Es war einmal ein König… – Heiratspolitik im mittelalterlichen Böhmen

Es war einmal ein König und der hatte drei Söhne… oder drei Töchter…, je nachdem. So oder ähnlich beginnen viele Märchen. Nicht selten sind es Geschichten von aristokratischen Sprösslingen, die sich der Braut- beziehungsweise Bräutigamwahl ihrer Eltern widersetzen. Ein Prinz heiratet ein armes Mädchen, oder ein armer Junge nimmt eine Prinzessin zur Frau – im Märchen ist dies möglich. Im Mittelalter, in dem die Wurzeln vieler heutiger Märchen zu suchen sind, war es um das Heiraten in der adligen Oberschicht anders bestellt. Und das auch in Böhmen.

Foto: Verlag Argo
Einen Einblick in die Welt adliger Heirat vermittelt das Buch „Feierlichkeiten, Zeremonien und Rituale im Spätmittelalter“ („Slavnosti, ceremonie a rituály v pozdním středověku“), das kürzlich hierzulande erschienen ist. Renommierte tschechische Historiker zeichnen anhand von historischen Quellen ein umfassendes Bild von festlichen Veranstaltungen im Böhmen des 14. und 15. Jahrhunderts – und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten. Ihr Hauptfokus richtet sich jedoch auf die Gepflogenheiten am Hof. Für die Königskrönungen, Verlobungen, Eheschließungen und vieles mehr kristallisierten sich im Lauf der Jahrhunderte verbindliche Normen und Vorschriften heraus. In dem rund 500 Seiten dicken Buch werden die Traditionen des böhmischen Hochadels mit jenen ihrer deutschen, französischen, englischen, polnischen und ungarischen Standeskollegen verglichen. Besonders der böhmische König und römische Kaiser Karl IV. legte Wert auf die Zeremonien und Rituale am Prager Hof. Vor seiner Regierungszeit war das Interesse dafür in den Böhmischen Ländern nicht so groß gewesen.

Martin Nodl  (Foto: Archiv der Tschechischen Akademie der Wissenschaften)
Laut dem Historiker und Herausgeber des Buches Martin Nodl hielt sich im europäischen Adel bis ins Spätmittelalter die Vorstellung, dass Eheschließungen eine ausschließlich weltliche Angelegenheit seien. Doch weltliche und kirchliche Macht lieferten sich ein Tauziehen um die Zuständigkeit für Ehe und Familie, so Nodl. Dies habe die Lage verkompliziert. Die Kirche wollte größeren Einfluss nehmen auf die Gesellschaft und drängte zunehmend darauf, sich auch am Akt der Eheschließung zu beteiligen. Auf dem vierten Laterankonzil im Jahre 1213 wurden hierfür kirchliche Vorgaben als rechtsverbindlich beschlossen. Das kam aber beim Adel nicht gut an. Martin Nodl:

„Die Adligen bemühten sich, die Anordnungen nicht einzuhalten oder für sich Ausnahmen zu erreichen. Ihrer Vorstellung nach sollten die Geistlichen keine Rolle beim Ehegelöbnis spielen. Bekannt sind Berichte von Beginn des 13. Jahrhunderts über königliche Eheschließungen ohne Beteiligung der Kirche. In dieser Form fand zum Beispiel die erste Hochzeit von Kaiser Otto von Braunschweig statt.“

Zuneigung oder Liebe war für die Ehe nicht gefragt. Vielmehr suchten Eltern, oder genauer der Vater in der Regel die Braut oder den Bräutigam aus.

