Ivan Klíma
Ivan Klima ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Autoren der Tschechischen Republik. Kürzlich erhielt er den Kafka-Preis Damit wurde das Lebenswerk des 72jährigen Prosaisten, Dramatikers und Essayisten gewürdigt. Ein Porträt über ihn hören Sie im heutigen Kultursalon von Martina Zschocke.
Der Schriftsteller Ivan Klima hat seine Themen früh gefunden. Liebe, Freiheit und Tod - kann man wohl als Essenz seines Schreibens bezeichnen. Letztlich sind es die großen, existentiellen Menschheitsthemen. Er selbst präzisiert sein Themenspektrum wie folgt:
"Viele Themen. Die Tschechen denken, dass ich etwas moralistisch bin, was ich akzeptiere. Ich habe immer versucht, meinen Lesern etwas mitzuteilen. Ich schreibe über Treue, Untreue, Liebe, Gerechtigkeit, aber ich habe auch ein ganzes Buch, das sich mit Müll beschäftigt. Müll in seiner materiellen oder spirituellen Bedeutung. Das und viele andere Themen. Und ich schreibe nicht nur Bücher, auch viele Feuilletons, Kolumnen, wenn ich die politischen und anderen Probleme unserer Gesellschaft berühre, ökologische Probleme, weil ich auch in einigen Organisationen wie Greenpeace und The Children of Earth tätig bin."
Freiheit kam als Thema nicht von ungefähr. Klimas Leben wurde bis 1989 von einem häufigen Verlust der Freiheit oder deren weitgehender Einschränkung bestimmt. Als Kind jüdischer Eltern war er, obwohl protestantish erzogen, mehrere Jahre im Konzentrationslager Theresienstadt interniert. Später verbot die Kommunistische Regierung der Tschechoslowakei seine Bücher, und er verlor seinen Job. Kein Wunder also, dass persönliche und politische Freiheit ein immer wiederkehrendes Thema seiner Bücher darstellt. Auf die Frage, ob nach der Revolution andere Themen in den Vordergrund treten, beispielsweise die Natur nach der sommerlichen Flutkatastrophe, antwortet Ivan Klima:
"Nein, ich schätze nicht anstelle. Es ist nötig alle Probleme zu behandeln, die zeitgemäße Probleme sind und ich bin sicher, dass Natur eines der wichtigsten Probleme ist ebenso wie Freiheit. Wir können nicht sagen, dass Freiheit weniger wichtig ist, aber es ist wahr, dass Freiheit im letzten Jahrhundert das wichtigste Problem war, zumindest in diesem Teil der Welt und ich schätze, dass nun ökologische Probleme an erster Stelle stehen."
"Liebe und Müll" handelt von einem Prager Schriftsteller, der sich als Müllarbeiter verdingt. Der Schriftsteller ist Dissident. Neben der Reflexion der Themen Müll und allgegenwärtiger Umweltverwüstungen beschreibt der Roman die Liebe zu einer Bildhauerin, die die Ehe des Protagonisten begleitet, gefährdet und - wage ich zu behaupten - bereichert. Auch seine ersten Bücher nach 1989 drehen sich um verschiedene Facetten der Freiheit und der Liebe. "Warten auf Dunkelheit, Warten auf Licht" schildert das Leben eines Kameramannes vor und nach 1989. Das Buch erschien 1993 in Tschechien und wurde unmittelbar darauf ins Englische übersetzt."Liebesgespräche", sind Kurzgeschichten über Männer und Frauen der nachkommunistischen Zeit in Tschechien. Klima baut seine Romane langsam auf, ergänzt verschiedene Schichten und Nuancen, wobei die einzelnen Handlungsstränge jeweils ineinander übergehen. Überblendungen und abrupte Ebenenwechsel sind gern verwendetes stilistisches Merkmal seiner Texte. Klimas Figuren sind häufig abgeklärt und pendeln zwischen Lebensgier und Desillusionierung. Viele Aspekte seiner Bücher ähneln sich. So haben beide Hauptcharaktere in "Liebe und Müll" und in "Richter in eigener Sache" ihre Kindheit im Konzentrationslager verbracht und technisch begeisterte Väter. Beides klar autobiographische Züge.
