Hindls zur Krise: Tschechiens Wirtschaft hat erstmals wieder durchgeatmet
Die globale Wirtschaftskrise setzt weltweit Produzenten wie Konsumenten gleichsam zu. Auch in Tschechien wurden mehrere Unternehmen von der Rezession kalt erwischt, und die Anderen fragen immer lauter: Wann wird die Krise denn ein Ende haben? Dieser Frage ist auch Radio Prag nachgegangen und hat die Antworten führender tschechischer Wirtschaftsexperten zusammengefasst.
Seit vergangenem Herbst ist die Leistung der tschechischen Wirtschaft ständig geschrumpft, von Monat zu Monat wurden immer schlechtere Zahlen präsentiert. Nach den neuesten Daten, die in der vorigen Woche veröffentlicht wurden, ist nun jedoch eine kleine Trendwende registriert worden: das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat im zweiten Quartal endlich wieder zugelegt, wenn auch nur um 0,3 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal. In einer Krisenzeit wie der jetzigen ist so eine Meldung daher ein erster Hoffnungsfunke, auch wenn führende Wirtschaftsexperten vor allzu großem Optimismus warnen:
„Die Industrieproduktion in Tschechien verzeichnet noch kein neues Wachstum, die Intensität ihres Abschwungs ist lediglich zurückgegangen. Oder anders ausgedrückt: Sie hat erst einmal wieder durchgeatmet. Ich meine, wir müssen noch sehr, sehr vorsichtig sein mit unseren Einschätzungen, auch wenn man sagen kann: es gibt einen ersten Hoffnungsschimmer für eine Trendwende“, sagt der Rektor der Hochschule für Ökonomie in Prag, Richard Hindls.
Der Analytiker der Tschechoslowakischen Handelsbank (ČSOB), Petr Dufek, sieht es ähnlich: „Meiner Meinung nach ist die letzte Zahl zum Bruttoinlandsprodukt viel versprechend und sie zeigt, dass die tschechische Wirtschaft die Talsohle erreicht hat. Die Frage bleibt jedoch, wie schnell es jetzt wieder aufwärts gehen kann. Dafür aber sind bisher noch keine starken Impulse zu erkennen. Deshalb bin ich noch vorsichtig mit meinen Prognosen zur weiteren Entwicklung und erwarte vielmehr, dass sich die tschechische Wirtschaft nur sehr langsam wieder steigern wird.“Zu einem größeren Jubel besteht tatsächlich auch noch kein Anlass. Die nackten Fakten besagen nämlich: Die Leistung der tschechischen Wirtschaft ist im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 4,9 Prozent geschrumpft, und das ist der größte Rückgang des Bruttoinlandsproduktes im Quartalsvergleich seit der Gründung der Tschechischen Republik vor sechzehneinhalb Jahren. Die Gründe für diesen Einbruch nennt die Analytikerin der Raiffeisenbank in Prag, Helena Horská:
„Unserer Meinung nach ist die tschechische Wirtschaft in eine starke Rezession gefallen, was sich vor allem im Rückgang des Exports und der Investitionen niederschlägt. In gewisser Weise ist auch die Binnennachfrage gesunken, es wird weniger konsumiert. Der einzige Sektor, der wahrscheinlich zugelegt hat, sind die staatlichen Aufträge durch die Landesregierung.“
Der Rückgang der Nachfrage im Einzelhandel hat logische Gründe: eine Vielzahl von Firmen kämpft ums Überleben und einige mussten schon Konkurs anmelden. Um die Insolvenz zu vermeiden, greifen die Unternehmen zu einem probaten Mittel – sie setzen auf Kurzarbeit oder entlassen einen Teil ihrer Beschäftigten. Aufgrund dieser Unsicherheit sparen die Haushalte bei ihren Ausgaben. Doch nicht alle Bereiche des Einzelhandels sind vom defensiven Kaufverhalten der Verbraucher gleichermaßen betroffen, sagt der Analytiker des Kreditinstituts Komerční banka, Miroslav Frayer:
„Die größten Absatzprobleme haben gegenwärtig vor allem die Verkäufer von Luxusgütern. Wenn wir zum Beispiel nur einmal auf den automobilen Sektor schauen, dann müssen wir festhalten, dass dieser im Juni erneut einen Verkaufsrückgang von rund zwölf Prozent hinnehmen musste. Demgegenüber können sich die Lebensmittelverkäufer über einen zu geringen Absatz nicht beklagen.“