„Dem Kirchenrecht zufolge wurden aber alle Ehen, die vor dem siebten Lebensjahr der Kinder geschlossen wurden, rückwirkend für ungültig erklärt. Sie mussten neu bestätigt werden, wenn die angehenden Ehepartner das Heiratsalter erreichten. Beim männlichen Geschlecht geschah dies mit 14 Jahren und beim weiblichen mit 12 Jahren. Weil es des Öfteren auch zur Auflösung einer Ehe kam, machte die Kirche im 14. Jahrhundert Eheverträge zur Pflicht. In diesen wurden unter anderem finanzielle Sanktionen für den Fall verankert, dass es letztlich doch nicht zu der Ehe kam.“

„Geheimehen“ bis in die frühe Neuzeit

Mit 14 Jahren wurde Johann von Luxemburg mit der 18-jährigen Přemyslidenprinzessin Elisabeth verheiratet
In der aristokratischen Welt diente die Hochzeit vor allem wirtschaftlichen und politischen Interessen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Vorgehensweise im Haus der Luxemburger, die im 14. Jahrhundert mit Johann von Luxemburg den böhmischen Thron bestiegen. Mit 14 Jahren wurde er mit der 18-jährigen Přemyslidenprinzessin Elisabeth verheiratet. Ursprünglich hatte Johanns Vater aber einen anderen Plan gehabt:

„Zuvor wollte Kaiser Heinrich VII. seinen Bruder mit Elisabeth verheiraten, er war 30 Jahre älter als sie. Dass die Ehe letztlich nicht zustande kam, ist wahrscheinlich auf die ablehnende Haltung der böhmischen Seite zurückzuführen. Im Mittelalter war es nie sicher, wer wen heiratet.“

Konzil von Trient
Obwohl sich die katholische Kirche ab Beginn des 13. Jahrhunderts sehr um Einfluss bei den Eheschließungen bemühte, um dadurch ihre Position in der Gesellschaft zu festigen, wurden weit bis ins 15. Jahrhundert immer noch Ehen ohne Anwesenheit eines Priesters abgeschlossen, zum Teil nur im Beisein von Zeugen. Die Kirche bezeichnete diese Lebensbünde als „Geheimehen“, doch bis zum Konzil von Trient wurden sie von ihr als legitim anerkannt. Martin Nodl:

„Es ist bekannt, dass vor allem die ländliche und die städtische Laiengesellschaft weitgehend resistent gegen die aufkommende Dominanz der Kirche waren. Ein Großteil der Männer und Frauen gaben sich das Ehegelöbnis ohne Anwesenheit einer dritten Person, also auf weltliche Art. Das Ritual mit dem Priester, der die Hände der Verlobten mit einem Band verbindet und seine Hände auf deren Köpfe legt, initiierte die katholische Kirche erst nach dem Konzil von Trient im 17. und 18. Jahrhundert.“

Peter von Aspelt  (Foto: Bhuck,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
In einer der Thesen, die im Konzil von Trient beschlossen wurden, heißt es: Die pastorale Betreuung und Organisation von christlichen Ehen sei Aufgabe der Kirche. Es gab aber auch königliche Ehen, die im 14. Jahrhundert nicht in der Kirche, sondern vor ihren Toren abgeschlossen wurden.

„Zum Beispiel die Vermählung Johanns von Luxemburg mit der böhmischen Prinzessin Elisabeth in Speyer. Ihrem Ehegelöbnis wohnte zwar der Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt bei, allerdings nicht in der Kirche selbst. Das Ehepaar stand vor dem Gebäude. Dies galt als Ausdruck anhaltenden Willens, der Kirche die Aufsicht über die Institution Ehe zu verweigern und gewissermaßen einen weltlichen Charakter der Eheschließung zu wahren. Diese Prozedur vor dem Kirchentor wurde allerdings als Eheschließung ‚in faciae ecclesiae‘, also ‚vor Augen der Kirche‘, akzeptiert.“

Eifriger Kronensammler Karl IV.

