Jan Hus und der Hatschek

Jan Hus
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Jan Hus war Theologe, Priester, Hochschullehrer und Verfasser von einflussreichen Schriften und Traktaten. Als Kirchenreformator und Wegbereiter der Hussitenbewegung ist er in die Geschichte eingegangen. Doch er ist auch mit der Entwicklung der tschechischen Sprache eng verbunden. Über Generationen lernten die Schulkinder hierzulande, dass Hus der Verfasser des lateinischen Traktats „De Orthographia Bohemica“ (Über die tschechische Rechtschreibung) sei. Heute wird seine Autorenschaft stark angezweifelt. Und dennoch ist Hus‘ Beitrag für die tschechischen Rechtschreibung nicht in Frage zu stellen.

„De Orthographia Bohemica“
Jan Hus habe das sogenannte diakritische System der tschechischen Rechtschreibung geschaffen, lautet die These, über die sich tschechische Historiker und Sprachwissenschaftler streiten. Übereinstimmung gibt es nur darin, dass die Chancen auf eine eindeutige Antwort gering sind. Das ändert aber nichts an der Bedeutung der auf Lateinisch verfassten Schrift „De Orthographia Bohemica“. Sie war ein bedeutender Wendepunkt für die Entwicklung der tschechischen Sprache, die zum Zeitpunkt ihres Erscheinens bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken konnte. Alena Černá ist Sprachwissenschaftlerin bei der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

Beispiel von sog. ‚spřežka‘ - ‚cz‘ statt ‚č‘
„Die historische tschechische Sprache hatte damals eine 300-jährige Entwicklung hinter sich. Im Lauf dieser Zeit hat sich das System der Rechtschreibung drei Mal verändert. Ihre älteste Form war primitiv. Die Schriftgrafik wurde aus dem Lateinischen übernommen. Für die Bedürfnisse der tschechischen Sprache war das nicht ausreichend. Da ist zum Beispiel der Buchstabe ‚c‘ – er wurde in dreierlei Weise ausgesprochen. Mal als ‚c‘ (ausgesprochen wie das deutsche ‚z‘, Anm. d. Red.), mal als č (auf Deutch ‚tsch‘) und auch als ‚k‘. Es war daher nicht einfach, einen Text richtig zu lesen. Irgendwann im 14. Jahrhundert tauchten in der tschechischen Rechtschreibung die so genannten ‚spřežky‘ auf. Die spezifischen tschechischen Laute wurden grafisch mithilfe von zwei oder auch drei aufeinanderfolgenden Buchstaben gestaltet. Diese Rechtschreibung war zwar sehr sorgfältig, aber auch sehr schwerfällig.“

Unübersichtliche Rechtschreibung

Jan Hus  | Foto: Wolfgang Sauber,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
Nachdem im 14. Jahrhundert noch eine weitere Variante der „spřežky“ aufkam, wurde das Rechtschreibsystem immer unübersichtlicher. In der Folge setzte sich allmählich die sogenannte diaktritische Schrift durch. Jan Hus verwendete sie nachweislich in den Niederschriften seiner Predigten. Zur Kennzeichnung einer besonderen Aussprache setzte er über die jeweiligen Buchstaben ein einfaches Zeichen. Diese Innovation ist als grundlegende Reform der tschechischen Schriftsprache in die Geschichte eingegangen. Für Hus war es höchste Zeit für eine solche Neuerung, glaubt der Hus-Experte František Šmahel:

„Die Verschriftlichung der tschechischen Sprache mit all ihren ‚spřežky‘ hielt Hus für äußerst kompliziert. Für deren Verwendung gab es keine festen Regeln. Jeder schrieb, wie es ihm gefiel. Allerdings befassten sich schon vor Hus Autoren und Übersetzer mit dem Gedanken, diakritische Zeichen in die Schrift einzuführen. Was fehlte, war ein einheitliches System. Erarbeitet hat es meiner Meinung nach Jan Hus. Mehr als alle anderen vermisste er eine Faustregel, um die Verbreitung seiner eigenen Texte wie auch die Bibelübersetzungen zu erleichtern. Mit der neuen Rechtschreibung sollte nicht nur das Schreiben, sondern auch das Lesen einfacher werden.“

Illustrationsfoto: Public Domain
Laut Sprachwissenschaftlerin Alena Černá war es kein Zufall, dass es im Tschechischen Buchstabengruppen gibt, die mit wie auch ohne diakritische Zeichen geschrieben werden:

„Das System besteht aus Buchstabenpaaren, in denen das jeweilige Zeichen nur einem Buchstaben zugeordnet wurde. Die sogenannten harten Konsonanten erhielten kein diakritisches Zeichen. Die weichen Konsonanten hingegen wurden mit einem der Zeichen verknüpft. Ursprünglich war es ein Punkt, lateinisch ‚punctus rotundus‘, der sich später in das sogenannte Häkchen verwandelte. Durch einen Strich, die sogenannte ‚virgula‘, sollten sich die lang ausgesprochenen Vokale von den kurzen unterscheiden.“

Der erste Sprachpurist

Alena Černá  (Foto: Adriana Krobová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Hus war kein Sprachwissenschaftler. Dennoch war sein Interesse für die Sprache sehr groß. Für Alena Černá liegen die Gründe auf der Hand:

„Als Prediger wollte er selbstverständlich, dass seine Informationen in einer gut verständlichen Form bei den Zuhörern ankommen. Bei der Auslegung der christlichen Glaubenslehre war er stets bemüht, für die aus dem Griechischen oder Lateinischen überlieferten und inzwischen auch eingebürgerten Ausdrücke ein tschechisches Äquivalent zu finden. Nicht selten waren es seine eigenen Wortbildungen, die nach bestimmten Modifikationen im Lauf der Zeit im tschechischen Wortschatz erhalten blieben. Gleichzeitig muss man sagen, dass Hus unser erster Sprachpurist war. Es lag ihm sehr daran, das Tschechische von fremdsprachigen, in erster Linie deutschen Einflüssen zu befreien.“

Šemberas „Magister Johannes Hus‘ tschechische Rechtschreibung“
Bekannt ist zum Beispiel seine Empfehlung, den Kindern aus einer gemischten tschechisch-deutschen Ehe sofort die tschechische Sprache beizubringen. Zweierlei Sprachen, so Hus, führten zu Aufregung, Streit und Hass. Tschechen, die halb tschechisch und halb deutsch sprechen, verdienten seiner Meinung nach Prügel. Höre sie ein echter Tscheche, könne er nicht verstehen, wovon die Rede sei. Hus kritisierte aber auch tschechischsprachige Prager wegen ihrer Aussprache.

Die Schrift „De Orthographia bohemica“ ist wie bereits erwähnt das einzige linguistische Werk, dass mit dem Namen Jan Hus verbunden wird. Woraus der Autor – ob es nun Hus war oder ein anderer – seine Inspiration bezogen hat, ist nicht bekannt. Der Text behandelt Probleme, die mit der gängigen Schreibpraxis zusammenhingen. Alena Černá:

„Als Gelehrter war er sich bestimmt der Probleme bewusst, die sich aus dem noch immer uneinheitlichen Regelwerk zur Rechtschreibung ergaben. Möglicherweise stammte die neue diakritische Schreibung aus der Feder von Jan Hus. Beweise dafür gibt es aber nicht. Es handelt sich um eine anonyme Schrift vom Anfang des 15. Jahrhunderts. František Palacký fand sie 1826 in einem Archiv im südböhmischen Třeboň und bezeichnete Jan Hus als ihren Autor. Die Autorität des renommierten Historikers war höchstwahrscheinlich entscheidend, dass seine Meinung trotz mangelnder Beweise tiefe Wurzeln in der tschechischen Historiografie geschlagen hat.“

1855 fertigte Palacký eigenhändig eine Abschrift des Werkes, die er zur Veröffentlichung an Alois Šembera, einen Professor der tschechischen Sprache an der Wiener Universität, schickte. Dem Schriftwerk legte er aber auch Auszüge aus einer eigenen Schrift bei – einem thematisch verwandten Nachwort zur sogenannten Schaffhauser Bibel. Palacký behandelte darin die Übersetzung dieser Bibel ins Tschechische und die Anwendung der diakritischen Zeichen. Šembera hielt diesen Begleittext irrtümlich für Hus‘ Werk, und veröffentlichte ihn 1857 gemeinsam mit „Orthographia“ in einem Band namens „Mistra Jana Husi Ortografie česká“ (Magister Johannes Hus‘ tschechische Rechtschreibung). Er fügte obendrein alle damals bekannten Auszüge aus Hus‘ Werken hinzu, die sein Interesse für die Sprache dokumentieren sollten.

Schleppender Siegeszug des Buchdrucks

František Šmahel  (Foto: ČT24)
Die diakritische Rechtschreibung selbst setzte sich allerdings nur sehr langsam durch. Die zunehmende Verbreitung war erst nach dem Erscheinen der in Mähren gedruckten „Grammatik von Náměšť“ im Jahr 1533 zu verzeichnen. Im Schriftverkehr der Kanzleien ging es noch langsamer voran. Die alten „spřežky“ waren noch im 16.Jahrhundert sowohl in gedruckten Texten als auch in Handschriften zu finden. Der Historiker František Šmahel sieht die Gründe im historischen Kontext. Böhmen war seinerzeit stark vom Hussitentum gezeichnet:

Buchdruck
„In der Zeit der hussitischen Bewegung war die Gesellschaft rückständig, weil das Land isoliert war. Das zeigte sich auch in der schleppenden Verwendung des Buchdrucks. Im Land gab es nur kleine Druckereien, deren Kapazitäten im Vergleich mit denen in Nürnberg, Basel oder Venedig wesentlich geringer waren. Während in Europa der Buchhandel blühte, war es hierzulande bis Anfang des 16. Jahrhunderts immer noch ein Problem, Bleilettern für den Druck zu bekommen. In Deutschland hingegen tauchte Luther auf und wusste die dort bereits verbreitete Drucktechnik genial zu nutzen.“

Nach der ersten Druckausgabe der „Orthographia Bohemica“ von 1857 wurde in den zwei nachfolgenden Jahrhunderten eine ganze Menge von Studien veröffentlicht, in denen tschechische Historiker und Sprachwissenschaftler Argumente für und gegen Hus‘ Autorschaft zusammentrugen. Eine eindeutige Antwort dazu fehlt bis heute.