeugmeister Petr Theimer geleitet wird."

Das Areal von Housuv mlyn wird nach Nuseks Worten oft von Filmemachern genutzt. Das Team, das sich an den Projekten im Freilichtmuseum beteiligt, besteht aus jungen Menschen, die sich für Geschichte begeistern können. Unter ihnen sind sowohl so genannte Profis, als auch viele, für die die Tätigkeit in Housuv mlyn nur ein Hobby ist. Zu den zuerst Genannten gehören meistens Mitarbeiter der Künstleragentur A.R.G.O.. Ihr Chef ist weder ein gebürtiger Taborer noch ein langjähriger Hussitenfan, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte:

"Ich habe nie die Hussiten irgendwie vergöttert. Erst als ich nach Tabor kam, begann ich mich für das Thema mehr zu interessieren. Denn wie von jeder kontroversen historischen Etappe kann man auch von der hussitischen Epoche etwas lernen."

Neben Veranstaltungen, die in der mittelalterlichen Kneipe an Wochenenden für die Öffentlichkeit regelmäßig vorbereitet werden, bietet das Team von Petr Nusek auch anderes an:

"Es handelt sich um Sonderveranstaltungen, die auf Bestellung vorbereitet werden. Diese werden z. B. von verschiedenen Firmen bestellt. Dabei handelt es sich um historische Feste aus allen möglichen Zeitepochen. Wir können solche Feierlichkeiten aus den weit entfernten Zeiten der Megalith-Kultur, aus der Antike sowie aus dem Mittelalter und der Neuzeit bzw. Science-Fiction-Projekte organisieren. Uns macht es wahnsinnig Spaß, denn wir spielen dabei. Es gelingt uns oft, auch die Klienten mit zu begeistern, die die Veranstaltung bestellt haben. Das ist dann für uns ein großer Lohn, wenn so etwas gelingt."

Petr Nusek zufolge wollen seine Mitarbeiter von der Vereinigung von Housuv mlyn sowie von der Agentur A.R.G.O. die Besucher nicht nur belehren, sondern vor allem auch unterhalten. In den letzten Jahren verzichten sie auf groß angelegte Schlachtvorführungen:

Folterkammer
"Wir haben hier bereits eine Serie von so zu sagen echten Eroberungen der Stadt Tabor durch die Rozmberks vorgeführt. Jetzt haben wir es aufgegeben, denn republikweit finden sehr viele Vorführungen von verschiedenen Schlachten statt. Die Qualität vieler dieser Vorstellungen ist, wenn ich es sehr anständig sagte, widerspruchsvoll. Aus diesem Grund ersetzten wir die Vorführungen durch eine Art Happenings. Wenn wir jetzt beispielsweise während der Taborer Treffen die so genannte Schlacht um Tabor organisieren, kämpfen hier die Leute mit Stöcken aus Schaumstoff oder begießen sich höchstens mit Wasser. Ich meine, dass es viel lustiger ist als irgendwelche misslungene Darstellungen von Schlachten."

Der Aufmerksamkeit der Besucher von Housuv mlyn kann eine seltsame Einrichtung nicht entgehen, die über dem Bach platziert ist und an eine riesengroße Schleuder erinnert. Petr Nusek dazu:

Balestra
"Das hier ist eine ´balestra´ - oder wir nennen es auch Schleuder oder eher eine Erfrischungseinrichtung. Es handelt sich um eine vergrößerte Armbrust, die vier Mal fünf Meter groß ist. Angeblich wurde diese Einrichtung von Leonardo da Vinci konstruiert, der aus Waffen, die zum Massakrieren von Menschen dienten auch Instrumente herstellte, die der Unterhaltung dienten. Dies ist eben ein Beispiel einer solchen Erfindung. Aus einer Waffe wurde eine Einrichtung, mit der man Menschen ins Wasser schleudern kann."

Foto: Autorin


Mehr über das Programm in Housuv mlyn erfahren Sie unter: www.agentura-argo.cz.

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