Karl IV.  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Machtpolitische Ziele der Herrscher waren allzu oft ausschlaggebend für die Lebensbünde. Auch Johann von Luxemburg betrieb in diesem Sinn eine Heiratspolitik, doch noch geschickter und zielbewusster verhielt sich sein Sohn Karl IV. Er scheute auch nicht das hohe Risiko, einen Ehevertrag für sein eigenes Kind noch vor dessen Geburt auszuhandeln. Die drohende Geldbuße im Fall, dass die Ehe nicht zustände käme, belief sich auf die damals enorme Summe von 100.000 Gulden. Der deutsche Historiker René Küpper vom Collegium Carolinum bezeichnet den römisch-deutschen Kaiser nicht nur als, Zitat: „einen der glanzvollsten spätmittelalterlichen Herrscher“, sondern auch als einen „eifrigen Kronensammler“. Martin Nodl:

Wenzel II.
„Karl der IV. war ein Meister auf dem Gebiet der Ehepolitik, auf dem er eben an seinen Vater Johann von Luxemburg anknüpfen konnte. Er hatte gewissermaßen auch Glück, seine Ehen jeweils zu einem günstigen Zeitpunkt abzuschließen und dadurch die bestehenden Koalitionen in der Außenpolitik in erwünschter Weise zu beeinflussen. Dies brachte ihm in der Regel auch materiellen Profit. Als König konnte er zudem über die Ehen seiner Kinder, seines Bruders und dessen Kinder entscheiden. Karls Position unterschied sich wesentlich von der seines Großvaters Wenzel II. und seines Urgroßvaters Ottokar II. aus dem Geschlecht der Přemysliden. Sie verfügten nicht über so breite Befugnisse wie er. In der Folge waren sie auch nicht in der Lage, Ende des 13. Jahrhunderts eine derart starke Koalition gegen die Habsburger zu bilden, wie dies Karl mittels seiner Nachkommen gelang.“

Hochzeit beendet böhmisch-polnischen Konflikt

Blanca Margarete von Valois  (Foto: Packare,  Wikimedia CC0 1.0)
Karl der IV. hatte elf Kinder, von denen aber fünf nicht das Erwachsenenalter erreichten. Auf gut eingefädelte Schachzüge lässt zudem die Bilanz seiner eigenen vier Ehen schließen. Die erste hatte sein Vater Johann von Luxemburg mit Blanca Margarete von Valois arrangiert. Karl und Bianca waren noch Kinder im Alter von sieben Jahren, als 1323 ihre Vermählung in Paris stattfand. Gleich danach wurden sie räumlich getrennt und zu ihren Erziehern geschickt. Erst elf Jahre später ließ Karl IV. seine Gemahlin mit ihrem Hof nach Prag kommen.

Burg Stahleck  (Foto: Sir Gawain,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Nach Biancas Tod heiratete der König 1349 die 20-jährige Anna von der Pfalz aus dem Adelsgeschlecht der Wittelsbacher. Ihre Hochzeit fand auf der Burg Stahleck in der Nähe von Koblenz statt. Die Ehe war von kurzer Dauer. Innerhalb von zwei Jahren starben sowohl Anna als auch ihr gemeinsamer Sohn und damit Karls Thronfolger Wenzel. Der verwitwete König nahm mit 37 Jahren dann die 13-jährige Anna von Schweidnitz aus dem Geschlecht der polnischen Piasten zur Frau. Dabei war sie mit elf Jahren schon Karls damals elfmonatigem Sohn Wenzel als Braut zugesprochen worden. Der Hochzeitsort war Ofen, ein Stadtteil der heutigen ungarischen Hauptstadt Budapest. Seine vierte Ehe ging Karl zehn Jahre später mit der 16-jährigen Elisabeth von Pommern ein. Die Hochzeit fand 1363 in Krakau statt. Durch die letzte Heirat gelang es dem nun schon römischen Kaiser unter anderem, die Koalition des polnischen Königs Kasimir des Großen und des ungarischen Königs Ludwig I. zu zerstören. Elisabeth von Pommern war Kasimirs Enkelin. Damit war der alte böhmisch-polnische Konflikt um schlesisches Gebiet vorerst beigelegt.