Wie wir bereits eingangs festgestellt haben, hält der Abwärtstrend der tschechischen Wirtschaft zwar weiter an, ihr freier Fall konnte aber vorerst gestoppt werden. Und so verweisen auch die Experten immer häufiger auf die positiven Aspekte, die den zuletzt veröffentlichten Wirtschaftsdaten zu entnehmen sind. Ein solcher Aspekt ist zum Beispiel der, dass der Schwund der Industrieproduktion im Jahresvergleich von minus 22 Prozent im Mai auf minus zwölf Prozent im Juni dieses Jahres zurückgegangen ist. Nach Meinung des Analytikers des Kreditinstituts Komerční banka, Jiří Škop, ist das ein unerwartet gutes Monatsergebnis:
„Für uns ist das gewiss eine positive Überraschung. Es ist seit längerem der erste Ausdruck einer Verbesserung der reellen Wirtschaftsdaten. In einem bestimmten Umfang lässt sich das auf eine wieder gestiegene Zahl von Aufträgen zurückführen; im ersten Quartal hatte sich die Auftragslage ja dramatisch verschlechtert. Eine gewisse Verbesserung ist auch innerhalb der Eurozone festzustellen, und hier insbesondere in Deutschland.“
In der Tat: Jüngsten Veröffentlichungen der europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge ist der Abschwung der Konjunktur im Euroraum dank Deutschland und Frankreich nahezu beendet worden. Beide Volkswirtschaften haben im zweiten Quartal um 0,3 Prozent zugelegt. Dadurch schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in den Ländern des gemeinsamen Währungsraums im Vergleich zum Vorquartal nur noch um 0,1 Prozent, nach minus 2,5 Prozent im Vierteljahr zuvor. Der leichte Aufschwung in Deutschland ist auch in Tschechien mit Freude registriert worden. Aus gutem Grund, weiß Rektor Hindls:
„Ich denke, das ist ein gutes Signal. Ganz einfach deshalb, weil die deutsche Wirtschaft für uns ungeheuer wichtig ist – ja ich würde sagen, in ihren Eckdaten ist sie für uns sogar noch wichtiger als die Ökonomie der Vereinigten Staaten.“
Für Richard Hindls ist aber ebenso klar, weshalb Deutschland auf dem Weg aus der Krise schon einen Schritt weiter sein dürfte, als es in Tschechien der Fall ist:
„In Tschechien hat die Krise etwas später eingesetzt. Möglicherweise wird daher die echte Trendwende bei uns auch erst später kommen.“
Tschechien ist also trotz erster Anzeichen für eine Besserung noch längst nicht raus aus der Rezession. Im Gegenteil, eine sehr unerfreuliche Begleiterscheinung der Rezession wird erst im Herbst und Winter noch besonders deutlich zu Tage treten, meint Hindls:
„Eine typische Erscheinung dieser Krise ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit allerorten. Und ich befürchte, dass es in Zukunft immer schwieriger wird, eine Arbeit zu finden, wenn die Arbeitnehmer nicht mobiler werden und sich nur ungenügend weiter qualifizieren. Zuletzt hat das Ministerium für Arbeit und Soziales eine Arbeitslosenquote von 8,4 Prozent gemeldet. In unseren besten Jahren waren wir eine Arbeitslosigkeit von vier bis fünf Prozent gewohnt, doch ich bin mir wirklich nicht sicher, ob wir diese Zahlen wieder erreichen können.“
Die Analytiker der großen Prager Banken hingegen sind sich einig, dass die Arbeitslosigkeit in Tschechien in nächster Zeit noch weiter steigen wird:
„Momentan ist es schon ziemlich sicher, dass die Arbeitslosenquote in Tschechien in diesem Jahr noch die Neun-Prozent-Marke überschreiten wird“, meint Petr Dufek von der Handelsbank.
Helena Horská von der Raiffeisenbank geht sogar noch einen Schritt weiter: „Zu Beginn des Jahres 2010 kann sich die Zahl der Arbeitslosen in Tschechien auf bis zu 600.000 Erwerbslose erhöhen. Die Arbeitslosenquote würde damit die Zehn-Prozent-Marke übersteigen.“
Ein Ende der Rezession in Tschechien ist also noch längst nicht in Sicht.