Goldene Libelle: Neuer Preis zeichnet soziale Unternehmen in Tschechien aus

Preis für Revenium Zlatá vážka

Am Freitag vergangener Woche wurden in Prag erstmals die Preise für soziale Unternehmen vergeben. Mit der Trophäe „Zlatá vážka“ (Goldene Libelle) sollen nun jedes Jahr Vereine, Betriebe und Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich für und in sozialen Unternehmen engagieren. Durch solche werden nachhaltige Beschäftigungsstrukturen für Menschen mit gesundheitlicher oder sozialer Beeinträchtigung geschaffen.

„Ich würde sagen, soziales Unternehmertum ist die Rückkehr zu den Wurzeln unserer Urahnen. Früher war es in den Dörfern eine normale Sache. Aber durch die industrielle Revolution geriet es in Vergessenheit. Nun besinnen wir uns wieder auf die Grundlagen, als unsere Vorfahren kleine Betriebe hatten und zur Weiterentwicklung der Gemeinschaft um sich herum beitrugen. In dieser Zeit war es normal, dass die Nachbarn im Obstgarten nebenan mithalfen und die Ernte wiederum zu anderen Produkten verarbeiteten. Soziale Unternehmen kehren also dorthin zurück, wo die Gesellschaft vor etwa 200 Jahren war.“

Nominierte Assistentinnen | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

So sieht es Hanka Potměšilová. Sie ist die Vorstandsvorsitzende des Vereins Revenium, der über ganz Tschechien verteilt verschiedenartige Dienstleistungen im sozialen und Gesundheitsbereich anbietet. Revenium wurde 2017 gegründet, und zwei Jahre später begann man, die Prinzipien eines sozialen Unternehmens umzusetzen. Heute sind dort 70 Menschen mit unterschiedlichen gesundheitlichen Einschränkungen beschäftigt.

In sozialen Unternehmen werden aber nicht nur angemessene Arbeitsbedingungen für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Alle Mitarbeiter würden außerdem partnerschaftlich behandelt und hätten Mitspracherechte bei der Weiterentwicklung der Firma, betont Olga Richterová. Die Piraten-Politikerin ist stellvertretende Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses und die Ideengeberin für den Galaabend „Zlatá vážka“, der am Freitag vergangener Woche in Prag stattfand:

„Ich beschäftige mich seit langem mit diesem Thema. Und als Politikerin weiß ich, dass es immer auch ein bisschen um den Hype bei einem Thema geht. Diese sozialen Dinge verbindet man nur selten mit Luxus und Gala, also mit etwas Speziellem. Das ist es aber, was wir heute Abend gemacht haben.“

Persönlichkeit des Jahres Ondřej Závodský mit Jan Lipavský  (rechts) | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

Und tatsächlich, für den Galaabend im Außenministerium hatten sich alle Besucher festlich gekleidet, und sie genossen die noble Atmosphäre des historisch bedeutsamen Czernin-Palais. Auch die Trophäe selbst, die Goldene Libelle, ist edel und geschmackvoll gestaltet. Sie solle etwas Besonderes, aber dennoch Alltägliches darstellen, erläutert Richterová.

Name, Gestaltung und Ausrufung des Preises sind die Arbeit der Deklarace odpovědného podnikání (Deklaration für verantwortungsvolles Unternehmertum). In der Initiative haben sich zahlreiche soziale Unternehmen zusammengeschlossen, um in Kooperation mit einflussreichen Firmen oder auch mit der Staats- und Kommunalverwaltung zu treten. Soziales Unternehmertum soll dadurch in Tschechien sichtbarer werden. Und diesem Ziel dient auch die nun eingeführte und jährlich stattfindende Verleihung der Goldenen Libelle. Die Schirmherrschaft haben die Regierungsbeauftragte für Menschenrechte, das Außen- und das Arbeitsministerium sowie das Abgeordnetenhaus übernommen. Parlamentspräsidentin Markéta Pekarová Adamová fungierte als Ehrenvorsitzende der Hauptjury und überreichte am Freitag den Preis für das „Innovative Unternehmen des Jahres“ – an den Verein Revenium.

