Finanzierungskrise im tschechischen Gesundheitswesen
Die tschechische Medizin genießt international einen guten Ruf, ist aber auch extrem kostpielig: Das hiesige Gesundheitssystem steckt bis über beide Ohren in Schulden, in den vergangenen zwölf Jahren haben sich die Ausgaben mehr als verdreifacht. In keinem anderen Ressort hat es in den vergangenen zwei Jahren so häufig Ministerwechsel gegeben wie hier, allein im vergangenen Jahr versuchten drei verschiedene Minister und Ministerinnen, die zunehmende Verschuldung zu stoppen - ohne Erfolg. Um eine Lösung der Situation herbeizuführen, hat Ministerpräsident Jiri Paroubek in den vergangenen Wochen zahlreiche Krisensitzungen einberufen. Über die verschiedenen Positionen und Lösungsmodelle, die dabei vorgestellt wurden und über die Hintergründe der gegenwärtigen Finanzkrise im Gesundheitswesen erfahren Sie mehr von Silja Schultheis.
Gesundheitsministerin Milada Emmerova hat daher von der Regierung für die nächsten zwei Jahre weitere sechs Milliarden Kronen für ihr Ressort gefordert - was die Regierung jedoch ablehnte. Ebenso wie einen weiteren Vorschlag der umstrittenen Ministerin: Aufgrund der hohen Verschuldung (10 Milliarden Kronen) insbesondere der größten öffentlichen Krankenkasse Tschechiens, der Allgemeinen Krankenversicherung (VZP), schlägt Gesundheitsministerin Milada Emmerova vor, die gegenwärtig neun Krankenkassen Tschechiens durch eine staatlich verwaltete Behörde zu ersetzen und damit das Anfang der 90er Jahre von dem damaligen Minister Martin Bojar eingeführte System der öffentlichen Krankenversicherungen rückgängig zu machen. Für Jaromir Gajdacek, Leiter des Verbandes des Krankenversicherungen, ein Schritt in die falsche Richtung:
"Dieses Modell gibt es heute z.B. in Schweden, in Großbritannien und teilweise in Frankreich. Aber es ist ineffektiv. Und unter den hiesigen Bedingungen würde es schon gar nicht funktionieren, weil unser Land nicht so reich ist wie etwa Schweden. Bei uns würde eine Zentralisierung zu einem schlechteren Niveau der Gesundheitsversorgung und zu Korruption führen. Wir befürworten daher ein pluralistisches System öffentlicher Krankenkassen. Stattdessen schränkt der Staat den Wettbewerb ein und schreibt den Versicherungen zudem mehr und mehr vor, wie viel sie den jeweiligen Ärzten zu zahlen haben."
Statt dem Druck der Ärztelobby zu erliegen, sollte der Staat sich eher um eine stärkere Einbeziehung der Patienten kümmern, meint Gajdacek.
Selbstbewusstere, informiertere Patienten wünscht sich auch der sozialdemokratische Abgeordnete Jozef Kubinyi. Kubinyi war Emmerovas Vorgänger auf dem Posten des Gesundheitsministers in der kurzen Zeit von April bis Juni 2004 und gilt für viele Beobachter und Experten hierzulande als einer der fähigsten Akteure in der Debatte um die Sanierung des Gesundheitswesens. Seine Reformentwürfe konnte Kubinyi jedoch während seiner kurzen Amtszeit aufgrund der damals eskalierenden Regierungskrise und der nachfolgenden Demission des Kabinetts von Vladimir Spidla nur sehr begrenzt umsetzen. Bereits damals jedoch kündigte an, dass er sich auch als Abgeordneter weiter für die Reformierung des Gesundheitswesens einsetzen werde. Diesem Vorsatz ist Kubinyi treu geblieben und hat jetzt dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Sein zentrales Ziel: mehr Transparenz für die Patienten. Das genaue Gegenteil also von dem, was Gesundheitsministerin Emmerova aufrechterhalten will: die Unmündigkeit der Patienten. Der Ministerin zufolge könnten diese als Laien ohnehin nichts mit Informationen über die Qualität der Gesundheitsversorgung oder gar ihre eigene Krankengeschichte anfangen. Für Kubinyi ein komplett falscher Zugang:
"Ich bin überzeugt, dass ein Patient, der Beiträge für die Krankenversicherung bezahlt, ein Recht darauf hat, über die Qualität der Leistungen informiert zu werden. Die Situation heute ist aber so, dass der Staat dem Patienten zwar Leistungen garantiert, deren Qualität und Preis jedoch nicht transparent gemacht werden. Wenn die Patienten selbst beurteilen können, in welchem Krankenhaus sie etwa die beste Behandlung erwarten können, wird das auch dazu führen, dass sich die Ärzte und Krankenhäuser mehr um Qualität bemühen werden, um nicht ihre Patienten zu verlieren."