Ivan Klima wird 1931 in Prag geboren, wo er noch immer lebt. Nach dem Krieg studiert er Literatur in Prag und arbeitet als Lektor der Literaturzeitschrift Literární Noviny. Schnell wird er zum erfolgreichen Schriftsteller und Dramatiker. Beim Schriftstellerkongreß 1967 verteidigt er die unabhängige Rolle der Kultur gegen die Kontrolle der Partei, woraufhin diese ihn aus ihren Reihen ausschließt. Sein Schreiben wird als radikal angesehen, was ihm seine Stelle bei Literární Noviny kostet und ein Publikationsverbot einbringt. Bis 1989 darf er in Tschechien nicht mehr veröffentlichen und hält sich mit verschiedenen Hilfsarbeitertätigkeiten über Wasser. Er arbeitet als Ambulanzfahrer, Müllarbeiter, Briefträger und Landvermessergehilfe, während er nebenher weiter schreibt und seine Bücher im Untergrund, später auch im Ausland verlegt. 1969 erhält Klima eine Gastprofessur in Michigan in den Vereinigten Staaten. Trotz aller Repressalien kehrt er im darauffolgenden Jahr nach Prag zurück. Seit 1990 kann Klima seine Bücher auch in Tschechien wieder frei publizieren. Diese wurden schnell zu einem großen Erfolg. Inzwischen schreibt Ivan Klima seit über 50 Jahren. Schreiben hat er immer als seinen Lebensinhalt gesehen, unabhängig davon, ob er veröffentlicht wurde oder nicht.
"Für mich ist es Unterhaltung zu schreiben. Ich mag es und habe nie erwartet, dass es veröffentlicht würde, auch als ich publizieren konnte. So war ich immer überrascht, wenn etwas verlegt wurde und ich war glücklich. Und in dieser Zeit wurden meine Sachen im Ausland veröffentlicht, was wieder überraschend für mich war. Und wir publizierten alle Bücher im Samizdat und etwas später - ich nehme an in meinem Fall war es 73 - publizierte ich in tschechischen Verlagen im Ausland, weil es zu dieser Zeit ungefähr zehn Verlage im Exil gab. Und unser Freund Skvorecky und seine Frau gründeten einen ziemlich großen Verlag, groß bedeutet eigentlich klein, aber sie schafften es mehr als 300 Titel in tschechischer Sprache zu produzieren, sehr schön gemacht, sehr schöne Bücher. Fast alle meine Bücher wurden in gedruckter Form - sogar in Tschechisch - veröffentlicht und später wurde ich in London von Tomsky publiziert, der jetzt mein Verleger ist."
Er scheint geradezu einen ständigen Drang zum Schreiben zu verspüren. Als ich Ivan Klima zum Interview besuche, ist er krank. Dennoch sitzt er am Computer und zitiert mir kurz nach meinem Eintreten seinen letzten Satz. Es ist ihm wichtig, trotz seiner Schmerzen zu arbeiten.
"Ich schreibe jeden Tag. Jetzt bin ich krank und habe deshalb ungefähr eine Woche nicht geschrieben. Gerade vor dreißig Minuten habe ich meinen Computer geöffnet, obwohl ich Schmerzen habe. Ich bin kein sehr depressiver Mensch, aber wenn ich nicht schreiben kann, werde ich depressiv. Ich habe beschlossen zu schreiben, obwohl ich krank bin. Ich schreibe jeden Tag mit einigen Ausnahmen, wenn ich von früh bis abends beschäftigt bin. Aber auch wenn ich zu unserem Wochenendhaus außerhalb von Prag fahre, nehme ich den Computer mit und schreibe dort."
Prag ist der Dreh- und Angelpunkt von Ivan Klima. Trotz vieler Reisen und Auslandsaufenthalte ist er seiner Heimatstadt treu geblieben. Fast sein ganzes Leben hat er hier verbracht. Auch viele seiner Romane handeln von den mehr oder weniger goldenen Seiten dieser Stadt. Braucht Klima Prag auch als Basis für sein Schreiben wie Kafka?
