Elf-Stunden-Rede: Opposition blockiert Debatte zur Briefwahl im tschechischen Abgeordnetenhaus
Die Diskussion um die Briefwahl für im Ausland lebende Tschechen hat im Parlament absurde Züge angenommen. Die Opposition blockierte am Donnerstag erneut die Verhandlungen im Prager Abgeordnetenhaus mit Filibuster-Taktik.
Tomio Okamura, der Vorsitzende der Rechtsaußenpartei „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD), sorgte mit seinem Auftritt für besonders viel Aufsehen. Der Politiker sprach zehn Stunden und 44 Minuten ohne Unterbrechung. Der Saal war zeitweise nahezu leer, die meisten Abgeordneten verbrachten den Sitzungstag in ihren Büros. Okamura hatte bereits in der Vergangenheit ähnliche Filibuster-Auftritte gehabt. So sprach er im Februar vergangenen Jahres über sieben Stunden lang. Damals ging es um die geplante Rentenanpassung.
Nun stand also die Debatte über die Briefwahl für im Ausland lebende Tschechen auf dem Plan. Okamura äußerte sich wenig zum Thema. Seine Rede bestand größtenteils aus historischen Ausführungen über die Demokratie unter dem ersten tschechoslowakischen Präsidenten, Tomáš Garrigue Masaryk. Der Rechtsaußen-Politiker las dabei aus einer wissenschaftlichen Publikation vor. Nach mehreren Stunden ließ er verlautbaren:
„Ich bin noch nicht einmal in der Hälfte. Scheinbar rede ich langsamer, als ich dachte. Ich muss noch nicht einmal aufs WC.“
In einigen Passagen machte Okamura dann doch Anmerkungen zum Thema. Dabei wetterte er gegen die Arbeit der Regierung und machte auch vor gröbstem Vokabular nicht halt:
„Wenn ich sehe, was Sie hier veranstalten und wie Ihre Vorstellung von Demokratie aussieht – das ist das Grauen. Sie sind eine Bedrohung für die Demokratie. Das zeigt auch der Gesetzesvorschlag zur Briefwahl. Sie schikanieren die Leute, die eine andere Meinung haben. Ich habe diese Zeit zwar nicht erlebt, aber ich stelle mir vor, dass genau so auch Hitler gehandelt hat. Wirklich. Das ist doch nicht normal. So müssen die 1930er Jahre in Deutschland gewesen sein.“
Okamuras langer Auftritt war möglich, da die Redezeit im tschechischen Abgeordnetenhaus unter anderem für Vorsitzende einer im Parlament vertretenen Partei nicht begrenzt ist. Von dem gleichen Recht machte bereits am Mittwoch Andrej Babiš, Vorsitzender der zweiten und größten Oppositionspartei, Ano, Gebrauch. Er sprach über drei Stunden lang und polarisierte unter anderem mit Aussagen über die derzeitige Regierung Österreichs.
Im Hinblick auf Okamuras Darbietung äußerten sich viele Koalitionsvertreter am Donnerstag kritisch. Die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses etwa, Markéta Pekarová Adamová von der Regierungspartei Top 09, sagte dem Tschechischen Rundfunk:
„Dass wir in dieser Woche und vielleicht noch in der nächsten diskutieren, ist das Ergebnis der Auftritte der Oppositionspolitiker. Sie widersprechen sich damit selbst. Denn sie behaupten ja, dass es wichtigere Themen gebe, denen wir uns widmen sollten.“
Mit der Novelle soll Tschechen im Ausland die Briefwahl ermöglicht werden. Denn diese Staatsangehörigen können bisher nur in den jeweiligen Auslandsvertretungen ihre Stimme abgeben. Dies ist aber oftmals mit weiten Reisen verbunden – etwa in den USA, wo nur in Washington, Chicago, New York und Los Angeles gewählt werden kann. Pekarová Adamová sagte zu der geplanten Änderung:
„Unsere Bürger, die sich während der Wahlen etwa wegen ihres Studiums oder ihrer Arbeit im Ausland aufhalten, haben das Recht, ihre Stimme abzugeben. Dieses Recht auszuüben, ist für sie aber sehr kompliziert, und das wollen wir ändern.“
Der Regierung zufolge könnten um die 500.000 Tschechen im Ausland von der Regelung Gebrauch machen. Die Opposition ist jedoch gegen die Novelle. Eine geheime Wahl sei im Ausland nicht garantiert, heißt es unter anderem. Und Andrej Babiš, dessen Partei Ano unter den Auslandstschechen traditionell eher wenige Wähler hat, wurde am Mittwoch auch noch konkreter und wetterte:
„Freie Wahlen sind ein Fest der Demokratie. Diese stolzen Tschechen, die im Ausland leben, sollten persönlich in unser Land kommen, um ihre Stimme abzugeben. Sie sollten nicht an der Botschaft wählen, wo dies problemlos möglich ist, sondern nach Hause kommen und hier, von Stolz erfüllt, ihren Umschlag einwerfen.“
Am Freitagmorgen wurde die Sitzung zur Briefwahl wieder aufgenommen, als erster stand der Ano-Politiker Radek Vondráček hinter dem Rednerpult. Fast 70 Abgeordnete, überwiegend aus den Reihen der Opposition, hatten allerdings noch weitere Wortmeldungen angemeldet. Aller Voraussicht nach wird die Sitzung deshalb am Dienstag fortgesetzt.
Dabei handelt es sich erst um die erste Lesung des Gesetzestextes. Bis die Novelle wirklich eingeführt werden könnte, dürfte es also noch eine Weile dauern. Der Presseagentur ČTK zufolge erwägt die Regierungskoalition derzeit, die Rededauer zu beschränken für alle Abgeordneten, die nicht Partei- oder Fraktionschefs oder zum Beispiel stellvertretende Vorsitzende der unteren Parlamentskammer sind. Zu diesem Schritt könnte es in der nächsten Woche kommen.
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