Heilige Stiege, Kalvarienberg, Pietà: Passionsgeschichte an der Moldau

Kreuzweg auf dem Hügel Petřín

Die Scala Santa – die Heilige Treppe – ist für die Pilger, die nach Rom kommen, eine der Sehenswürdigkeiten, die sie unbedingt sehen und kniend betreten müssen. Eine Heilige Stiege gibt es jedoch auch in Prag. Genauso findet man in der tschechischen Hauptstadt eine Kalvarienbergkapelle sowie mehrere weitere Sakralbauten, die mit der Passionsgeschichte besonders verknüpft sind.

Kirche „Mariä Himmelfahrt und Kaiser Karls des Großen“ in Karlov
Bereits im Mittelalter bemühten sich die böhmischen Herrscher aus Prag ein kleines Rom oder Jerusalem zu machen. Vor allem Karl IV. versuchte, ein kleines Stück von Jerusalem in die Moldaustadt zu bringen. Ähnliche Bemühungen gab es in der tschechischen Hauptstadt auch während der Neuzeit. In Prag sind bis heute einige Sehenswürdigkeiten erhalten geblieben, die mit der Passionsgeschichte und damit auch mit Jerusalem, wo sie sich vor 2000 Jahren abspielte, besonders verbunden sind, sagt Priester Vladimír Kelnar. Als Konservator der Prager Erzdiözese ist er für die praktische Denkmalpflege und Inventarisierung der kirchlichen Kunstgüter zuständig. In den unzähligen Sakralbauten, die es in der tschechischen Hauptstadt gibt, kennt er sich sehr gut aus. An erster Stelle der Baudenkmäler, die mit den Ostereignissen zusammenhängen, nennt er die Kirche „Mariä Himmelfahrt und Kaiser Karls des Großen“ in Karlov, zu Deutsch Karlshof. Als Vorbild für die Kirche, die nach 1350 erbaut wurde, diente die Aachener Pfalzkapelle. Ähnlich wie das Gotteshaus von Karlov ist sie auf einem achteckigen Grundriss entstanden. Vladimír Kelnar macht auf die so genannte Heilige Stiege aufmerksam, die sich in der Kirche befindet. Ende Februar dieses Jahres seien 300 Jahre seit der feierlichen Weihe der Stiege vergangen, erzählt der Experte. Er erläutert die Herkunft dieser Sehenswürdigkeit und ihrer Bezeichnung.

„Kaiserin Helena, die später heilig gesprochen wurde, ließ Anfang des 4. Jahrhunderts archäologische Ausgrabungen in Palästina an Orten durchführen, die mit dem Leben Jesu verknüpft waren. Unter anderem wurde auch an dem Ort gegraben, wo einst die Festung von Pontius Pilatus gestanden haben soll, die Antonianum genannt wurde. Dort wurden mehrere Stufen des festlichen Treppenhauses gefunden, auf dem Pilatus das Urteil über Jesus verkündet haben soll. Diese Stufen ließ Helena nach Rom transportieren, wo für die Treppe eine Kapelle erbaut wurde. Die Heilige Stiege / die Scala Santa, wie die Treppe genannt wird, steigen die Gläubigen seitdem kniend hinauf, während sie ber das Leiden Christi meditieren. Eine Kopie dieser berühmten Heiligen Treppe von Rom ließen die Prager Augustiner Anfang des 18. Jahrhunderts in der Kirche von Karlov errichten. Der Entwurf der Treppe stammt vom namhaften Architekten Johann Santini-Aichl. Dank der Heiligen Stiege ist die Kirche zu einem wichtigen Wallfahrtsort geworden.“

Hügel Petřín / Laurenziberg
Vor allem während der Barockzeit strömten viele Pilger nicht nur aus Prag, sondern auch aus entfernten Regionen dorthin. Denn auf dem Gebiet Tschechiens gibt es nur noch zwei ähnliche Heilige Stiegen. Die eine befindet sich in der Minoritenkirche in Brno / Brünn und die andere auf dem Muttergottesberg / Hora Matky Boží, einem Wallfahrtsort bei Králíky / Grulich in Ostböhmen. Die Prager Heilige Stiege wird jedoch Kelnar zufolge für die wertvollste von den drei Heiligen Stiegen gehalten.

Die weitere Sehenswürdigkeit, die mit der Passionsgeschichte zusammenhängt, ist der Kreuzweg auf dem Hügel Petřín / Laurenziberg. Der Berg wurde laut Vladimír Kelnar schon in der mittelalterlichen Cosmas-Chronik erwähnt. Ursprünglich wurde der Hügel „Petra“ genannt, was im Griechischen „Felsen“ bedeutet. Von dieser Bezeichnung wurde der tschechische Name des Hügels abgeleitet. Der Hügel hat eine düstere Geschichte:

„Auf dem Berg befand sich ursprünglich die Richtstätte. Hingerichtet wurden dort angeblich die Angehörigen der Adelsfamilie Vršovec / Werschowetze, die im Frühmittelalter mit den Přemysliden konkurrierte. Hinrichtungen fanden dort bis zum Bau der Hungermauer statt. Aus den archäologischen Ausgrabungen geht hervor, dass auf dem Hügel eine heidnische Kultstätte war. In der Barockzeit war der Petřín jedoch schon ein rein christlicher Ort. Damals wurde die dortige Kirche St. Laurentius umgebaut, und im Zusammenhang mit dem Umbau wurde auf dem Hügel ein Kreuzweg errichtet. Der in den Jahren 1720 – 1733 erbaute Kreuzweg besteht nicht nur aus den klassischen Stationen. Sondern es gehört dazu auch die Kapelle des Heiligen Grabes, die eine kleine Kopie der Grabkapelle von Jerusalem ist sowie die Kapelle der Auferstehung. Diese wurde später vom Maler Mikoláš Aleš gestaltet, auf dessen Sgraffito der auferstandene Christus abgebildet ist.“

Der Kreuzweg wird vor allem während der Heiligen Woche belebt. So fand am Grünen Donnerstag in diesem Jahr ähnlich wie in den vergangen Jahren ein ökumenischer Kreuzweg auf dem Petřín statt.

Vom Laurenziberg geht Vladimír Kelnar bei der Suche nach den Spuren der Ostergeschichte hinunter in die Altstadt – konkret in die St. Gallus-Kirche. Sie gehört zu den ältesten Kirchen auf dem Gebiet Tschechiens. Sie wurde in der einst selbständigen Gallus-Stadt / Havelské Město erbaut. Zur Zeit der Gotik wurde die Kirche in eine Dreischiff-Basilika umgebaut. Kelnar zufolge wirkte dort auch der später heiliggesprochene Johannes Nepomuk als Priester. Nepomuk stellte auch ein Inventarverzeichnis der Kirche zusammen; es sei die einzige Urkunde mit Nepomuks Unterschrift, die erhalten blieb, so Kelnar.

„In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die Kirche auf den Karmeliterorden übertragen. Die Karmeliter ließen die Kirche von Johann Santini-Aichl im Barockstil umbauen. Bei diesem Umbau wurde im nördlichen Seitenschiff der Kirche eine Kalvarienberg-Kapelle errichtet, die mit Plastiken von Ferdinand Maxmilian Brokoff geschmückt ist. Es handelt sich um einige der bedeutendsten Werke Brokoffs. Die Kapelle stellte für Brokoff eine Art Theaterbühne dar. Im Mittelpunkt steht der Kalvarienberg, daneben sind Statuen der Evangelisten. Diese erinnern an Erklärungen der Propheten aus dem Alten Testament, die das Leiden Christi betreffen. Die Kapelle wurde später mit Fresken geschmückt, auf denen der das Kreuz tragende Christus und Christus vor Pontius Pilatus abgebildet ist.“

Kirche Maria Na Slupi
Die vorletzte Station des heutigen Spaziergangs auf den Spuren der Passionsgeschichte in Prag ist die weniger bekannte Kirche Maria Na Slupi, die sich in der gleichnamigen Straße unweit des Klosters Emmaus befindet. Heutzutage gehört die Kirche zum Areal des Krankenhauses der Elisabetherinnen. Die ursprüngliche Kapelle wurde im Hochbarock umgebaut und es wurde dort eine Plastik der schmerzvollen Jungfrau Maria mit Christus – die Pietà - platziert, erzählt Kelnar:

„Die Statue stammt noch aus dem 17. Jahrhundert. Die Plastik wurde für wundertätig gehalten, nachdem die Bitten einiger Gläubigen erhört worden waren. Die Platzierung der Pieta gerade an diesem Ort war kein Zufall, denn die Elisabetherinnen, die bis heute das Krankenhaus verwalten, bemühen sich seit vielen Jahren darum, das Leiden der Patienten zu lindern.“

Kreuzweg in der Kirche Maria der Friedenskönigin im Stadtteil Lhotka
In Prag gibt es dem Experten zufolge noch eine ganze Reihe von Sehenswürdigkeiten, die auf die eine oder andere Weise mit der Ostergeschichte zusammenhängen. Eine davon – den modernen Kreuzweg in der Kirche Maria der Friedenskönigin im Stadtteil Lhotka – haben wir in unserer Sendung schon vorgestellt.


In der heutigen Sendung haben wir Sie unter anderem in die St.-Gallus-Kirche in der Prager Altstadt geführt. Falls Sie wissen, wie die Kirche im Tschechischen heißt, können Sie es uns schreiben. Denn so lautet die heutige Quizfrage, für deren richtige Beantwortung Sie ein Buch über Prag gewinnen können. Ihre Zuschriften richten Sie bitte an Radio Prag, Vinohradská 12, PLZ 120 99 Prag 2, Tschechien. In der Februarsendung über das Nationale Technikmuseum fragten wir Sie danach, wann das Prager Nationaltheater von einem verheerenden Brand vernichtet wurde. Es war 1881, ein Buch geht an Michael Barth aus Bodenheim.