"Sehr. Ich schrieb über Prag einen Essay, das ist wahr. Und mein längster Roman, meine beiden längsten Romane handeln in Prag, hauptsächlich "Richter in eigener Sache" und "Liebe und Müll". Das selbe stimmt für Kafka, seine Erfahrung kam von Prag, es ist eine sehr romantische Umgebung, die von Prag beeinflusst ist, aber sie ist nicht immer leicht zu finden. Manchmal bin ich nicht damit einverstanden, wenn alles irgendwo in Brevnov oder auf der Kleinseite lokalisiert wird, das ist mitunter eine Vereinfachung, selbst bei Max Brod."
Häufig haben Klímas Bücher einen politischen Hintergrund. Was genau bringt nun die neue Freiheit im Osten mit sich? Dass es nicht nur Positives, sondern auch Negatives ist, hat Klima oft genug unterstrichen. Ist er selbst zufrieden mit der Samtenen Revolution von 1989?
"Ich bin nicht enttäuscht. Ich war immer sehr realistisch und eher skeptisch, also bin ich nicht überrascht. Der letzte Satz, den ich gerade geschrieben habe, bevor Sie kamen, war der Satz "Zu regieren und von Leuten umgeben zu sein, die kein Gesetz und keine Moral anerkennen, ist unmöglich." Das ist der Satz, den ich gerade beendet habe und er ist meine Meinung zur Situation. Wir haben nicht genug Moral, es gibt so viele Skandale, wirklich unglaublich in den höchsten Ebenen."
Dieser Satz ist ein Ausschnitt aus dem neuen Roman, den Ivan Klima derzeit schreibt. Es ist ein Nachwenderoman, der ein hochaktuelles und brisantes Thema postkommunistischer Länder behandelt. Es ist ein neues Thema, doch Klima bleibt dabei seinem Stil treu, den Finger auf gesellschaftliche Missstände zu legen.
"Ich schreibe jetzt einen neuen Roman, der sich sehr von meinen anderen Romanen unterscheidet, es ist ein politisches Pamphlet und beschäftigt sich mit Korruption und der Art wie die postkommunistischen Länder ihre Demokratie entwickeln."
Ist das Vorbild für diesen Roman und seine Hauptakteure in der Tschechischen Republik zu suchen?
"Nicht die Tschechische Republik, aber die postkommunistischen Länder, weil der Hauptprotagonist Premierminister ist. Ich habe nicht vor entweder Klaus oder Zeman - heute Spidla - zu kritisieren, weil es nicht gegen irgendeine Person geht, sondern gegen das System. Es geht um Werte und Moral und ich versuche einige ungarische, polnische und tschechische Namen auszuwählen, so dass es ein postkommunistisches Land wird. Meine Inspiration ist natürlich Tschechien."
In den letzten Jahren wurde Klima vom verbotenen Dissidenten zum gefeierten Autoren. Seine Bücher sind inzwischen in über 30 Sprachen übersetzt. In Deutsch erschienen "Liebe und Müll", "Richter in eigener Sache", "Liebesgespräche", "Liebende für einen Tag, Liebende für eine Nacht", "Ein Liebessommer" und das Schauspiel "Ein Schloss". Im Oktober letzten Jahres erhielt er den Franz Kafka-Preis. Mit Kafka verbindet Klima nicht nur der Preis. Über Kafka schrieb Ivan Klima einen Essayband und beide Schriftsteller verbindet das Schreiben über das Schicksal des Menschen in einer fremdgesteuerten, mechanisierten Welt rigider Autoritäten. Neben dem Kafka-Preis wurde Klima auch für besondere Verdienste um die tschechische Republik ausgezeichnet.
"Ja, das ist wahr. Den Preis habe ich von Vaclav Havel bekommen. Ich sammle diese Dinge nicht, für mich sind die Bücher und die Literatur wichtiger als die Preise, aber es ist natürlich eine Wertschätzung meines Schreibens und deshalb war ich glücklich."
Auch wenn Klíma mittlerweile frei veröffentlichen kann und ausgezeichnet wird, braucht nicht nur die Diktatur, sondern auch die Demokratie kritische Stimmen. Ivan Klíma ist nach wie vor eine der wichtigsten. Mit Spannung darf man deshalb sein neues Werk erwarten.
Fürs Zuhören bedanken sich Gerald Schubert und Martina Zschocke.