Nicht nur mehr Informationen sollen die tschechischen Patienten nach Meinung von Kubinyi künftig erhalten, sie sollen sich auch aktiv an der Finanzierung des Gesundheitswesens beteiligen, zb. indem eine Praxisgebühr eingeführt wird, wie sie in anderen Ländern bereits üblich ist. Die benachbarte Slowakei ist bei der Reformierung ihres Gesundheitswesens- wie auch in vielen anderen Bereichen - rasant vorgeprescht und hat beispielsweise eine Praxisgebühr von 20 Kronen (umgerechnet 50 Cent) eingeführt. Für Tschechien jedoch nur bedingt nachahmenswert, meint der sozialdemokratische Abgeordnete und Ex-Gesundheitsminister Jozef Kubinyi:
"Vorbilder gibt es in Hülle und Fülle, aber problemlos funktionieren tut keines von ihnen. Aber meiner Meinung nach wird es auch in Tschechien früher oder später dazu kommen, dass die Patienten mehr an den Kosten beteiligt werden. Ich dachte, man könnte den Anteil der Pflichtversicherung, die gegenwärtig 13,5% beträgt, senken und entsprechend die Beteiligung der Patienten erhöhen. Man sollte hier aber einen Mittelweg wählen, damit die Menschen nicht zu stark belastet werden. Die Slowakei ist hier für meinen Geschmack etwas zu weit gegangen. Außerdem wurde den Versicherungen hier ein zu starkes Gewicht beigemessen. Ich denke, es sollte ein Gleichgewicht bestehen zwischen dem Staat, den Landkreisen und den Versicherungen. Aber einige Elemente der slowakischen Reformen könnte man vielleicht übernehmen."
Dass die sozialdemokratische Regierung sich vor den Wahlen im Juni 2006 dafür einsetzt, die Patienten stärker an den Kosten zu beteiligen, hält Ex-Gesundheitsminister Josef Kubinyi für nahezu ausgeschlossen. Gute Chancen hingegen rechnet er sich für sein Gesetzesvorhaben aus, das Gesundheitswesen für die Bürger transparenter zu gestalten. Darin sieht Kubinyi die Hauptvoraussetzung für eine stärkere Beteiligung der Patienten an den Kosten. Eine stärkere Beteiligung der Bürger an den Ausgaben für ihre Krankheiten fordert auch die Opposition. Nach den Vorstellungen der größten Oppositionspartei des Landes (ODS) und ihres Schattenministers Tomas Julinek sollen die Patienten künftig zwischen unterschiedlichen Modellen der Kostenbeteiligung auswählen können, der Staat soll nur noch für akute Behandlungen aufkommen. Die Gewerkschaften sehen in diesem Vorschlag eine klare Bevorteilung wohlhabenderer Bürger.
Wie geht es weiter? Die zahlreichen Krisentreffen, die Ministerpräsident Jiri Paroubek in den vergangenen Wochen einberufen hat, sind nach Meinung von Ex-Gesundheitsminister Jozef Kubinyi ein guter Anfang zur Lösung der Finanzierungkrise:
"Das System der Finanzierung ist nicht nur nicht optimal, sondern es ist leider ziemlich schlecht und muss offenbar vollständig umstrukturiert werden. Gegenwärtig wird zwar - nicht zum ersten Mal - über die Lösung von Teilproblemen diskutiert. Aber diese Diskussionen sind sehr fruchtbar, denn durch die Lösung dieser Teilprobleme werden sich alle Beteiligten allmählich auch darüber bewusst werden, dass das System als ganzes verändert werden muss und diese Teilveränderungen nicht ausreichen."