Arbeitsplatz nach Maß

Gemeinsam mit Hanka Potměšilová nahm ihr Kollege Vít Kettner die Auszeichnung für Revenium entgegen. Bei ihm wurde paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Im Gespräch mit Radio Prag International berichtete Kettner:

„Revenium betreibt eine ganze Reihe unterschiedlicher Aktivitäten. Die wichtigste unternehmerische Tätigkeit ist die Kaffeerösterei in Kokořín. Zudem geben wir das Magazin ‚Inspirante‘ heraus, das Themen sozialer und gesundheitlicher Einschränkungen behandelt. Ich habe im Verein die IT-Versorgung zur Aufgabe und habe auch das Projekt ‚Bioplynka‘ erdacht.“

„Bioplynka“ ist eine stationäre Biogasanlage für den Eigengebrauch der Kaffeerösterei. Damit werden die entstehenden Abfälle in Energie umgewandelt. Und weiter beschreibt Kettner:

Markéta Pekarová Adamová,  Hana Potměšilová und Vít Kettner | Foto: Zlatá vážka

„Es handelt sich um eine relativ kleine Anlage zur Erzeugung von Biogas. Wir haben sie um einige Elemente ergänzt, ohne die sie unter den klimatischen Bedingungen Tschechiens nicht betrieben werden könnte. Konkret würde die Anlage im Winter einfrieren, also muss sie angeheizt werden. Außerdem haben wir Filter eingebaut, die das Biogas in Biomethan umwandeln. Unser Ziel ist, das Gas den Sommer über herzustellen und unsere Vorratstanks zu füllen, um es dann zu verbrauchen, wenn es als Heizquelle nötig ist.“

Die „Bioplynka“ gab den Ausschlag, dass Revenium von der Jury auf den ersten Platz der Kategorie „Innovatives Unternehmen“ gewählt wurde. Diese Auszeichnung ist mit einem Preisgeld von 100.000 Kronen (4065 Euro) verbunden. Mit 80.000 Kronen (3250 Euro) wurde hingegen Věra Hošková als „Assistentin des Jahres“ geehrt:

Nominierte Assistentin des Jahres Věra Hošková mit Olga Richterová  (links) | Foto: Daniela Honigmann,  Radio Prague International

„Ich habe von Geburt an einen angeborenen schweren Herzfehler, der meine Leistungskraft deutlich einschränkt. Eine Arbeit zu Vollzeitbedingungen mit dem üblichen Pensum wurde für mich also immer weniger möglich. Nachdem ich etwa 20 Jahre lang in normalen Firmen tätig war, zwang meine Krankheit mich letztlich, dies aufzugeben. Als ich dann nach anderen Möglichkeiten gesucht habe, stieß ich auf Kolibřík. Dort habe ich eine Stelle bekommen, von der ich vorher nur träumen konnte.“

Das soziale Unternehmen Kolibřík CSR bietet Banken und Konzernen Outsourcing-Dienstleistungen an. Dort ist Hošková seit vier Jahren für die Personalvermittlung verantwortlich:

„In einem sozialen Unternehmen werden individuelle Bedingungen geschaffen, die sich an der jeweiligen gesundheitlichen Einschränkung eines Menschen orientieren. Bei Kolibřík gibt es Menschen mit ganz verschiedenen Behinderungen. Darum versuchen wir, jeden Arbeitsplatz genau nach Maß zu gestalten, sodass er dem Gesundheitszustand des jeweiligen Mitarbeiters entspricht. Für mich persönlich sind das eine verkürzte Arbeitszeit sowie die Möglichkeit, im Homeoffice arbeiten zu können. Außerdem geht es mir nicht immer gut, und an manchen Tagen bin ich wegen des Wetters oder anderen Einflüssen nicht richtig fit. Dann kommt man mir im Unternehmen immer entgegen, und ich kann problemlos von zu Hause aus arbeiten oder auch freinehmen.“

In der tschechischen Gesellschaft werde sie noch oft mit der Meinung konfrontiert, dass es nichts Gutes sei, wenn ein Mensch in irgendeiner Hinsicht anders ist, schildert Hošková. Sie blickt auf die Goldene Libelle neben sich und fährt fort:

„Der Preis ist für mich eine große Ehre. Aber er fühlt sich noch etwas fremd an. Denn in unserem Land erlebe ich es leider so, dass herausragende Menschen oft ganz am Rande der Gesellschaft oder sogar außerhalb stehen. Daher ist dies eine ganz neue Erfahrung für mich, und ich muss mich erst daran gewöhnen.“

Gesetz soll bessere Unterstützung vom Staat ermöglichen

Die vier weiteren Kategorien, in denen die diesjährige Goldene Libelle vergeben wurde, waren „Regionale Entwicklung“, „Inspirative Zusammenarbeit“, „Institution des Jahres“ und „Persönlichkeit des Jahres“. Insgesamt waren 71 Nominierungen eingereicht worden. Jurymitglied Olga Richterová zeigte sich im Interview mit Radio Prag International erfreut darüber, dass in dem Gremium alle Parlamentsparteien vertreten waren.

Olga Richterová | Foto: Pirátská strana / Flickr,  CC BY-SA 2.0

Diese Einigkeit dürfte sich die Piratin demnächst wohl auch bei der Abstimmung über das geplante Gesetz zu sozialen Unternehmen wünschen. Dies wird den legislativen Rahmen für diese Firmenkategorie festlegen und die offizielle staatliche Unterstützung regeln. Zudem soll ein Register aller sozialen Unternehmen in Tschechien angelegt werden, auf das potentielle Partner zugreifen können. Und weiter Richterová:

„Wir wollen, dass mehr öffentliche Aufträge an soziale Unternehmen vergeben werden. Die gesetzliche Definition soll dabei auch solche Firmen einbeziehen, die sich nicht nur auf Menschen mit körperlichen Behinderungen konzentrieren, sondern ebenso mit speziellen Bedürfnissen oder etwa auf Menschen, die aus dem Gefängnis kommen. Das sind alles Beispiele von Unternehmen, die es heute noch wirklich schwer haben und die der Staat bisher nicht gut unterstützen kann. Wir versprechen uns, dass das Gesetz diese Unternehmen, Verbände und Menschen mit wirklich schweren Lebensgeschichten unterstützen und die ganze Gesellschaft besser zusammenhalten wird.“

Der Gesetzestext ist fertig und soll bis Jahresende vom Regierungskabinett diskutiert werden. Danach geht er ins Parlament. Věra Hošková legt konkrete Hoffnungen in das Gesetz:

„Vor allem erwarte ich, dass in sozialen Unternehmen und besonders in Werkstätten für behinderte Menschen sozusagen ein wenig aufgeräumt wird. Ich habe nämlich schon oft Menschen getroffen, die dort zwar angestellt sind, aber kaum eine Arbeit ausüben und eigentlich nur registriert sind. Die Möglichkeit, sich zu betätigen, wird ihnen gar nicht gegeben. Das sollte sich ändern. Und wenn etwas gesetzlich verankert wird, dann wird auch eine Weiterentwicklung ermöglicht, und aus der Idee wird ein Standard.“

Ganz ähnlich sieht es Hanka Potměšilová vom Verein Revenium. Sie betont zudem die philosophische Ebene des Ganzen:

„Was geschrieben steht, ist gesetzt. Das Gesetz könnte den Menschen die Augen dafür öffnen, was soziales Unternehmertum eigentlich ist. Wir von Revenium haben den großen Vorteil, dass wir von Menschen umgeben sind, die die Dinge ähnlich sehen wie wir. Das sind soziale Unternehmen, die sich nicht nur auf ihre eigene Tätigkeit konzentrieren, sondern die die Gesellschaft an sich verändern wollen. Das kommende Gesetz und etwa auch die Zusammenarbeit mit der Lokalpolitik sind für mich ein normaler Ausdruck von Menschlichkeit.“

Foto: Zlatá vážka

Das geplante Gesetz wird die sozialen Unternehmen in Tschechien also in ihrer Bedeutung bestätigen. Motivation für seine weitere Arbeit habe er aber bereits durch die Verleihung der Goldenen Libelle bekommen, betonte Vít Kettner am Ende des Galaabends:

„Für mich persönlich ist dies eine symbolische gesellschaftliche Anerkennung dafür, dass das Projekt Revenium Sinn hat – und dies nicht nur für uns Beteiligte. Sondern es lohnt sich auch, den Verein noch weiterzuentwickeln.“